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Kriminalbeamter im Interview: Betrug mit Sozialleistungen: „Wird Zeit, die rosarote Brille abzunehmen“
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FOCUS online/Wochit Betrug mit Sozialleistungen: „Wird Zeit, die rosarote Brille abzunehmen“
  • FOCUS-online-Reporter

Spektakuläre Fälle von Sozialleistungsbetrug machen oft Schlagzeilen. Oliver Huth, Vorsitzender des Bunds Deutscher Kriminalbeamter in Nordrhein-Westfalen, kritisiert dabei Gesetzeslücken, die es kriminellen Clans beispielsweise zu leicht machen.

FOCUS online: Herr Huth, zuletzt machte ein Deutsch-Nigerianer aus Dortmund Schlagzeilen, weil er als Vater von 24 Kindern unterschiedlicher Frauen aus seinem Heimatland aufgetreten ist und geschätzt 1,5 Millionen Euro im Jahr aus den Sozial- und Familienkassen einstreicht. Warum ist das kein Betrug?

Oliver Huth: Gerade diesen Fall muss man sich differenziert anschauen. Die Anerkennung der Vaterschaft dient laut dem Gesetzgeber normalerweise dazu, eine emotionale Bindung zum Kind aufzubauen. Gerade das Wohl der Familie und der Aufbau einer behüteten Struktur sind durch das Grundgesetz besonders geschützt.

Bei 24 Nachkommen kann dies nicht funktionieren. Hier liegt ja der Verdacht nahe, dass dieser Mann mit der Masche nur Geld abkassieren will. Wenn aber die Staatsanwaltschaft sagt, dass hier kein Betrug vorliegt, sollte der Gesetzgeber den Bürgern mal erklären, warum solche angeblichen Väter dennoch staatliche Zuwendungen erhalten. Das kann man den Menschen in Deutschland nicht verkaufen.

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Christoph Reichwein/dpa Oliver Huth (m) während einer Pressekonferenz des LKA Düsseldorf

Offenbar gibt es weitere Fälle nach dem gleichen Muster. Heißt das, der Gesetzgeber fördert eine legale Abzocke?

Ich glaube, dass der Gesetzgeber hier eine Lücke offengelassen hat, die den Missbrauch solcher Leistungen fördert. Da muss die Politik eine neue Regelung schaffen. Es kann ja nicht sein, dass wir eine Person subventionieren, die meist in Afrika lebt und teure Autos mit einem Dortmunder Kennzeichen fährt.

Geschieht zu wenig, um Sozialbetrug zu verhindern?

Viel zu wenig. Bund und Länder stellen die häufig zuständigen Gemeinden und Städte unzureichend auf. Dazu kommt das Sozialgeheimnis, das allzu oft den Datenaustausch zwischen Strafverfolgern und Kommunalbehörden verhindert. Der Gesetzgeber begründet diesen Vorbehalt damit, dass Sozialleistungsempfänger nicht stigmatisiert werden sollen. Der BDK sieht dies anders.

Jeder Euro, der falsch ausgezahlt wird, schmälert die ohnehin klamme Haushaltskasse von Bund, Ländern und Kommunen . Deshalb muss jeder, der durch die öffentliche Hand subventioniert wird, auch die Karten auf den Tisch legen, warum er staatliche Stütze braucht. Etwas anderes kann man doch dem arbeitstätigen Bürger, der fleißig Steuern zahlt, nicht mehr verkaufen. Folglich braucht es wirksamere Kontrollmechanismen. Dabei geht es nicht um einen Kontrollstaat, sondern darum, etwa das Bürgergeld so zu verteilen, dass die staatlichen Institutionen sich nicht dem Verdacht der Veruntreuung von Steuermitteln aussetzen. 

Was muss konkret geschehen?

