«Es ist immer auch ein Katz-und-Maus-Spiel»: Drogenbanden schmuggeln Rekordmengen an Kokain über den Hamburger Hafen

Polizei und Zoll sind alarmiert, Hafenbetreiber haben die Sicherheit verstärkt. Doch das nützt wenig, wenn die Drogenmafia Insider im Hafen hat. Mit Kampagnen sollen jetzt die Mitarbeiter wachgerüttelt werden. Europa wird gerade von Kokain überflutet.

Susann Kreutzmann, Hamburg 7 min
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Der Hamburger Hafen ist der grösste in Deutschland und der drittgrösste Containerhafen in Europa.

Der Hamburger Hafen ist der grösste in Deutschland und der drittgrösste Containerhafen in Europa.

Markus Tischler / Imago

«Er sagt, er braucht den Stellplatz des Containers.» - «Ich sollte ihm ein Foto von dem Siegel schicken.» - «Wir kannten uns vom Sport.» - «Als ich nicht mehr wollte, schickten sie mir ein Foto meiner Tochter.» All das sind keine Szenen aus Mafia-Filmen oder einer Serie über kolumbianische Drogenbosse. Das ist Realität im Hamburger Hafen und jetzt Teil einer Kampagne, in der Mitarbeiter vor Anwerbeversuchen gewarnt werden. Die Sorge ist gross, dass Deutschlands Seehäfen zum bevorzugten Umschlagplatz für den internationalen Drogenschmuggel werden. Experten sehen dafür Hinweise.

In den vergangenen Jahren hat der Zoll in Hamburg Rekordmengen an Kokain aufgespürt. Trotzdem wird Europa von dem weissen Pulver regelrecht geflutet. Die entscheidende Frage ist immer: Wie kommt das Kokain aus dem Hafengelände? Ohne bestochene Mitarbeiter des Hafens, der Reedereien oder Speditionen gelingt das nicht.

Der Hafen Hamburg ist der grösste Seehafen Deutschlands und der drittgrösste Containerhafen nach Rotterdam und Antwerpen in Europa. Noch liefern sich Drogenbanden hier keine gewaltsamen Revierkämpfe wie in den Niederlanden oder Belgien. Da dort die Sicherheitsvorkehrungen in den Häfen aber verschärft wurden, befürchten Experten eine stärkere Verlagerung nach Deutschland.

«Der Drogenschmuggel ist schon da. Die Frage ist, ob wir es in Deutschland auch mit einer Gewalteskalation zu tun bekommen», sagt Robin Hofmann von der Universität Maastricht, der dort Strafrecht und Kriminologie unterrichtet. «Die neuralgischen Punkte sind ganz klar die Häfen. Dort kommen die Drogen rein.» Im vergangenen Jahr wurden allein im Hamburger Hafen laut Hamburger Senat 33,9 Tonnen Kokain sichergestellt.

Seit 2018 hat sich die Menge an sichergestelltem Kokain in Deutschland versiebenfacht

Menge des sichergestellten Kokains in Deutschland, in Tonnen

Lange haben Politiker und Behörden den Kokainschmuggel über deutsche Seehäfen nicht ernst genug genommen. Drogenbanden hatten es leicht, die Sicherheitsmassnahmen waren zu lasch. Jetzt schlägt die deutsche Regierung Alarm. Vor zwei Monaten reiste die Innenministerin Nancy Faeser nach Südamerika; nun hat sie für den 7. Mai zu einem Treffen zur Hafensicherheit mit ihren Amtskollegen aus europäischen Ländern nach Hamburg eingeladen.

Das Geschäft für die Kokainmafia ist hoch lukrativ. Experten gehen davon aus, dass nur maximal zehn Prozent der eingeschmuggelten Drogen gefunden werden. Die Gewinnmargen sind enorm: Ein Kilo Kokain gibt es in Südamerika schon ab 1000 Dollar. Der Strassenwert kann in Europa 50 000 Euro oder sogar mehr betragen.

Erst Anwerbung, dann Bedrohung der Familie

Der Blick auf die Quai-Anlagen und die historischen, nachts beleuchteten Hafenkräne gehört seit mehr als hundert Jahren zum Panorama von Hamburg. Die Hamburger schauen voller Stolz auf das Tor nach Übersee und Fernost. Auf dem rund 70 Quadratkilometer weit verzweigten Hafengelände gibt es heute vier hochmoderne Containerterminals, in denen sich die bis zu 20 Tonnen schweren Stahlboxen zu Türmen stapeln. In weiteren Terminals werden Stückgut oder auch Öl verladen. Ein Geflecht von 43 Kilometern Quai-Mauer durchzieht das Gelände an der Elbe, rund 120 Kilometer von der Nordsee entfernt – und es ist schwer zu kontrollieren.

Einfahrt des mit 400 Metern Länge weltweit grössten Containerschiffes «Ever Glory» in den Hamburger Hafen.

Einfahrt des mit 400 Metern Länge weltweit grössten Containerschiffes «Ever Glory» in den Hamburger Hafen.

