Ein Streitgespräch über Rechtsextremismus: Wie rechts ist die Polizei?

NRW-Innenminister Herbert Reul (CDU), der Kriminologe Thomas Feltes und Kriminalhauptkommissar Sebastian Fiedler diskutieren über Rechtsextremismus.

Polizist schreibt etwas auf einen Zettel

Zu viel Corpsgeist in der Hundertschaft? Polizist bei der Ausbildung Foto: dpa

taz: Meine Herren, wie rechtsextrem ist die deutsche Polizei?

Herbert Reul: Die Polizei ist nicht rechtsextrem, aber es gibt zu viele rechtsextreme Polizisten in der Polizei.

68, ist seit 2017 Innenminister in NRW und CDU-Politiker. Als Minister verabschiedete Reul ein Polizeigesetz in NRW und setzte die Kennzeichnungspflicht aus. Als unlängs rechtsextreme Polizei-Chatgruppen aufflogen, sprach Reul von einer „Schande“.

Sebastian Fiedler: Stimmt, es gibt zu viele Fälle. Von wie vielen Fällen wir wissen, hat das neue Lagebild, das Bundesinnenminister Seehofer in der vergangenen Woche vorgestellt hat, aufgezeigt. Das ist der Status quo.

Thomas Feltes: Was wir da gehört haben, sind ja nicht die Fälle, die wir tatsächlich haben. Derzeit werden tröpfchenweise neue bekannt. Da muss dringend eine Klärung her.

Im Lagebild ist von 377 rechtsextremen Verdachtsfällen in den Sicherheitsbehörden die Rede, 45 davon aus NRW. Beschreibt das die Realität?

Reul: Das war die Beschreibung im März, mittlerweile haben wir ja weiter aufgearbeitet und inzwischen 104 Fälle, weitere 38 Hinweise prüfen wir. Aber ich finde diese Reduzierung auf Fallzahlen nicht zielführend. Ich weiß, dass die allermeisten Polizisten einen super Job machen und zuverlässig arbeiten. Ich weiß aber, dass es auch Probleme gibt, und das auch nicht erst seit gestern.

Herbert Reul

Herbert Reul, Innenminister von Nordrhein-Westfalen Foto: dpa

Fiedler: Natürlich beschreibt das Lagebild nur das Hellfeld. Und weil Bund und Länder jetzt aktiv werden, ist damit zu rechnen, dass wir noch mehr sehen werden. Es ist berechtigt zu fragen, was uns das Fällezählen hilft. Entscheidend ist, was wir machen.

69, ist Professor für Kriminologie und Polizeiwissenschaft. Bis 2019 lehrte er an der Ruhr-Universität Bochum, heute als Seniorprofessor. Er ist Jurist und Erziehungswissenschaftler. Seit 40 Jahren beschäftigt er sich mit der Polizei.

Feltes: Herr Fiedler, das ist ja nicht mal das Hellfeld. Wir alle wissen, dass Fälle zwar bekannt, aber nicht offiziell gemeldet werden und dann eben nicht in einer Statistik auftauchen. Natürlich kann es nicht allein um Zahlen gehen. Wir müssen wissen, in welchem Kontext solche Ereignisse geschehen und wie die Polizei damit umgeht. Ich würde nicht von strukturellem Rassismus sprechen. Es sind immer einzelne Personen, die rassistisch sind. Aber es gibt ein strukturelles Problem bei der Polizei. Und das liegt im Umgang mit Rechtsextremismus und Rassismus. Darüber müssen wir reden.

Innenminister Seehofer hat eher Entwarnung gegeben. Bei der Präsentation des Lagebildes betonte er, über 99 Prozent der Polizist:innen stünden auf dem Boden des Grundgesetzes. Und ein strukturelles Problem gebe es nicht.

Thomas Feltes

Thomas Feltes, Kriminologe Foto: Katja Marquard

Feltes: Diese 99 Prozent tauchen immer wieder auf. Wenn man das eine, fehlende Prozent auf die deutsche Polizei runterrechnet, wären es 3.000 Fälle pro Jahr. Aber wir wissen gar nicht, ob es um 99 oder 95 oder wie viel Prozent auch immer geht.

