Schießerei in Duisburg: Clan-Kriminalität außer Kontrolle?

Stand: 06.05.2022, 11:50 Uhr

Die Schießerei am Mittwochabend in Duisburg, an der offenbar Rocker und kriminelle Clans beteiligt waren, wirft Fragen auf. Wo steht NRW bei der Bekämpfung Organisierter Kriminalität?

Die Schießerei im Duisburger Norden am Mittwochabend geht auf einen Konflikt zwischen der Rockergruppe Hells Angels und einem kriminellen türkisch-arabischen Clan zurück. Das erklärte NRW-Innenminister Herbert Reul (CDU) am Donnerstag. Es seien mindestens 19 Schüsse gefallen, vier Personen wurden teilweise schwer verletzt. Die genauen Hintergründe der Schießerei seien noch Gegenstand der Ermittlungen.

Clan-Kriminalität sei immer noch "ein Riesenproblem, das die Menschen besonders im Ruhrgebiet in Angst und Schrecken versetzt", sagte Reul weiter. So kurz vor der Landtagswahl könnten die Schüsse von Duisburg aber auch für den Innenminister persönlich zum Problem werden. Schließlich hatte er die Bekämpfung krimineller Clans stets als eine seiner wichtigsten Aufgaben bezeichnet.

Reul: Über Taten in Duisburg "nicht überrascht"

Im Gespräch mit dem WDR erklärte Reul, er sei über die Eskalation "nicht überrascht". Einen Rückschlag in seinem Kampf gegen die Organisierte Kriminalität könne er darin aber nicht erkennen: Die Clankriminalität habe 30 Jahre wachsen können, ohne dass die Politik eingegriffen habe, so Reul. Wer darauf hoffe, dass sich das Problem innerhalb kürzester Zeit in Luft auflöst, habe nichts verstanden.

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Auch Arndt Sinn, Professor für europäisches und deutsches Strafrecht an der Universität Osnabrück, ist von den Ereignissen nicht überrascht. "Diese hohe Gewaltbereitschaft, die von Seiten der Rocker-Kriminellen oder von Rocker-Vereinigungen ausgeht, trifft auf gewaltbereite Clanmitglieder, die möglicherweise auch der organisierten Kriminalität zuzurechnen sind", sagte er im WDR-Interview.

Duisburgs Polizeipräsident setzt auf mehrere Maßnahmen gegen Clankriminalität

Duisburgs neuer Polizeipräsident Alexander Dierselhuis, der seit April diesen Jahres im Amt ist, sagte im WDR ebenfalls, dass dieses Problem über Jahre gewachsen sei. Dierselhuis setzt auf mehrere Maßnahmen gegen Clankriminalität: Razzien, um Täterinnen und Täter zu stören und Erkenntnisse zu sammeln, das Zusammentragen von Beweisen zu den aktuellen Taten in Duisburg, die behördenübergreifende Zusammenarbeit sowie auf Aussteigerprogramme.

Dass es zeitnah in Duisburg wieder zu einer solchen Situation kommt, schließt der Polizeipräsident nicht aus, er hält es aber für unwahrscheinlich. Dierselhuis erklärte, das wäre für organisierte kriminelle Gruppen "unklug". Zudem sei man "mit starken Kräften vor Ort, um möglichen Bestrebungen entgegenzuwirken."

Polizei-Gewerkschafter fordert harte Reaktion

Oliver Huth vom Bund Deutscher Kriminalbeamter forderte von NRW-Innenminister Reul umgehend Verstärkung für die Duisburger Polizei. "Wenn wir so weit sind, dass sich die Bevölkerung darauf einstellen muss, dass sie im Kugelhagel verletzt wird, dann können wir einpacken. Es gilt hier, jetzt Stärke zu zeigen", sagte Huth am Donnerstag dem WDR.

Auch wenn Gewaltexzesse wie in Duisburg scheinbar das Gegenteil zeigen: Tatsächlich hat die Polizei in NRW bei der Bekämpfung von Familienclans und Rockerbanden in den vergangenen Jahren durchaus Erfolge erzielt. Die Zahl der Straftaten durch kriminelle Clanangehörige sei im Jahr 2021 um 5,8 Prozent im Vergleich zum Vorjahr gesunken, heißt es im aktuellen "Lagebild Clankriminalität" der Landesregierung: von 5.780 Straftaten auf 5.460. Gleichzeitig beschlagnahmten Ermittler mehr als zehn Millionen Euro von Clanmitgliedern - mehr als doppelt soviel wie 2020.

Auch in Duisburg konnte die Polizei im vergangenen Jahr Erfolge melden: Die Zahl der Straftaten, die dem Clan-Milieu zugeordnet werden können, lag bei 352 - etwas weniger als im Vorjahr. Damit liegt Duisburg auf Platz vier der NRW-Städte, in denen Clans aktiv sind - nach Essen (599), Recklinghausen (444) und Gelsenkirchen (391).

2.000 Razzien im Clan-Milieu seit 2018

Tatsächlich scheint die Strategie der Polizei, den Clans mit unzähligen Razzien auf die Pelle zu rücken, Früchte zu tragen: Seit Juli 2018 wurden bei mehr als 2.000 Razzien in NRW über 5.000 Objekte kontrolliert und 3.200 Strafanzeigen gestellt. Ein Schwerpunkt der Aktionen waren auch die "legalen" Geschäftsfelder mit Clanbezug, in denen die illegalen Gewinne aus dem Drogengeschäft versteckt werden: zum Beispiel Shisha-Bars.

Allerdings: Wie oft solche Razzien tatsächlich zu einer Verurteilung der Täter führen, ist nicht bekannt. Entsprechende Zahlen werden von der Landesregierung nicht erfasst. Für Polizisten wie Oliver Huth ist das oft deprimierend: "Wir haben am Baum geschüttelt, die Früchte sind zu Boden gefallen. Aber wir haben sie nicht aufgehoben."

Rocker-Ortsgruppen aufgelöst

Aktuelle Zahlen zur Rockerkriminalität in NRW liegen derzeit nicht vor. Allerdings hatte das NRW-Innenministerium im vergangenen Jahr auch dort einige Erfolge melden können: Zahlreiche Ortsgruppen (Chapter) der bekannten Rockerbanden hatten sich demnach bereits im Jahr 2020 aufgelöst - wohl auch als Reaktion auf die intensive Beobachtung durch die Polizei.

Intensive Suche nach der Beute

Der Organisierten Kriminalität ihre wirtschaftliche Grundlage entziehen - das ist auch das Ziel einer neuen Spezialeinheit des Justizministeriums, die erst Ende 2021 ihre Arbeit aufgenommen hat. Die "Confiscation Group" besteht aus vier Staatsanwälten und einem abgeordneten Richter des Landgerichts Bonn. Sie hat die Aufgabe, die Gewinne aus kriminellen Aktivitäten einzuziehen - auch dann, wenn Clan-Mitglieder ihr Vermögen auf andere Familienangehörige übertragen haben.