Faeser ändert Kurs :
Kontrollen auf der Grenze – aber nicht stationär

Von Mina Marschall, Helene Bubrowski
Lesezeit: 4 Min.
Beamte der Bundespolizei stehen bei der Einreise nach Deutschland am deutsch-polnischen Grenzübergang Stadtbrücke in Frankfurt (Oder).
Innenministerin Faeser hat an den Grenzen zu Tschechien und Polen am Mittwoch zusätzliche Kontrollen angeordnet. Sie sollen aber flexibel sein, nicht stationär. Bringt das etwas?

Bundesinnenministerin Nancy Faeser vollzieht einen Kurswechsel. Die SPD-Politikerin hat nun doch Grenzkontrollen unmittelbar an den Grenzen zur Tschechischen Republik und Polen angeordnet. Allerdings soll es sich nicht um „stationäre“ Kontrollen handeln, wie sie oft gefordert wurden. „Wir wollen durch flexible und mobile Kontrollen an wechselnden Orten Ausweichbewegungen der Schleuser verhindern“, sagte Faeser am Mittwoch in Berlin. Zugleich werde aber dafür gesorgt, dass die Kontrollen auf Pendler und den Güterverkehr „so wenig wie möglich Auswirkungen“ hätten. Die zusätzlichen Schwerpunktkontrollen „auf der Grenzlinie“ sollen „ab sofort“ erfolgen, aber die bisher praktizierte Schleierfahndung nicht ersetzen.

Stationäre Kontrollen und Schleierfahndungen

Vorübergehende stationäre Grenzkontrollen gibt es seit 2015 an der Grenze zu Österreich. Solche Kontrollen müssen zwar bei der EU-Kommission mit etwa einem Monat Vorlauf beantragt werden und sind regelmäßig zu überprüfen, doch hat Brüssel sie bisher nicht beanstandet. Da es sich bei den zusätzlichen Kontrollen an der Ostgrenze nicht um dauerhafte, also „stationäre“, sondern um „flexible“ und „mobile“ Kontrollen handle, entfällt laut Faeser die Pflicht zur Anmeldung bei der EU-Kommission.

Bisher hatte sich Deutschland an den Grenzen zur Tschechischen Republik und zu Polen mit Schleierfahndung begnügt. Diese verdachtsunabhängigen Personenkontrollen dürfen Landes- und Bundespolizisten in einem 30-Kilometer-Gebiet hinter der Grenze vornehmen. Dabei aufgespürte Personen, die illegal eingewandert sind, dürfen jedoch nicht direkt zurückgewiesen werden. Grund dafür ist Artikel 23 des Schengener Grenzkodex, nach dem sich Schleierfahndungen von Grenzübertrittskontrollen unterscheiden müssen. Schließlich gilt im Schengen-Raum eigentlich das Prinzip der offenen Binnengrenzen.

An diesen sind Zurückweisungen unter bestimmten Voraussetzungen möglich – aber auch nicht die Regel. Denn äußert ein Migrant, dass er Asyl sucht, muss die Bundespolizei ihn zunächst in eine Aufnahmeeinrichtung bringen, damit sein Antrag geprüft werden kann. Wieso es überhaupt Menschen gibt, die an der Grenze kein Asyl beantragen, ist unklar; vermutlich wissen einige schlicht nicht, dass das einen Unterschied ausmacht.

Im ersten Halbjahr 2023 wurden nach Angaben der Bundesregierung 4489 Personen an den stationären Grenzkontrollen zu Österreich zurückgewiesen. Ungewiss ist, wie viele später wiedergekommen sind und Asyl beantragt haben. Insgesamt haben hierzulande 204.461 Menschen in den ersten acht Monaten dieses Jahres erstmals einen Asylantrag gestellt.

