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Strafrecht

Ampel-Koalition will Mindeststrafen für Kinderpornografie absenken

Politik / Lesedauer: 5 min

Die Bundesregierung will die vor drei Jahren beschlossene Gesetzesverschärfung rückgängig machen. Warum dies auch Unionsvertreter für sinnvoll erachten.
Veröffentlicht:14.03.2024, 19:00

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Es ist ein Thema, das viele Menschen am liebsten verdrängen würden: der sexuelle Missbrauch von Kindern. Aber genau darin liegt natürlich auch eine Gefahr. Auf einem Campingplatz im nordrhein-westfälischen Lüdge konnten sich Männer jahrelang an Kindern vergehen, bis die Behörden einschritten.

In Bergisch-Gladbach spürten Ermittler seit 2019 ein riesiges Missbrauchsnetzwerk auf, mit Hunderten Tatverdächtigen, die Hunderttausende Fotos von sexuell missbrauchten Kindern in Umlauf gebracht hatten. In Münster wurde 2020 eine Frau verurteilt, weil sie ihrem Lebensgefährten ihren Sohn zum sexuellen Missbrauch überließ.

Geltendes Gesetz wird entschärft

Die große Koalition hat vor drei Jahren auf diese schweren Fälle von Kinderpornografie reagiert und die Strafen für Verbreitung, Erwerb und Besitz kinderpornografischer Inhalte verschärft. Doch dieses Gesetz soll nun zum Teil wieder entschärft werden - und das findet auch in der Unionsfraktion Zuspruch. Am Donnerstag hat sich der Bundestag in erster Lesung damit befasst.

„Vor drei Jahren, als wir die Gesetzesänderung beschlossen haben, hatten wir die Intention ein rechtspolitisches Zeichen zu setzen, auch aus generalpräventiven Gründen“, sagt Axel Müller, CDU-Bundestagsabgeordneter für den Wahlkreis Ravensburg. „Aber in der Praxis war die Umsetzung mit einem Pferdefuß verbunden.“

Unschuldige wurden wegen Besitz verurteilt

Konkret bedeutet dieser „Pferdefuß“: Gerichte hatten in den vergangenen drei Jahren mitunter Mühe, offensichtlich unschuldige Eltern oder Lehrer nicht wegen der Verbreitung kinderpornografischer Inhalte zu verurteilen.

Denn mit der Neufassung des Paragrafen 184b Strafgesetzbuch im Jahr 2021 war die Mindeststrafe für Verbreitung, Erwerb und Besitz kinderpornografischer Inhalte auf ein Jahr angehoben worden.

Da lief etwas aus dem Ruder.

Axel Müller, CDU-Bundestagsabgeordneter

Somit gilt jeder Fall, unabhängig vom sexuellen Interesse, als ein Verbrechen - mit der Folge, dass ein einziges Foto auf dem Handy ausreichen kann, um vor einem Schöffengericht angeklagt zu werden. Denn die Staatsanwaltschaften können eigentlich gar nicht anders. „Da lief etwas aus dem Ruder“, sagt Axel Müller, der früher selbst als Richter tätig war.

Neuer Gesetzesentwurf vorgelegt

Deshalb jetzt die Korrektur der Korrektur: Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) hat einen Gesetzentwurf vorgelegt, der vorsieht, die Mindeststrafen bei Kinderpornografie von einem Jahr auf sechs Monate beziehungsweise auf drei Monate zu verkürzen.

Juristisch betrachtet würde es sich dann um ein Vergehen handeln. Die Staatsanwaltschaften hätten dann wieder die Möglichkeit, in Fällen mit geringerem Unrechtsgehalt Geldstrafen zu beantragen. Oder sie könnten bei sehr geringem Verschulden das Verfahren sogar mit oder ohne Auflagen einstellen.

Kabinett hat Neufassung bereits zugestimmt 

Die Höchststrafen sollen allerdings so bleiben, wie es die große Koalition vor drei Jahren beschlossen hat - bei zehn beziehungsweise fünf Jahren. Das Bundeskabinett hat der Neufassung des entsprechenden Paragrafen im Strafgesetzbuch bereits zugestimmt, jetzt sind die Fraktionen im Bundestag und der Rechtsausschuss am Zug.