48, Kriminalhauptkommissar, ist Vorsitzender des Bundes deutscher Kriminalbeamter (BdK), dem Gewerkschaftsverband für KriminalpolizistInnen. Fiedler war früher beim LKA in Düsseldorf und ist Experte für Wirtschaftskriminalität.

Fiedler: Die 99 Prozent sind ein sprachliches Bild. Was Herr Seehofer und vermutlich alle Innenminister vermitteln wollen, ist, dass die Masse der Beschäftigten in den Sicherheitsbehörden keine Probleme mit Rassismus oder Rechtsextremismus hat.

Herr Reul, wenn wir gar nicht wissen, wie groß der Anteil wirklich ist, wie kann man da Entwarnung geben?

Reul: Das kann man nicht, das hat Herr Seehofer aber auch nicht gemacht. Aber ich mache nicht mit, alle Polizisten generell zu kritisieren. Die Frage ist für mich nicht, ob es viele oder wenige problematische Fälle gibt, sondern warum es diese gibt und was wir tun müssen, damit es die in Zukunft nicht mehr gibt. Wir wissen durch Studien, dass bei Polizeianwärtern durch die Ausbildung die Affinität zu Rassismus und Rechtsextremismus sinkt. Das Problem entsteht also später.

Ist es zur Bekämpfung des Problems nicht wichtig zu wissen, ob es um ein oder fünf oder zehn Prozent der Beamt:innen geht? Warum sträuben Sie sich gegen eine Studie, die das ermittelt?

Sebastian Fiedler

Sebastian Fiedler, Kommissar und Gewerkschafter

Reul: Ich sträube mich gegen eine symbolische Studie. Studien mit langer Entstehungszeit, bei denen manchmal der Autor vorher schon weiß, was herauskommen soll, wird es mit mir nicht geben.

PolizistInnen in einer rechten Preppergruppe, „NSU 2.0“-Drohmails mit Polizeidaten, ein Polizeimitarbeiter unter Terrorverdacht oder rechtsex­treme Chatgruppen von Beamten: Seit Monaten reißt die Debatte über rechtsextreme Umtriebe in der Polizei nicht ab. Erst im September wurden in NRW Chatgruppen von PolizistInnen aufgedeckt, in denen diese Hitlerbilder austauschten.

Nach Zahlen der Zentralstelle „Rechtsextremisten im öffentlichen Dienst“ gab es von 2017 bis April 2020 insgesamt 377 rechtsextreme Verdachtsfälle bei den Sicherheitsbehörden, dazu 1.064 Fälle bei der Bundeswehr. Bundesinnenminister Seehofer lehnt eine Studie zum Rechtsextremismus in der Polizei ab, ebenso zur Praxis des Racial Profiling, bei dem Kontrollen allein aufgrund der Hautfarbe erfolgen. (taz)

Feltes: Welcher Professor kennt denn schon vor Studienbeginn seine Ergebnisse, Herr Reul? Das ist ein ziemlich starker Vorwurf für ein Mitglied der Landesregierung. Damit diskreditieren Sie Wissenschaft.

Fiedler: Wir müssen doch zwei Dinge auseinanderhalten: Eine Studie bringt keine neuen Fälle zutage. Sie soll dazu dienen, Einstellungen von Beamten zu erheben. Eine solche Studie fordern wir seit einem Jahr.

Feltes: Untersuchungen zu gesellschaftlichen Einstellungen gibt es bereits, unter anderem die „Mitte-Studie“ von Andreas Zick in Bielefeld. Damit kommen wir nicht weiter. Zumal Einstellungen alleine in diesem Kontext nicht wirklich hilfreich sind. Die Polizisten wissen bei solchen Studien ja, worum es geht, und äußern sich gegebenenfalls entsprechend. Deshalb hätte ich als Wissenschaftler bei einer reinen Einstellungsstudie von vornherein große Bedenken, was die Validität angeht.

Was brauchen wir dann?

Feltes: Man muss mit Fallkonstellationen arbeiten, um hinter die Einstellungen zu schauen und zu überprüfen, wie sich Polizeibeamte in bestimmten Situationen verhalten. Für mich ist dabei das Verhalten der Vorgesetzten entscheidend.

