Neuregelung zu Verbreitung und Besitz kinderpornographischer Bilder § 184b StGB verfassungswidrig?

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Nachdem sich die kritischen Stimmen in der rechtswissenschaftlichen Literatur zu der Gesetzesänderung in Bezug auf den § 184b Strafgesetzbuch (StGB) gehäuft hatten, mehren sich nun auch in der Rechtsprechung Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit des neu ausgestalteten § 184b StGB. Zu dieser Annahme kommt man jedenfalls, wenn man sich die jüngst anhängigen Verfahren ansieht, bei welchen Gerichte den § 184b StGB im Wege der konkreten Normenkontrolle dem Bundesverfassungsgericht vorgelegt haben und damit implizit die Verfassungsmäßigkeit der Strafnorm anzweifeln. Doch was wird kritisiert und was könnte hieraus für den betroffenen Paragraphen resultieren? Ein Ausblick: 


Was hat sich geändert beim Straftatbestand der Verbreitung und dem Besitz von Kinderpornografie?


Seit dem 01.07.2021 haben sich unter anderem die Strafmaße im Rahmen des § 184b StGB erheblich geändert. Nachdem für die Tatbestandshandlungen des § 184b Abs. 1 StGB der Strafrahmen nach alter Fassung eine Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren vorsah, wurde dies dahingehend geändert, dass nun eine Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu zehn Jahren durch den Gesetzgeber vorgegeben wird. Auch im Rahmen des § 184b Abs. 3 StGB, der unter anderem die Besitzverschaffung pornographischer Inhalte unter Strafe stellt, wurde der Strafrahmen von der ursprünglich vorgesehen Freiheitstrafe von bis zu drei Jahren oder Geldstrafe, auf Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu fünf Jahren angehoben. Die gesetzliche Regelung eines sogenannten minderschweren Falls, welcher es dem Tatgericht ermöglicht in der Festlegung der Strafe ein milderes Strafmaß festzulegen, findet sich nicht in der Norm wieder.  



Warum sah sich der Gesetzgeber in der Pflicht den § 184b StGB zu ändern?

Auf politischer Ebene bestand spätestens im Jahr 2020 konkreter Handlungsbedarf. Zum einen kam es laut der jährlich veröffentlichten polizeilichen Kriminalstatistik, im Zeitraum in welchem die Gesetzesänderung beschlossen wurde, zu einem drastischen Anstieg in Bezug auf Strafbarkeiten, die mit dem Besitz und der Verbreitung von Kinderpornographie zu tun hatten. Zum anderen waren es aber auch medial wirksame Kriminalfälle, bei welchen es zur Sprengung von sogenannten Missbrauchsnetzwerken kam, die den Ruf nach härteren Strafen in der Politik nach sich zogen. Allen voran wäre hier das Beispiel des Netzwerks in Bergisch Gladbach zu nennen, durch dessen Enttarnung alleine 439 Täter ermittelt werden konnten. Hierauf reagierte der Gesetzgeber schließlich unter anderem mit härteren Strafen für entsprechende Delikte, welche die Schwere der Vorwürfe abbilden und zugleich aber auch ein klares Signal gegen sexualisierte Gewalt gegen Kinder senden sollten.


Was ist ein Vorlageverfahren in dem Zusammenhang?


Scharfe Kritik zu diesen Reformvorschlägen gab es jedoch bereits im Gesetzgebungsverfahren, insbesondere von sachkundigen Sachverständigen aus der Rechtswissenschaft und der rechtlichen Praxis. So kam es beispielsweise dazu, dass die geladenen Sachverständigen in der öffentlichen Anhörung im Rechtsausschuss des Deutschen Bundestags am 7.12.2020 bereits das Augenmerk auf die Probleme legten, welche nun auch heute bereits mehrere Gerichte dazu bewegt hat, die entsprechende Norm dem Bundesverfassungsgericht vorzulegen. Die Möglichkeit dies zu tun ist unmittelbar im Grundgesetz verankert und findet sich in Art. 100 Abs. 1 Grundgesetz (GG). Demnach sind Gerichte sogar dazu verpflichtet, ein Gesetz welches sie für verfassungswidrig halten und auf dessen Gültigkeit es bei einer Entscheidung ankommt, dem Bundesverfassungsgericht vorzulegen und dessen Entscheidung über die Verfassungsmäßigkeit der Norm einzuholen. Solange muss das eigene Verfahren ausgesetzt werden. Hierzu kam es nun beispielsweise durch das Amtsgericht München.

Was sind die Hauptkritikpunkte der Amtsgerichte an dem neuen Tatbestand zur Kinderpornografie?


