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Organisierte Kriminalität: Der Kampf gegen die Clans

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Polizeieinsatz in Berlin: Clans sind europaweit vernetzt.
Polizeieinsatz in Berlin: Clans sind europaweit vernetzt. © Dennis Lloyd Brätsch/dpa

„Lange ist fast nichts passiert“ - und in dieser Zeit konnten Clans ihre Macht ausbauen, sagt Dirk Peglow vom Bund Deutscher Kriminalbeamter.

Die skandinavischen Sicherheitsbehörden blicken neidisch nach Deutschland. Dort hat man den Eindruck, dass die deutsche Polizei mehr Werkzeuge für den Kampf gegen Clan-Kriminalität hat. Ist der Neid gerechtfertigt?

Ich habe bisher mit keinem skandinavischen Kollegen gesprochen, deswegen weiß ich nicht, um was sie uns beneiden. Aber hier wie dort haben wir es mit Parallelgesellschaften zu tun, die sozialen Unfrieden schüren: Clans, die für sich die Herrschaft über bestimmte Straßen und Viertel beanspruchen. Das führt dazu, dass Ängste entstehen bei anderen Menschen, die dort leben.

In Schweden hätte man gerne die Möglichkeit, das Vermögen von Clan-Mitgliedern einzufrieren – also Autos und Wohnungen zu beschlagnahmen.

Die Abschöpfung von Vermögen läuft auch bei uns nicht immer rund. Die von uns vorgenommenen Maßnahmen der Abschöpfung krimineller Erlöse oder Vorteile müssen durch ein Gericht bestätigt werden. Wir müssen also immer darauf achten, dass solche Maßnahmen auch vor Gericht standhalten. Aber es ist in der Tat ein wichtiger Aspekt, der ganz wesentlich dazu beiträgt, kriminelle Familienclans nachhaltig zu bekämpfen. Hinzu kommt, dass das Geld häufig im Ausland angelegt wird und wir hier auf eine gut funktionierende internationale polizeiliche Kooperation angewiesen sind – also den Austausch von Informationen mit unseren Kollegen in Schweden zum Beispiel.

Die Clans sind deutschland- und europaweit vernetzt, die deutschen Polizeibehörden nicht unbedingt.

Wir haben leider immer noch sehr viele unterschiedliche polizeiliche Informations- und Recherchesysteme, so viele unterschiedliche Arten von Datenbanken – jede Behörde kocht ihr eigenes Süppchen. Damit wir in Deutschland auch länderübergreifend ermitteln können, brauchen wir ein gemeinsames Datenhaus der Polizei, in dem alle Daten sind und auf das jeder, der berechtigt ist, zugreifen kann.

Sie wissen also nicht genug über das Problem?

Wenn ich den nordrhein-westfälischen Innenminister Reul zitieren darf: „Wir haben das Problem verpennt.“ Schon Anfang der 2000er haben Polizeiexperten genau vorhergesagt, was passieren wird. Aber lange ist fast nichts passiert. Man hat sich der Problematik nicht angenommen – auch aufgrund politischer Erwägungen: Man wollte diese Kriminalität nicht bekämpfen, weil man sie mit der Herkunft aus einem bestimmten Land verband. Aber es ist nun mal so, dass es sich um gefestigte, abgeschottete Strukturen arabisch- oder türkischstämmiger Großfamilien handelt. Erst seit 2019 sind wir so weit, dass wir das auch öffentlich so sagen können.

In den Statistiken zur Clan-Kriminalität landet ja zum Beispiel auch ein Jugendlicher, der aus Langeweile in einem Kiosk Kaugummis klaut – nur weil er einen bestimmten Nachnamen trägt. Kann man solchen Zahlen trauen?

Zahlen, die erhoben werden zur Beschreibung von Kriminalität, sind immer unter dem Vorbehalt zu sehen, dass es sich in vielen Fällen nur um bekanntgewordene Kriminalität handelt – also das, was wir registrieren. Natürlich zeigt die Polizeiliche Kriminalstatistik auch nicht, wer tatsächlich durch ein Gericht verurteilt wurde. Es sind Zahlen aus polizeilichen Ermittlungen. Wir wissen nicht, wie viele Fälle aus der Polizeilichen Kriminalstatistik tatsächlich zu Verurteilungen führen.