Thomas Feltes, Kriminologe

„Tun Sie doch nicht so, als würde die Polizei ständig gegen KollegInnen ermitteln“

Laut der erwähnten „Mitte-Studie“ haben 15 bis 20 Prozent der deutschen Bevölkerung einzelne demokratiefeindliche Einstellungen, etwa 6 Prozent ein geschlossenes rechtsextremes Weltbild. Warum sollte das bei der Polizei anders sein?

Feltes: Dahinter steht die Frage, ob die Polizei ein Spiegelbild der Gesellschaft ist. Ich weiß es nicht. Man kann argumentieren, dass das so ist. Oder sagen, die Polizei arbeitet in Bereichen, wo sich solche Tendenzen mit der Zeit verstärken. Der Anteil könnte also sogar noch höher sein.

Fiedler: Die Polizei ist nicht Spiegelbild der Gesellschaft und darf das auch nicht sein. Sie ist ein Ausschnitt der Gesellschaft. Sonst bräuchten wir ja gar keine Auswahlverfahren machen und müssten nicht ausbilden, mit Inhalten wie interkulturelle Kompetenz.

Aber es gibt es auch die These, dass die Polizei gerade für autoritäre Charaktere attraktiv ist.

Fiedler: Das glaube ich nicht. Die Untersuchung der Hochschule in Nordrhein-Westfalen, die Herr Reul angesprochen hat, spricht eine andere Sprache: Im Verlauf von Ausbildung und Studium werden die Probleme weniger. Das nährt die These, dass die Ursachen im Arbeitsalltag in geschlossenen Dienstgruppen zu suchen sind.

Heißt was?

Fiedler: Dazu gehört zum Beispiel die Arbeit in Stadtquartieren, wo Beamte täglich mit problematischen gesellschaftlichen Schichten zu tun haben, wo sie Straftäter festnehmen, die keinen deutschen Ausweis haben, und feststellen, dass die Justiz nicht so funktioniert, wie sie ihrer Einschätzung nach funktionieren sollte. Und dann weiß man seit Jahrzehnten, dass Gruppendruck und Konformität unheimlich starke psychologische Faktoren sind. Die Frage ist doch, wie die, die in diesen Gefügen einen starken Gruppendruck empfinden, sich bei Problemen trotzdem trauen, sich nach außen zu wenden. Wie also Hinweisverfahren funktionieren und wie mit diesen Hinweisen umgegangen wird.

Herr Reul, Ihr Bundesland ist ja gerade Epizentrum der Debatte. Kürzlich wurden rechtsextreme Chatgruppen von PolizistInnen aufgedeckt. 31 BeamtInnen mussten suspendiert werden. Das Ganze ist zufällig aufgeflogen, keiner der Betroffenen hatte die Hitlerbilder und Hakenkreuze gemeldet. Warum nicht?

Reul: Das wissen wir nicht. Diese Gruppe hat sich anscheinend so verselbstständigt, dass keiner mehr ausgeschert ist und den Mund aufgemacht hat. Das zeigt, dass wir die Fehlerkultur in der Polizei verbessern müssen. Und ich erwarte vom Führungspersonal, dass es aufpasst und sich kümmert.

In der Chatgruppe war ein Dienstgruppenleiter, der hat nichts unternommen.

Reul: Das meine ich ja damit.

Feltes: Herr Reul, mir kann doch keiner erzählen, dass den Beamten, die an diesen Chatgruppen beteiligt waren, in all den Jahren nicht auch im Alltag das eine oder andere rausgerutscht ist. Wahrscheinlich wollte es niemand wissen. Das ist das eigentliche Problem. Und wir hatten solche Chatgruppen auch unter Polizei-Azubis, in NRW und in Baden-Württemberg. Die Ausbildung schützt nicht. Die Vorgesetzten müssen sensibilisiert werden und dann intervenieren. Aber Intervention über Sanktionen ist der falsche Ansatz. Disziplinarmaßnahmen haben vor Verwaltungsgerichten oft keinen Bestand. Es muss sensibilisiert werden, geholfen und unterstützt.