Mit viel Gegenwind muss die Bundesregierung bei diesem Gesetzesvorhaben nicht rechnen, und auch innerhalb der Ampel ist der Reformbedarf unstrittig. Es gehe darum, auf Dinge, die sich im Alltag von Eltern, Lehrern und Jugendlichen abspielten, juristisch angemessen reagieren zu können, sagt Irene Mihalic, Erste Parlamentarische Geschäftsführerin der Grünen-Fraktion im Bundestag.

Der Deutsche Richterbund, der Deutsche Anwaltverein und der Bund Deutscher Kriminalbeamter hatten bereits im Jahr 2021 vor der Verschärfung gewarnt - auch wegen des damit verbundenen Aufwands für die Ermittler.

„Wir mussten uns dadurch viel mit Schulhof-Chatgruppen beschäftigen, in denen Jugendliche diese schrecklichen Bilder teilten“, sagte der Vorsitzende des Bundes Deutscher Kriminalbeamter, Dirk Peglow, im Januar Tagesschau online. Es sei zu einer Häufung von Verfahren gegen Menschen gekommen, die nicht aus pädokrimineller Energie gehandelt hätten.

Einige dieser Fälle machten in den vergangenen Jahren Schlagzeilen. Die „Süddeutsche Zeitung“ berichtete unter anderem über eine junge Frau in Hamburg, selbst Opfer sexuellen Missbrauchs, die nur mithilfe eines Kniffs der zuständigen Staatsanwaltschaft einer Verurteilung entging. Sie hatte Fotos von nackten Mädchen aufgehoben, die ihr ihr früherer Peiniger geschickt hatte.

Mehrere ungerechte Fallbeispiele 

In Baden-Württemberg kam eine junge Frau vor Gericht, auf deren Handy durch einen automatischen Download kinderpornografisches Material gespeichert und von ihr aus Nachlässigkeit nicht gelöscht wurde. Das Amtsgericht Buchen im Norden Baden-Württembergs hätte sie deshalb zu einer Mindeststrafe von einem Jahr verurteilen müssen, minderschwere Fälle oder Fälle des unfreiwilligen Besitzes sind in der jetzigen Fassung des Gesetzes nicht vorgesehen. Die Richter hielten dies allerdings für verfassungswidrig und wandten sich, wie zuvor schon ein Amtsrichter aus München, mit einem Normenkontrollverfahren an das Bundesverfassungsgericht.

„Wenn Eltern auf den Handys ihrer Kinder kinderpornografische Fotos entdecken und sie zur Warnung an andere Eltern weiterleiten, muss der Staatsanwalt gegen sie eine Anklage betreiben“, sagt Axel Müller. „Auch wer etwas geschickt bekommt und mit Verzögerung zur Polizei geht, hat ein Problem.“ Die Einstufung als Verbrechen trifft auch viele Jugendliche, die auf dem Schulhof großtun wollen und mit entsprechenden Videos prahlen. Auch sie müssen mit einer Anklage zum Jugendschöffengericht rechnen.

Zahl der Fälle hat sich vervielfacht

Zahlen des Bundeskriminalamtes zur Kinderpornografie lassen zweierlei Schlüsse zu: Einerseits, dass tatsächlich mehr Fotos und Videos von missbrauchten Kindern im Netz kursieren. Andererseits, dass die Ermittler in Deutschland vor allem aufgrund von Hinweisen aus den USA mehr solcher Fälle entdecken. 2022 fanden die Ermittler 48.800 Missbrauchsdarstellungen von Kindern und Jugendlichen, die im Internet verbreitet wurden. Im Vergleich zu 2018 hat sich die Zahl der Fälle damit mehr als verzwölffacht.

In der Ampel-Koalition nach wie vor umstritten ist die Speicherung von IP-Adressen. Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) drängt darauf, dieses Instrument im Kampf gegen die Kinderpornografie zu nutzen. Justizminister Buschmann lehnt dies ab.