Zunächst einmal müssen auch die Kommunen sich personell viel besser im Kampf gegen den Sozialbetrug aufstellen. Es kann nicht sein, dass kriminelle Großfamilien in Villen wohnen, dort sogenannte Bedarfsgemeinschaften gründen, die Häuser teils mit Sozialleistungen finanzieren und gleichzeitig auf Diebestour gehen. Die Behörden bekommen gar nicht mit, dass diese Leute mit schweren Autos durch die Gegend fahren und sich gleichzeitig aus der Staatskasse alimentieren lassen. Wem will man denn so etwas noch erklären ?

Wo liegen die Fehler?

Neben dem Sozialgeheimnis liegt es an den eklatanten Kontrolllücken. Die Sozial-, Ausländer- und Jugendämter haben schlichtweg kein Personal, um etwa Hausbesuche bei Bürger- oder Kindergeldempfängern durchzuführen. Wir als Polizei dürfen auch nicht einfach bei den zuständigen kommunalen Stellen nachfragen, ob ein Tatverdächtiger Sozialleistungen bezieht. Meist durchforsten wir die Konten der Beschuldigten und gewinnen so Erkenntnisse, ob ein Sozialleistungsbetrug vorliegt. Ein entsprechender Verdacht wird natürlich auch den zuständigen kommunalen Behörden übermittelt.

Wenn wir aber einfach mal eine Abfrage an die Ämter zu einer verdächtigen Person stellen dürften, die gerade mit einem Ferrari an uns vorbeigefahren ist, wären wir einen großen Schritt weiter. Um etwa im niederschwelligen Kriminalitätsfeld gegen Sozialbetrug vorgehen zu können, ist der Gesetzgeber gefragt. Denn die derzeitigen Regeln helfen nur den Sozial-Gaunern. 

Das ist die alte Leier, um nicht gegen den Sozialmissbrauch vorgehen zu müssen. Es gibt keine zwei Meinungen, dass der Sozialstaat bedürftigen Menschen und Familien helfen muss. Aber nur dann, wenn der Anspruch berechtigt ist. Zugleich aber sollte der Staat über die Möglichkeit verfügen, die Ansprüche wirksam zu durchleuchten. Er muss Vaterschaften überprüfen können, Sachverhalte aufbereiten, ausländerrechtliche Fragestellungen aufklären, die mit möglichen Scheinehen verbunden sind, um Migranten ohne Chancen auf einen Asylstatus einen Vorteil zu verschaffen. Es wird endlich mal Zeit auf den Tisch zu hauen und die rosarote Sozialbrille abzunehmen. 

Warum passiert das nicht?

Da wäre politischer Mut gefragt, anstatt sich in verbohrter Parteiprogrammatik, verbunden mit einer sozialromantischen Ideologie, zu verlieren. Themen wie Ausländerrecht nebst Familiengründung diskutieren wir seit Ewigkeiten. Ich weiß noch, dass in Nordrhein-Westfalen unter der rot-grünen Landesregierung der damaligen SPD-Ministerpräsidentin Hannelore Kraft und ihrem Justizminister Thomas Kutschaty vor fast zehn Jahren die Ausländerbehörden im Rechtsausschuss des Landtages bereits darüber geklagt hatten, dass Männer vom Balkan sich ihr Aufenthaltsrecht ergatterten, in dem sie gefakte Vaterschaften übernahmen. Dabei ging es einzig und allein darum, den deutschen Steuerzahler zu schröpfen. Seither ist nichts passiert. 

Das ist es doch nicht alleine, wer ist auf dem Feld besonders aktiv? 

Häufig das Organisierte Verbrechen. Da agieren Residenten aus der Türkei oder Rumänien in Duisburg und anderen Ruhrstädten, die dann oft Roma-Familien herüberholen. Diese Menschen kommen aus ärmsten Verhältnissen hier hin, werden in Schrottimmobilien untergebracht und müssen horrende Mieten zahlen. Die Residenten organisieren für die Neuankömmlinge den Weg in die Sozialsysteme. Da wird etwa Kindergeld für Sprösslinge beantragt, die gar nicht in Deutschland leben . Ehe die Abzocke auffällt, ist das Geld längst weg. Staatsknete wandert überwiegend in die Taschen der Residenten und ihrer Hintermänner, die auf die Konten der Kindergeldempfänger zugreifen können.