Reul: Ich halte es schon für richtig, die zu sanktionieren, die wir erwischen. Aber das Ziel ist, eine Kultur in der Polizei zu entwickeln, wo man selbstbewusst miteinander umgeht und wenn Kollegen sich unangemessen verhalten, sich auch einmischt. Und dass man denen hilft, die im Berufsalltag nicht mehr mit den großen Fragen klarkommen. Das kann Supervision sein, das können andere Arbeitsmöglichkeiten sein.

Feltes: Wir wissen doch schon lange, dass es Belastungsmomente gibt. Ich fordere seit 20 Jahren ein Rotationsprinzip, in problematischen Bereichen nach zwölf Monaten. Aber das wird wegen des Widerstands der Gewerkschaften nicht umgesetzt. Da wünsche ich mir von der Politik ein Machtwort.

Reul: Von Rotationen um jeden Preis halte ich nichts. Vorgesetzte müssen merken, wenn etwas schiefläuft, und dann eingreifen.

Fiedler: Ich weiß nicht, welche Gewerkschaften Sie meinen, Herr Feltes. Diese Maßnahme liegt doch auf der Hand. Problematisch wird es, wenn es konkret wird. Merkt der Vorgesetzte, wenn einer abdriftet? Und wo schiebt man die Beamten hin? Das ist nicht ganz so trivial.

Welche Rolle genau spielt die Polizeikultur, dieser Corpsgeist: Man kennt sich, man deckt sich, man will nicht Denunziant sein?

Reul: Ich glaube, dass es in Chatgruppen von Lehrern oder Journalisten ähnliche Probleme gibt. Aber bei uns darf es das nicht geben. Wer nicht die Menschenwürde und den Rechtsstaat verteidigt, kann kein Polizist sein.

Fiedler: Wir beschäftigen uns seit Jahrzehnten mit solchen Fragen. Nehmen wir die Korruptionsbekämpfung. NRW hat seit 15 Jahren eine Korruptionshotline beim LKA, bei der sich Personen melden können, die zum Beispiel feststellen, dass sich Kollegen in ihrem Umfeld schmieren lassen. Es gibt in der Frage der Hinweisgeber-Systeme auch eine EU-Richtlinie, die umzusetzen ist. In unserem Beruf gilt aber auch: Wir vertrauen uns im Zweifelsfall unser Leben an. Deshalb ist es gut und richtig, dass man sich aufeinander verlassen kann. Es wird aber schwierig, wenn es solche Radikalisierungstendenzen gibt.

Feltes: Es gibt viele Berufsgruppen, die unter extremem Druck arbeiten und sich aufeinander verlassen müssen, von der Sozialarbeit bis zur Intensivmedizin. Dort weiß man, dass man Unterstützung braucht. Die Polizei hat das über Jahrzehnte vernachlässigt. Und sie hat ein festes Muster entwickelt, auch beim Thema Polizeigewalt: Alle stehen drumherum und tun nichts. Das lässt sich nur mit einer falschen Fehlerkultur erklären: Es dürfen keine Fehler gemacht werden, und passiert es doch, werden sie vertuscht. Das habe ich selbst erlebt, als ich zehn Jahre Rektor an einer Polizeihochschule in Baden-Württemberg war. Das ist eine toxische Subkultur.

Fiedler: Mit diesem Label beleidigen Sie meinen Berufsstand! Gerade unsere Kriminalpolizei ermittelt ständig gegen Kolleginnen und Kollegen, und zwar professionell und erfolgreich.

Feltes: Wie viele Fälle gibt es denn da im Jahr?

Fiedler: Das kann ich spontan nicht sagen.

Feltes: Eben. Weil es Fälle im zweistelligen Bereich sind. Tun Sie doch nicht so, als würde die Polizei ständig gegen KollegInnen ermitteln. Und ich habe auch keine Person beleidigt, sondern mir geht es um die Struktur. Da gibt es ein Problem. Und je mehr man das negiert, umso schlimmer wird es.

