Stand: 10.03.23 14:14 Uhr

Sogenannte Kinderpornografie: Gesetzesverschärfung soll korrigiert werden

von Robert Bongen und Daniel Moßbrucker

Es war eine hitzige Debatte im Sommer 2020: Nach den aufsehenerregenden Missbrauchsfällen von Lügde, Bergisch-Gladbach und zuletzt Münster war der Ruf nach schärferen Strafen laut geworden. Vor allem BILD machte Stimmung und trieb die Politik vor sich her. So forderte die damalige CDU-Chefin Annegret Kramp-Karrenbauer, sexueller Kindesmissbrauch müsse immer als Verbrechen eingestuft werden. Der damalige CDU-Generalsekretär Paul Ziemiak ergänzte, dass der Besitz von Missbrauchsdarstellungen "stets ein Verbrechen ist", besonders leichte Fälle gebe es nicht. Die damalige Bundesjustizministerin Christine Lambrecht (SPD) sprach sich zwar erst gegen eine Verschärfung aus, ruderte dann aber zurück und legte einen umso schärferen Entwurf vor.

"Entspricht nicht unserem Gerechtigkeitsempfinden"
Die Verbreitung von Kindesmissbrauchs-Darstellungen ist seit 2021 auch strafrechtlich ein Verbrechen. Doch die Gesetzesverschärfung soll nun korrigiert werden.

Neben dem Paragrafen 176 im Strafgesetzbuch, der sexuelle Handlungen an Kindern mit Körperkontakt unter Strafe stellt, wurde auch der Paragraf 184b verschärft, der die Verbreitung, den Erwerb und den Besitz sogenannter kinderpornografischer Inhalte ahndet. Beide Tatbestände wurden von Vergehens- zu Verbrechenstatbeständen hochgestuft. Mindestfreiheitsstrafe ein Jahr. In einer Anhörung von Fachleuchten hagelte es seinerzeit Kritik: Die Sachverständigen prophezeiten insbesondere beim Paragrafen 184b eine Überlastung der Strafverfolgungsbehörden, wenn es keine Ausnahmen für minder schwere Fälle mehr gebe. Trotzdem stimmten am Ende die Fraktionen von SPD und Union für die Verschärfung, die seit Juli 2021 gilt. BILD jubelte damals in großen Lettern: "Nach BILD-Forderung: Neue Knallhart-Strafen für Kinderschänder. Schon ein Video reicht".

Man nehme Bedenken "sehr ernst"

Nun bahnt sich eine Rolle rückwärts an: Die Ampel-Fraktionen wollen das Gesetz zum Besitz sogenannter kinderpornografischer Inhalte korrigieren. Man wolle "rasch eine Gesetzesänderung", so Johannes Fechner, Parlamentarischer Geschäftsführer der SPD-Fraktion im Bundestag, gegenüber Panorama. "Es wäre gut, wenn Minister Buschmann zeitnah einen Vorschlag vorlegt, den wir dann zügig beraten werden." Im November hatte sich bereits die Justizministerkonferenz dafür ausgesprochen, den entsprechenden Paragrafen 184b im Strafgesetzbuch abzumildern oder um sogenannte minder schwere Fälle zu ergänzen.

Ein Sprecher von Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) gab sich zurückhaltend. Man nehme die Bedenken gegen die aktuelle Regelung "sehr ernst" und prüfe "gesetzgeberischen Handlungsbedarf". Dem Vernehmen nach sieht das Justizministerium aber die SPD in der Pflicht, die Verschärfung mittels einer Gesetzesinitiative direkt im Bundestag zu korrigieren, schließlich habe die damalige sozialdemokratische Bundesjustizministerin Christine Lambrecht die Pläne erarbeiten lassen.

Es trifft häufig die Falschen

Hintergrund ist eine Flut von Verfahren, die wegen der Strafrechtsverschärfung offenbar Polizei und Gerichte in Deutschland überlasten - so wie es viele Experten prognostiziert hatten. Dabei geht es vielfach nicht um Fälle, in denen Pädokriminelle Fotos und Videos von schwerem sexuellen Kindesmissbrauch erworben oder geteilt haben.

Stattdessen trifft es auch Eltern oder Lehrerinnen und Lehrer, die auf ein Nacktfoto im Klassenchat hinweisen, um es aus dem Verkehr zu ziehen. Oder Jugendliche, die justiziable Aufnahmen bei WhatsApp als "Mutprobe" an Freunde schicken oder nicht wissen, dass die Videos strafbar sind.