Imago

Europol zählt Hamburg zu den am stärksten im Visier der Drogenbanden stehenden Häfen. Auch hier an der Elbe werden die Verstecke der Banden immer raffinierter und die Anwerbeversuche von Insidern im Hafen brutaler. Die Masche ist immer ähnlich: Zunächst wird ein harmloser Kontakt beispielsweise zu Disponenten einer Reederei, Staplerfahrern, Mitarbeitern in den Kühlzentren, privaten Sicherheitsleuten oder Lastwagenfahrern aufgebaut. Dann kommen die Forderungen, oft auch die Drohungen gegen die Familie. In den letzten grossen Drogenprozessen in Hamburg sassen immer auch sogenannte Innentäter, also Kontaktpersonen aus dem Hafen, auf der Anklagebank.

Die Behörden und auch die grössten Terminalbetreiber HHLA und Eurogate haben deshalb Mitarbeiterkampagnen gestartet, Hotlines und anonyme Meldestellen eingerichtet.

Die gängige Methode der Schmuggler ist, das Kokain einer legalen Fracht beizuladen – in Bananenkisten, Kaffeesäcken oder hinter einer doppelten Wand. Beliebt sind auch Lüftungsaggregate an Kühlcontainern. Über die Kontaktpersonen kommen die Banden an Zugangskarten für das Gelände oder an Informationen in IT-Systemen, über die die Position der Container jederzeit abrufbar ist. Anhand von gefälschten Referenzcodes werden die Container dann abgefangen. Der legale Empfänger der Ware ist oft nicht involviert. Mehr als 6000 Lkw passieren jeden Tag den Hafen. Auch wenn in der jüngsten Vergangenheit die Sicherheitsüberprüfungen verschärft wurden, gibt es immer noch Schlupflöcher.

Mit Bolzenschneider und GPS-Tracker auf dem Hafen

Im sechsten Stock in der neuen Hafencity sitzt Michael Schrader in seinem Büro an einem gläsernen Konferenztisch. Er leitet seit einem Jahr das Hauptzollamt Hamburg, mit rund 2000 Mitarbeitern das grösste in Deutschland. Die Erwartungen an seine Behörde sind enorm: Der Zoll soll schnell sein, Markenpiraterie aufdecken, die Bundeskasse mit Steuermilliarden füllen und auch noch die internationale Drogenmafia bekämpfen. Es sei sehr viel mehr Kokain im Umlauf als in den Jahren zuvor, sagt Schrader nachdenklich. «So grosse Mengen haben wir noch nie beschlagnahmt.» Die Nachfrage sei da, das sei ein gesellschaftliches Problem.

Schrader ist seit fast 40 Jahren beim Zoll, er kennt die Tricks der Schmuggler. Doch manchmal ist auch er noch überrascht. So zum Beispiel vor einem Jahr. In das hochmoderne, fast komplett automatisierte Terminal Altenwerder drangen nachts immer wieder Gruppen von Männern ein, ein knappes Dutzend Mal hintereinander.

Die jungen Männer hatten Bolzenschneider, Plomben zum Versiegeln von Containern, GPS-Tracker dabei – alles Utensilien, um eine grössere Kokainmenge zu suchen. Etwa 40 Männer meist niederländischer Nationalität wurden festgenommen und wieder freigelassen. Ihnen konnte nur Hausfriedensbruch zur Last gelegt werden.

Um auf das Terminal zu gelangen, mussten die Niederländer nur einen Zaun durchschneiden. Schrader gibt zu: «Wir haben in der Vergangenheit die Sicherheit im Hafen vernachlässigt. Da waren wir wohl etwas blauäugig.» Jetzt würden der Zugang zum Hafen und die Prozesse sicherer gemacht.

Aber auch der Chef der Zollverwaltung gibt sich keinen Illusionen hin. Kontrollen allein, auch wenn sie technisch noch so ausgeklügelt sind, helfen wenig. Der internationale Austausch mit anderen Behörden ist wichtig. «Wenn Schmuggler ihre Strategie ändern, müssen wir uns schnell anpassen. Es ist immer auch ein Katz-und-Maus-Spiel», sagt Schrader.

Nur rund zehn Prozent der Container aus Südamerika werden vom Zoll inspiziert, insgesamt im Hafen sind es rund zwei Prozent. «Wir schauen uns die Waren unter verschiedenen Aspekten genau an und kommen dann zu einer Risikoanalyse.» Wo kommt die Fracht her, was soll laut Papieren drin sein, gibt es Unregelmässigkeiten, haben die Kollegen in anderen EU-Häfen schon kontrolliert?

Zu den effektivsten Kontrollmethoden gehören die Durchleuchtungsstationen. Der Container wird unter dem Röntgenapparat durchgefahren, das dauert nur wenige Minuten. Die hochaufgelösten Bilder werden dann zu Experten geschickt und analysiert. Schwierig wird es auch hier, wenn Kokain in flüssiger Form geschmuggelt wird, wie es wieder vermehrt vorkommt. Schmuggler befestigen auch häufiger grosse Mengen von Kokain am Rumpf von Schiffen. Dafür gibt es Unterwasserdrohnen, die eingesetzt werden, manchmal auch Taucher. Der Aufwand ist enorm.