Fiedler: Und je mehr man pauschalisiert, umso schlimmer wird es. Man kann darüber sprechen, an welchen Stellen die Fehlerkultur der Polizei zu verbessern ist. Aber zu behaupten, die ganze Polizei habe eine unterirdische Fehlerkultur, erweist uns einen Bärendienst.

Herr Reul, sehen Sie eine toxische Subkultur in der Polizei?

Reul: Es lebe das Vorurteil. Die Wahrheit ist: Die Menschen sind sehr unterschiedlich und die Polizei ist es auch. Die Behauptung, alle Polizisten hätten keinen Mut, etwas gegen Missstände zu sagen, stimmt nicht. Die meisten Hinweise der letzten Wochen über Fehlverhalten von Polizistinnen und Polizisten kamen aus der Polizei. Und es gibt keine pauschal schlechte Struktur. Aber Herr Feltes hat recht, dass wir daran arbeiten müssen, dass die Fehlerkultur in der Polizei besser wird.

Und wie?

Reul: Anfangen, selber Vorbild sein und ein anderes Verhalten einfordern. Ich verlange in jeder Rede und bei jeder Vereidigung, dass die Beamten ihrem Eid auf die Verfassung folgen: Die Würde des Menschen ist unantastbar. Ich fordere sie auf zu melden, wenn etwas schiefläuft. Dafür habe ich Extremismusbeauftragte in allen Polizeibehörden eingeführt, damit niedrigschwellig gemeldet werden kann. Mein Ziel ist, dass die Polizisten diese Dinge selber klären und hinweisen: So geht es nicht.

Zuletzt sendeten Sie an Ihre Polizisten aber auch andere Signale: Sie sagen den „Clans“ den Kampf an, mit einer Politik der Nadelstiche. Die Polizei Essen arbeitet dabei mit einer Broschüre, in der „Clans“ per se als kriminell abgestempelt wurden. Lenkt das nicht auch polizeiliches Handeln in eine falsche Richtung?

Herbert Reul, NRW-Innenminister

„Die Polizei ist nicht rechtsextrem, aber es gibt zu viele rechtsextreme Polizisten in der Polizei“

Reul: Die Broschüre ist nicht so, wie sie in der Öffentlichkeit dargestellt wird. Der Einsatz gegen Clans verschafft Vertrauen und sollte jetzt nicht in dieser Form problematisiert werden.

Feltes: Für mich ist sie eine indiskutable Zusammenstellung von Pauschalisierungen und Stigmatisierungen, die durch nichts belegt sind. Dass der Essener Polizeipräsident sie abgesegnet hat, ist ein Skandal. So werden Brücken zu jungen Menschen aus dieser Zielgruppe abgebaut. Ihnen wird vermittelt: Es ist politisch gewollt, gegen euch alle repressiv vorzugehen.

Fiedler: Sie reden Phänomene klein und diskreditieren Polizeiarbeit! Wir reden hier von organisierter Kriminalität und tausenden Straftätern allein im Hellfeld.

Reul: Das Problem wurde 30 Jahre in NRW nicht angefasst. Eine Politik, nicht über Clans zu reden und nichts zu tun, weil das zu Stigmatisierung führen könnte, hat dazu beigetragen, dass die Bevölkerung der Polizei und dem Staat nicht mehr traut.

Feltes: Ich sehe vor allem unverantwortliche Symbolpolitik.

Besteht hier nicht die Gefahr, nämlich die des Racial Profiling? Berliner Polizisten räumten zuletzt ein, dass es diese Praxis gibt. Auch Betroffene berichten davon und von einem Verlust des Vertrauens in die Polizei. Kann man das so einfach hinnehmen?

Fiedler: Wer tut das denn? Racial Profiling ist rechtswidrig, und es ist auch unprofessionell, weil es uns nicht zum polizeilichen Ziel führt. Ich kenne allerdings auch die Berichte von Migrantenverbänden, sie sind äußerst ernst zu nehmen. Wir sind auf das Vertrauen der Bevölkerung angewiesen, der kompletten Bevölkerung. Aber es bedeutet auch nicht, dass das Erscheinungsbild keine Rolle spielen darf in der Polizeiarbeit.

