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Politik

Neuer Polizei-Skandal schlägt hohe Wellen

17. September 2020

Die Aufdeckung rechtsextremer Chatgruppen bei der Polizei Nordrhein-Westfalens versetzt Deutschland in Alarmstimmung: Politiker fordern eine lückenlose Aufklärung. Polizei-Funktionäre warnen vor einem Vertrauensverlust.

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Deutschland Polizeifahrzeug
Bild: K. Schmitt/Fotostand/picture-alliance

Angriff von Innen - Die Umsturzpläne rechtsextremer Sicherheitskräfte

"Polizistinnen und Polizisten stehen für den Schutz unserer Demokratie", erklärte Bundesjustizministerin Christine Lambrecht. "Daran darf es nicht den geringsten Zweifel geben, auch und gerade im eigenen Interesse der Polizei." Deshalb müssten die Vorfälle mit allem Nachdruck untersucht und aufgeklärt werden: "Wenn sich die Vorwürfe erhärten, müssen die Fälle konsequent geahndet werden." Das sei wichtig für das Vertrauen in den Rechtsstaat und die Werte des Grundgesetzes, "für die die Polizistinnen und Polizisten jeden Tag einstehen", sagte Lambrecht den Zeitungen der Funke Mediengruppe.

Ausmaß noch nicht absehbar

Nordrhein-Westfalens Innenminister Herbert Reul informierte an diesem Donnerstag den Landtag in Düsseldorf über den Ermittlungsstand zu den privaten Chatgruppen. Im Zusammenhang mit den Postings wird nach seinen Angaben gegen elf Polizisten strafrechtlich ermittelt, unter anderem wegen Volksverhetzung. Diese Beamten sollen aktiv rechtsextreme Bilder verbreitet haben, darunter Bilder von Adolf Hitler, Hakenkreuzen und Reichskriegsflaggen sowie eine fiktive Darstellung eines Flüchtlings in einer Gaskammer. Andere Beamte stehen im Verdacht, als Mitglieder der Chatgruppen über die geposteten Nachrichten geschwiegen zu haben.

Deutschland Pressekonferenz Herbert Reul zu rechtsextremen Chatgruppen
Herbert Reul: "Übelste und widerwärtigste Hetze" in den ChatgruppenBild: picture-alliance/dpa/M. Kusch

Gegen insgesamt 30 Polizisten wurden Disziplinarverfahren eröffnet; sie wurden vom Dienst suspendiert. Insgesamt waren fünf rechtsextreme Chatgruppen aufgedeckt worden. 14 Beamte sollen aus dem Dienst entfernt werden. Die Dimension des Falls sei noch nicht absehbar, sagte Reul. Er betonte aber: Auf die große Mehrheit der rund 50.000 Polizisten und Polizistinnen in NRW sei Verlass. Man müsse sich aber fragen, warum die Chatgruppen, die teils seit 2012 existierten, nicht früher aufgefallen seien. Ein Problem sei, dass es sich bei den Gruppen um abgeschlossene Kommunikationskanäle handele.

In einigen Bereichen der Polizei gebe es auch ein "Haltungsproblem" und die Angst, Freundschaften zu verlieren, wenn man nicht zu den Umtrieben schweige. Die Botschaft aber sei: "Wer schweigt, macht sich mitschuldig." Reul will nun ein Lagebild zum Rechtsextremismus bei der Polizei erstellen lassen. Mit Blick auf die Schwierigkeit, geschlossene Chatgruppen aufzudecken, dürfe man sich davon aber keine Wunder versprechen, sagte er.

Auf die Spur des mutmaßlichen Netzwerks kamen die Behörden durch Ermittlungen gegen einen Polizisten, der einem Journalisten Dienstgeheimnisse verraten haben soll. Im Zuge der Nachforschungen im August stießen die Ermittler dann bei dem Polizisten auf die rechtsextremistischen Bilddateien.

"Schlag ins Gesicht"

Das Bundesinnenministerium zeigte sich schockiert von dem Skandal. Träfen die Vorwürfe zu, sei dies eine "Schande" für die Polizei in Nordrhein-Westfalen, erklärte ein Sprecher von Bundesinnenminister Horst Seehofer in Berlin. Es handle sich auch um einen "Schlag ins Gesicht" aller Polizisten, die in großer Loyalität zur demokratischen Grundordnung stünden. Der Fall belege aber auch, dass die Sicherheitsbehörden allen Hinweisen mit Konsequenz nachgingen.

"Das sind Vorfälle, die das Vertrauen in die Polizei erheblich erschüttern", meinte auch der Präsident des Bundeskriminalamtes (BKA), Holger Münch. Deshalb müsse die gesamte Polizei "bis in die letzte Dienststelle" alles tun, "um Vertrauen zu halten oder zurückzugewinnen", sagte er dem Redaktionsnetzwerk Deutschland. Die Polizeibehörden müssten mit aller Deutlichkeit immer wieder sagen, dass rechtsextremes Gedankengut und Handeln in der Polizei keinen Platz hätten und "mit aller Konsequenz und unter Ausschöpfung aller rechtsstaatlichen Mittel verfolgt" würden.

BKA-Herbsttagung | Holger Münch
Holger Münch: "Das tolerieren wir nicht"Bild: picture-alliance/dpa/B. Roessler

"Keine Einzelfälle"

Mit Hinweis auf entsprechende Vorfälle in Mecklenburg-Vorpommern, Hessen und nun Nordrhein-Westfalen sagte der Vorsitzende des Bundes Deutscher Kriminalbeamter, Sebastian Fiedler, im Ersten Deutschen Fernsehen: "Wenn jetzt noch irgendein Innenminister in Deutschland glauben sollte, sein Bundesland sei immun gegen solche Facetten, das wäre an Naivität kaum mehr zu überbieten."

Der Bochumer Kriminologe Professor Tobias Singelnstein forderte ein anonymes Meldeverfahren für interne Missstände bei der Polizei. "Man kann sich ja nicht vorstellen, dass so ein Netzwerk innerhalb der Polizei niemandem aufgefallen ist", so Singelnstein. "Aber wenn einer etwas bemerkt, gilt bisher in der Regel der offizielle Dienstweg. Zugleich wird das 'Anschwärzen' von Kollegen in der Polizei nach wie vor nicht goutiert."

Die aufgedeckten Chatgruppen seien sicher keine Einzelfälle, sondern zeigten ein strukturelles Problem, erläuterte Singelnstein. Nach Untersuchungen aus den 1990er Jahren neigten zwischen fünf und 20 Prozent der Polizisten zu rechtsextremistischem Gedankengut. Leider seien die entsprechenden Untersuchungen alt, "wir brauchen dringend neue Studien".

wa/kle (dpa, epd, afp)