Die Kritiker, unter denen man beispielsweise auch den Bund Deutscher Kriminalbeamter zählt, bemängeln vor allem, dass durch das Anheben der Mindestfreiheitsstrafe auf einem Jahr und die damit zwangsläufige Kategorisierung der Tat als Verbrechen, für die Staatsanwaltschaft keine Möglichkeit mehr besteht, dass Verfahren (gegebenenfalls unter Auflagen und Weisungen) einzustellen. Diese Möglichkeit ist nämlich gesetzlich nur für Delikte vorgesehen, welche als Vergehen zu kategorisieren sind. Dadurch kommt es nicht nur zu einer starken Belastung der Justizapparte durch sogenannte Bagatellfälle - auch führen die Kritiker an, dass es aufgrund der Strafrahmenverschiebung und der Mindeststrafe von einem Jahr Freiheitsstrafe zu einem Verstoß gegen das sogenannte Übermaßverbot kommt. Hierin ist ein Eingriff in das Grundrecht auf die freiheitliche Entfaltung der Persönlichkeit gemäß Art. 2 Abs. 2 GG zu sehen.


Das Übermaßverbot stellt klar, dass unter anderem eine gesetzliche Regelung immer dann zu unterbleiben hat, wenn die Folgen für die von der gesetzlichen Regelung betroffenen Person außer Verhältnis zu dem mit der Regelung beabsichtigten Erfolg stehen. Die Kritiker verweisen dabei immer auf besonders harmlose Fälle, bei welchen die Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr schlicht nicht mehr der Tat angemessen wäre. Als Bespiel wird meist der folgende fiktive Fall angeführt:


Ein 22-Jähriger küsst seine 13-jährige Freundin auf ihrer Geburtstagsparty, noch vor Mitternacht und damit vor ihrem 14. Geburtstag und mit ihrem Einverständnis in sexuell bestimmter Weise. Ein Partygast macht ein Foto von diesem Kuss und teilt dieses Foto dann in der für die Party gegründete WhatsApp-Gruppe. In diesem Beispiel verbreitet der Partygast hierdurch Kinderpornographie und wäre nach § 184b Abs. 1 StGB zu einer Mindeststrafe von einem Jahr Freiheitsstrafe zu verurteilen. Entsprechendes gilt dann auch nach § 184b Abs. 3 StGB für die Teilnehmer der WhatsApp-Gruppe, sofern diese das Bild nicht unmittelbar löschen.


Nun verhält es sich so, dass für den 22-jährigen Freund, der mit einem Verfahren wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern nach § 176 StGB rechnen müsste, eine Einstellung nach 153a StPO nicht nur wahrscheinlich, sondern vor allem auch rechtlich möglich und angemessen wäre.  Eine Einstellung wäre hingegen für die fiktiven Besitzer des Kussfotos seit der Gesetzesänderung nicht mehr möglich, sodass nicht nur die Strafverfolgungsbehörden einen großen Aufwand erbringen müssten, um auch solche Fälle zu verfolgen und abzuurteilen, sondern auch die Gäste plötzlich mit einer Freiheitstrafe von einem Jahr zu rechnen hätten.


Wegen den weitreichenden Folgen einer strafrechtlichen Verurteilung, etwa durch die Eintragung ins Führungszeugnis und der damit verbundenen Schwierigkeiten zukünftig gewisse Berufe auszuüben, sehen die Kritiker schließlich auch einen Verstoß gegen die Berufsfreiheit aus Art. 12 GG gegeben.


Wie könnte es nun mit der verschärften Norm weitergehen?

Das Bundesverfassungsgericht hat jüngst zwei Vorlageverfahren bereits für unzulässig erklärt. Dies wurde jedoch mit der Begründung versehen, dass sie an formalen Mängeln litten. Deshalb hat sich das Bundesverfassungsgericht bislang inhaltlich auch nicht mit der Verfassungswidrigkeit der Norm auseinandergesetzt.


Ob es jedoch zeitnah überhaupt zu einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts in Bezug auf die Verfassungswidrigkeit der Norm kommen wird bleibt abzuwarten, denn nun möchte auch der Gesetzgeber tätig werden und auf die kritischen Stimmen reagieren. Nachdem die Justizminister der Länder auf Initiative des Bundeslands Brandenburg das Bundesjustizministerium per Beschluss im November 2022 dazu aufgefordert hatten den Tatbestand entweder auf ein Vergehen herabzustufen indem der Strafrahmen wieder gemildert wird oder aber eine Regelung für den minderschweren Fall hinzuzufügen, hat das Bundesjustizministerium nun reagiert. Der amtierende Justizminister Marco Buschmann hat am 10. April 2023 angekündigt, dass es eine Reform in Bezug auf den Straftatbestand geben werde. Wie diese ausgestaltet sein wird bleibt jedoch weiterhin offen.




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