Gibt es weitere Betrugsmaschen?

Klar, etwa der Schwindel mit den Bedarfsgemeinschaften. Dabei geben die Betrüger vor, mit mehreren Familienmitgliedern in einer Immobilie zu wohnen. Dafür fließen enorme Steuergelder, um den entsprechenden Wohnraum zu finanzieren. Tatsächlich aber leben viele Mitglieder dieser Bedarfsgemeinschaften gar nicht am angegebenen Wohnort. Auf diese Weise finanzierte etwa der kurdisch-libanesische Al-Zein-Clan seine Leverkusener Villa mit Hilfe von Hartz-IV-Leistungen (heute Bürgergeld die Red.). 

Wovon leben diese Sippen denn tatsächlich?

In erster Linie von ihren kriminellen Geschäften. Die Einkünfte werden durch einige Clan-Mitglieder als sauberes Geld deklariert, um bei Banken Immobilien-Darlehen zu erschleichen. Tatsächlich aber stammen die Mittel aus illegalen Machenschaften. Der Sozialbetrug ist nur ein nützliches Zubrot.

Sie sind Experte für Organisierte Kriminalität (OK) beim Landeskriminalamt. Nutzt auch die italienische Mafia den hiesigen Sozialstaat aus?

Eines ist mal klar, der Sozialleistungsbetrug ist bei allen Ethnien gleich üblich, ob Deutsche oder Ausländer. Der Missbrauch ist bei allen OK-Gruppen durchaus gängig. Das gilt auch für italienische Staatsangehörige, die der Mafia nahestehen. Aus abgehörten Telefonaten wissen wir, dass entsprechende Winkelzüge diskutiert wurden, um die Sozialkassen zu erleichtern. Das ist auch ein Grund dafür, dass sich so viele Mafia-Standorte in NRW befinden. Denn hier scheint es besonders leicht zu sein, Gaunereien durchzuführen.

Bei validen Daten zum Sozialleistungsbetrug tun sich die Behörden schwer. Nimmt man das Thema bei Justiz, Polizei und kommunaler Verwaltung nicht ernst?

Nicht besonders. Das Dunkelfeld scheint enorm hoch zu sein. Erst durch das Projekt MISSIMO beim Landeskriminalamt NRW haben wir eine Ahnung bekommen, welche Dimensionen etwa der Kindergeldmissbrauch in den Städten an Rhein und Ruhr tatsächlich ausmachen könnte. Das LKA offeriert den Kommunen einen Maßnahmen- und Kontrollkatalog, um herauszufinden, ob Familien rechtmäßig Kindergeld aus der Familienkasse beziehen oder nicht. Viele Kommunen haben das Angebot aber leider noch nicht angenommen. 

Warum nicht?

Etliche Städte und Gemeinden haben immer noch nicht begriffen, dass sie nicht nur Geber sind, sondern auch Teil der heutigen Sicherheitsarchitektur. Dazu braucht es entsprechend geschultes Personal; zudem müssen die Schreibtische mit der Polizei zusammengeschoben werden. Das beste Beispiel wie es funktionieren kann belegt die Sicherheitskonferenz Ruhr, die unter anderem dieses Problem konzertiert in Zusammenarbeit mit den Strafverfolgern angeht. Aber so etwas kostet Geld. Deshalb lassen viele Städte und Gemeinden alles beim Alten und drücken bei Verdachtsfällen lieber ein Auge zu. Bei Fällen, wie dem Al-Zein-Clan in Leverkusen, muss sich doch die Stadt fragen, wie es zu dem jahrelangen Leistungsmissbrauch kommen konnte. Bisher habe ich habe noch nichts gelesen, dass die Stadtoberen irgendwelche neue Gegenmaßnahmen ergriffen haben, um den Betrug zu verhindern.

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