Stolz sind die Zöllner auf eine neue und effiziente Methode, die erst seit kurzem zum Einsatz kommt. Damit die Container für die Kontrolle nicht geöffnet und ausgeräumt werden müssen, wird Luft aus der Stahlbox abgesaugt. Spürhunde beschnüffeln diese dann auf mögliche Rauschgiftspuren.

Kampf gegen Geldwäsche ist entscheidend

«Ich bin etwas skeptisch, wie wirksam Massnahmen für mehr Hafensicherheit sind. Das sind eher homöopathische Mittel», sagt der Kriminologe Robin Hofmann. «Wenn ein paar hundert Kilo entdeckt werden, haben die Gangs das als Verlustmarge einkalkuliert.» Er ist überzeugt, dass bei der Bekämpfung des Drogenhandels grundsätzlicher vorgegangen werden müsse.

Auch Hafenbetreiber und Reedereien sollten stärker in die Pflicht genommen werden, meint Hofmann. Personen, die Geldwäsche erst möglich machen, müssten stärker zur Verantwortung gezogen werden, wie Anwälte, Finanzberater, Banker, Makler und Galeristen. «Dadurch wird das Geschäft erst möglich. Man schaut aber einfach weg.»

Und der Kriminalwissenschafter fragt sich, was die Konsumenten eigentlich antreibt. «Warum ist Kokain eine Lifestyle-Droge? Was passiert da eigentlich in der Gesellschaft? Junge Menschen leben achtsam, machen Yoga und kaufen keine Produkte mit Palmöl. Aber sie ziehen sich am Wochenende Kokain rein», sagt Hofmann.

Für Michael Labetzke, stellvertretender Vorsitzender vom Bund Deutscher Kriminalbeamter, ist der Schmuggel von Kokain schon lange ein Problem der nationalen Sicherheit. «Ich finde es schade, dass man bei diesem Thema noch nicht weitergekommen ist», sagt er.
Mittlerweile seien die Strukturen verfestigt, Geld in Milliardenhöhe werde in den legalen Wirtschaftskreislauf eingeschleust, also gewaschen.

«Die Summen sind so gewaltig, dass diese Marktmechanismen ausser Kontrolle setzen. Das sehen wir im Immobiliensektor in den Ballungszentren», sagt der Polizist und Stadtverordnete aus Bremen. In Deutschland fehlten gut ausgebildete Kriminalisten, sagt er. «Wenn wir Champions League spielen wollen, brauchen wir auch Champions-League-Sicherheitsbehörden.»

Mehr Kooperation mit den Herkunftsländern

Für die Containerschiffe aus Südamerika ist der Hamburger Hafen oft die letzte Station innerhalb der EU. Liniendienste verbinden die Hansestadt mit Rio de Janeiro und Santos nahe São Paulo. In Kolumbien werden zum Beispiel die Häfen Cartagena und Buenaventura angefahren sowie Ecuadors grösste Stadt Guayaquil. Wenn sich in diesen Ländern die Sicherheitslage verschlechtert, spüren das auch die Hamburger Zöllner.

Guayaquil wird seit einiger Zeit von rivalisierenden Kartellen terrorisiert, die auch die Kontrolle des Hafens übernommen haben. Hier kann das Kokain fast ungehindert verschifft werden. Mengenmässig ist Santos in Brasilien inzwischen der wichtigste Drogenumschlagplatz geworden. Dort agiert das Drogenkartell PCC (Primeiro Comando da Capital), das die gesamte Lieferkette kontrolliert und auch in Europa Gefolgsleute platziert hat. Die wichtigsten Ausgangsländer, von denen Kokain nach Europa gelangt, sind laut Europol Brasilien (rund 71 Tonnen), Ecua­dor (67,5 Tonnen), Kolumbien (rund 32 Ton­nen) und Costa Rica (20,4 Tonnen).

Reeder lassen sich bei ihren Sicherheitskonzepten ungern in die Karten schauen, versichern aber, dass die Schiffe in südamerikanischen Häfen besonders bewacht werden. Es gebe Patrouillen auf und um das Schiff, Zugänge zum Schiff seien sicherheitsüberprüft. Dennoch liegt laut dem Zoll das Problem woanders: Solange Container dort Tage oder gar Wochen in privaten Lagern oder gar auf der Strasse stehen, ist es ein Leichtes für die Banden, eine «Beifracht» hinzuzufügen.

Der Hamburger Zollchef Schrader blickt beim Thema Sicherheit deshalb vor allem nach Südamerika: «Ich erhoffe mir von dem Hafensicherheitsgipfel eine verstärkte internationale Zusammenarbeit. Wir schauen vor allem in die Herkunftsländer. Wenn es dort sicherheitsgeprüfte Terminals gibt, in denen die Container verladen werden, wären wir schon einen grossen Schritt weiter.» Allerdings wird das in naher Zukunft nicht geschehen. Dafür müssten dort erst die Kokainmafia und deren Geldgeber politisch bekämpft werden. Das passiert viel zu wenig.

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