Aber wird das Problem durch den Fokus auf bestimmte Nachnamen nicht aufgeblasen?

Sie sprechen die Frage der Stigmatisierung an. Ich kann mir schon vorstellen, dass der 14-jährige Sohn einer Großfamilie aus dem Ruhrgebiet, deren Angehörige polizeilich bekannt sind, Probleme bei der Suche nach einem Ausbildungsplatz haben könnte. Es besteht natürlich die Möglichkeit, dass ihm durch seinen Nachnamen Steine in den Weg gelegt werden, obwohl er selbst völlig rechtschaffen ist. Wir wissen aber auch, dass aufgrund der patriarchalischen Familienstruktur in vielen Fällen besonders die jüngeren ihren älteren Verwandten nacheifern. Es ist leider so: Kriminelle Karrieren beginnen dort sehr früh. Gerade deshalb ist es auch so wichtig, hier entsprechende Ausstiegs- und Hilfsangebote zu offerieren.

In den vergangenen Jahren hat sich die Politik des Problems angenommen. Viele Innenminister brüsten sich mit öffentlichkeitswirksamen Razzien: Dann durchsuchen Dutzende Polizisten Shishabars, mitunter begleitet von Filmteams. Viele Betroffene fühlen sich zu Unrecht verdächtigt und werfen den Behörden Rassismus vor.

In diesen Tagen ist es schwierig, die Themen Rassismusvorwürfe gegen die Polizei oder Racial Profiling emotionslos zu diskutieren. Für den Bereich der Clan-Kriminalität ist es etwas anderes. Grundsätzlich muss man sagen: Clan-Kriminalität ist nicht nur mit einer Maßnahme zu bekämpfen. Wir sprechen hier von einem ganzheitlichen Ansatz, also einem Bündel von Maßnahmen, an denen auch unterschiedliche Behörden beteiligt sind. Hierzu gehören z. B. die Kontrolle von Gesundheitsvorschriften, Finanzkontrollen und etwa das Vorgehen gegen unversteuerten Tabak in Shishabars. Aber, und das ist ein großes Aber, die bei solchen Kontrollen entstehenden Ermittlungsverfahren müssen auch bearbeitet werden. Es ist das eine, öffentlichkeitswirksam mit 250 Kolleginnen und Kollegen der Bereitschaftspolizei und anderer Dienststellen einen Straßenzug mit mehreren Shishabars und Gaststätten zu kontrollieren. Es ist etwas anderes, die Ergebnisse daraus am nächsten Tag ermittlungstechnisch zusammenzuführen. Es fehlen ganz massiv Kolleginnen und Kollegen, die sich nur mit Clan-Kriminalität beschäftigen – sowohl bei der Polizei als auch bei der Justiz.

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Dirk Peglow, 51, ist stellvertretender Bundesvorsitzender und hessischer Landesvorsitzender des Bundes Deutscher Kriminalbeamter. © Jörg Carstensen/dpa

Die deutschen Polizeibehörden haben vielerorts Probleme mit Rassismus und Rechtsextremismus. Manche Ihrer Kolleginnen und Kollegen beschäftigen sich rund um die Uhr mit Clan-Kriminalität. Wie verhindern Sie, dass sie in jedem Menschen mit Migrationsgeschichte einen Clan-Kriminellen sehen?

Ich glaube, es ist ein Unterschied, ob ich in einem Streifenwagen sitze und tagtäglich immer wieder mit denselben Menschen zu tun habe – egal woher sie kommen mögen – oder ob ich gegen beschuldigte Mitglieder einer Familie sehr lange und umfangreich ermittele und bei diesen Ermittlungen Erfolge sehe. Ich würde schon sagen, dass die Gefahr eher gering ist, rechtsextreme Einstellungen bei der kriminalpolizeilichen Arbeit gegen Clan-Kriminalität zu entwickeln. Für die Kolleginnen und Kollegen, die ich kenne, würde ich viele Hände ins Feuer legen. Aber in der heutigen Zeit darf man leider gar nichts mehr ausschließen. (Interview: Steffen Herrmann)

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