Bei einem oft geteilten Video wird beispielsweise ein Junge von einem Insekt in den Penis gestochen. In einem weiteren Video, das sich Teenager vielfach zuschicken, hat ein 13-jähriges Mädchen Sex mit zwei zwölfjährigen Jungs. Juristisch handelt es sich bei diesen Aufnahmen um sogenannte kinderpornografische Inhalte. Werden diese Aufnahmen über US-amerikanische Dienste wie Facebook, Instagram oder Snapchat getauscht, geben die diese Infos an die US-Organisation NCMEC (Nationales Zentrum für vermisste und ausgebeutete Kinder) weiter. Von dort erhält das Bundeskriminalamt automatisch erstellte Hinweise auf deutsche Nutzer und den Verdacht "Kinderpornografie".

Ausnahmslos ein Verbrechen, keine minder schweren Fälle

Ermittlungsbehörden bleibt durch die Hochstufung der Taten zu einem Verbrechen keine andere Wahl, als jeden noch so kleinen Fall vor Gericht zu bringen. Juristisch bedeutet der Begriff "Verbrechen", dass die Mindeststrafe ein Jahr beträgt. Ist die Mindeststrafe geringer, spricht man von einem "Vergehen". Verbrechen können nicht wegen Geringfügigkeit eingestellt werden, Vergehen hingegen schon. Damit sollen Staatsanwaltschaften und Gerichte durch Massen- und Bagatellverfahren vor Überlastung geschützt werden.

Jan Reinecke, Landesvorsitzender Bund Deutscher Kriminalbeamter (BDK) Hamburg © NDR Foto: Screenshot

Jan Reinecke: Vorsitzender Bund Deutscher Kriminalbeamter (BDK) Hamburg

Genau diese Überlastung sei nun durch die Verschärfung des Paragrafen 184b eingetreten, sagt Jan Reinecke vom Bund Deutscher Kriminalbeamter (BDK): "Vor allem die Tatsache, dass der minder schwere Fall bei der Gesetzgebung keine Berücksichtigung gefunden hat, führt in der Praxis dazu, dass die Länderpolizeien zahlreiche Ermittlungsverfahren ohne pädokriminellen Hintergrund zu führen haben. Für die tatsächlichen Fälle bliebe dadurch am Ende kaum noch Ermittlungspotential übrig, so Reinecke. Nach Panorama-Recherchen liegt die Zahl der Fälle ohne pädokriminellen Hintergrund in einigen Behörden bereits bei rund 50 Prozent.     

Franziska Drohsel, Bundeskoordinierung Spezialisierter Fachberatung gegen sexualisierte Gewalt in Kindheit und Jugend (BKSF © picture alliance/dpa | Bernd von Jutrczenka Foto: Bernd von Jutrczenka

Franziska Drohsel: Bundeskoordinierung Spezialisierter Fachberatung gegen sexualisierte Gewalt in Kindheit und Jugend (BKSF)

Auch Beratungsstellen, die mit Betroffenen von sexualisierter Gewalt zusammenarbeiten, fordern eine Korrektur. Aktuell gebe es große Unsicherheit bei betroffenen Kindern und Eltern, die eine Anzeige erstatten wollten und dafür Aufnahmen zu Beweiszwecken auf ihren Geräten speichern müssen, heißt es von der Bundeskoordinierung Spezialisierter Fachberatung gegen sexualisierte Gewalt in Kindheit und Jugend (BKSF). Der Verband fürchtet, dass Erwachsene vor einer Anzeige zurückschrecken könnten, weil gegen sie selbst ermittelt werden könnte. Eine Lösung sei "dringend notwendig", so Franziska Drohsel von der BKSF gegenüber Panorama.

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Pädosexuelle klauen in sozialen Medien Kinderfotos von privaten Profilen und laden sie auf sogenannten Kinderpornografie-Seiten hoch.

Ressourcen fehlen für die "echten" Pädokriminellen

Aus Sorge vor einer falsch verstandenen Botschaft kam es bisher nicht zu einer Korrektur. Niemand reißt sich darum, beim emotionalen Thema "Kinderpornografie" eine Regelung für "minder schwere Fälle" zu vertreten. Der Druck ist nun aber offenbar so groß geworden, dass sich die SPD auf Nachfrage von Panorama aus der Deckung gewagt hat und den Druck auf Minister Buschmann erhöhen will.

Die Verfahren binden "enorm Personal bei Polizei, Staatsanwaltschaften und Gerichten, das aber dringend gebraucht wird, um die wirklichen Sexualstraftäter zu überführen und zu verurteilten", sagt SPD-Politiker Fechner. Auch die mittlerweile oppositionelle Union signalisiert Panorama gegenüber Bereitschaft, einen "praktikablen und angemessenen Vorschlag" von Bundesjustizminister Buschmann zu unterstützen.

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Dieses Thema im Programm:

Das Erste | Panorama | 22.04.2021 | 21:45 Uhr