Reul: Ich kenne keine Zahlen, dass das Vertrauen in die Polizei schwindet. Aber es gibt Probleme. Es gibt aber auch willkürliche Vorwürfe, die ich nicht akzeptiere. Wo sie berechtigt sind, wird ihnen nachgegangen.

Feltes: Es ist schade, dass auch beim Racial Profiling von der Politik seit Jahren Studien blockiert werden. Dabei gibt es fast niemanden mehr in Deutschland, der dieses Problem negiert. Den Verlust des Vertrauens von jungen Menschen mit Migrationshintergrund in die Polizei gibt es tatsächlich – eine Gruppe, die in den nächsten Jahren eine große Rolle in unserer Gesellschaft spielen wird.

Wie kommen wir zum Kulturwandel in der Polizei?

Reul: Also eine Debatte, die die Polizei an den Pranger stellt, hilft überhaupt nicht weiter. Eine Politik, die die wirklichen Probleme der Polizei benennt und mit dieser gemeinsam versucht, sie zu lösen, das muss der Weg sein.

Feltes: Es ehrt Sie, Herr Reul, dass Sie das Problem von oben lösen wollen. Aber meine Erfahrung zeigt: Innenminister kommen und gehen, die Polizei bleibt, wie sie ist. Ihre Möglichkeiten sind beschränkt. Wir brauchen eine breite Diskussion innerhalb der Polizei.

Fiedler: Also unser Verband und ich widmen uns diesem Thema seit anderthalb Jahren intensiv. Im gesamten Vorstand ist die Stimmung da sehr eindeutig. Und das sind ja alles demokratisch gewählte Kolleginnen und Kollegen, die aus der Breite der Belegschaft kommen.

Feltes: Und wir brauchen auch noch ein Zweites: externe Meldestellen. Sonst besteht die Gefahr, dass durchsickert, wo der Hinweis herkam, und dann wird geschasst und gemobbt.

Fiedler: Mit so einer Stelle hätte ich kein Problem. Für die Bundeswehr gibt es den Wehrbeauftragten, angedockt an den Bundestag. Wir benötigen auch unabhängige Beauftragte für die Polizei bei den Parlamenten, die als Anlaufstelle für die Polizeibeschäftigten dienen.

Reul: Bevor ich vor drei Jahren ins Amt kam, gab es keinen Polizeibeauftragten. Den haben wir nun eingeführt.

Der ist aber Ihnen unterstellt und nicht unabhängig.

Reul: Wenn der Beauftragte nicht funktioniert, können wir über was Neues nachdenken. Jetzt probieren wir das aus.

Fiedler: Wir haben bisher einen wichtigen Punkt gar nicht besprochen: die Strategien der Rechtsextremen sowie ihres parlamentarischen Armes. Deren Hauptziel ist die Destabilisierung unseres demokratischen Rechtsstaats. Dabei adressieren sie gezielt auch die Sicherheitsbehörden mit rechten Narrativen, die vor allem in Brennpunktrevieren Wirkung entfalten. Das Risiko für die dort tätigen Kolleginnen und Kollegen, Vorurteile herauszubilden, ist damit ein doppeltes: durch die während der Arbeit gemachten Erfahrungen und durch die Einwirkung von rechts außen.

Reul: Diese Gefahr wird unterschätzt, eindeutig. Aber ich glaube, dass die Beamten widerstandsfähig sind. Wenn wir wissen, dass bestimmte Polizisten anfällig sind, weil sie an der Grenze der Belastbarkeit arbeiten, dann müssen wir sie unterstützen. Wir müssen ihre Arbeitssituationen prüfen und Konzepte entwickeln, mit denen wir mögliche Probleme schnell und nachhaltig lösen.

Feltes: Was mir auffällt: Wir reden hier von einer Unmenge Maßnahmen, aber Herr Reul, Sie bestreiten ein strukturelles Problem. Aber wenn wir so viele Lösungen brauchen, gibt es dieses Problem nicht vielleicht doch? Wir haben in der Polizei bisher keine positive Kultur. Genau das muss sich ändern, und da reichen auch ein paar Maßnahmen in NRW nicht.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.