Warnungen vor Symbolpolitik

Die Deutsche Polizeigewerkschaft (DPolG) hatte die Ankündigung von Faeser, ihren Kurs zu ändern, zuletzt befürwortet. Es gehe dabei jedoch nicht darum, die Anzahl von Flüchtlingen zu reduzieren, hieß es in einer gemeinsamen Erklärung mit dem Bund Deutscher Kriminalbeamter (BDK): „Stationäre Grenzkontrollen zielen vielmehr darauf ab, zeitweise alle Eintritte ins bundesdeutsche Gebiet kontrolliert und systematisch zu erfassen und so endlich Ordnung in das Chaos zu bringen.“ Außerdem böten Kontrollen auf der Grenzlinie eine effektive Möglichkeit, kriminelle Schleuser festzunehmen.

Die Gewerkschaft der Polizei (GdP) kritisierte die geplanten Maßnahmen hingegen und verweist auf personelle Engpässe. Flächendeckende stationäre Kontrollen wären laut dem Vorsitzenden des GdP-Bezirks Bundespolizei Andreas Roßkopf nur wenige Wochen durchzuhalten. Wegen der ganz anderen Topographie als im bergigen bayerisch-österreichischen Grenzgebiet gibt es wesentlich mehr Grenzübergänge. Die GdP fordert deshalb bereits seit Ende Juli flexiblere Kontrollen im Rahmen der Schleierfahndung – nicht nur in dem 30-Kilometer-Gebiet, sondern auch direkt auf dem Grenzstreifen.

Dieser Ansicht scheint sich Faeser mit der Ankündigung flexibler Kontrollen nun angeschlossen zu haben. Mit Blick auf mögliche „stationäre“ Grenzkontrollen hatte Roßkopf vor Faesers konkreter Ankündigung vom Mittwoch von „reiner Symbolpolitik“ gesprochen. Stationäre Kontrollen würden Schleusern demnach sogar einen Vorteil verschaffen, da die Kontrollen für sie berechenbarer würden.

Die zusätzlichen Kontrollen an den Grenzen zu Polen und Tschechien sollen vom deutschen Zoll mit bis 500 Vollzugsbeamten unterstützt werden. Das kündigte der für den Zoll zuständige Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) am Mittwoch bei der Regierungsbefragung im Bundestag an. „Nach 2015 hat Deutschland streckenweise die Kontrolle über den Zugang in dieses Land verloren“, sagte Lindner. „Dieser Zustand darf nicht fortgesetzt werden.“

Brechen Zurückweisungen geltendes EU-Recht?

Zuletzt hatte ein Urteil des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) für Irritationen gesorgt. Der Gerichtshof hat vor wenigen Tagen entschieden, dass sich Mitgliedstaaten im Umgang mit illegal eingereisten Ausländern auch bei vorübergehend wieder eingeführten Grenzkontrollen innerhalb der EU an die europäische Rückführungsrichtlinie halten müssen. Die sieht vor, dass vor einer Zurückweisung zunächst eine offizielle Rückkehrentscheidung ergehen und eine Frist zwischen sieben und 30 Tagen zur Ausreise gesetzt werden muss.

Bei diesem Urteil müssen jedoch einige Faktoren berücksichtigt werden, erklärt der Konstanzer Migrationsrechtler Daniel Thym. Das Urteil gelte zunächst ausschließlich für Personen, die an der Grenze kein Asyl beantragen, denn Asylsuchende können ohnehin nicht direkt zurückgewiesen werden.

Außerdem gebe es eine wichtige Ausnahme, die Zurückweisungen von Menschen möglich macht, die nicht angegeben haben, Asyl zu suchen: „Es muss ein bilateraler Vertrag zu Zurückweisungen bestehen, der vor 2008 geschlossen wurde,“ sagt Thym. Deutschland habe solche Verträge beispielsweise mit Österreich, der Schweiz und Frankreich. Und auch für Polen gebe es ein bilaterales Abkommen aus dem Jahr 1993, für die Tschechische Republik eines aus dem Jahr 1994. Die Zurückweisung von Menschen, die kein Asyl beantragen, würde an stationären Kontrollen an den Grenzen zur Tschechischen Republik und zu Polen damit kein EU-Recht brechen.