Trotz jahrelanger Spezialausbildung Vorerst kein Kriminaldienst für Sachsen-Anhalts Polizeinachwuchs

14. September 2022, 05:09 Uhr

Mit einer Vertiefung im Studium bildet Sachsen-Anhalt Kommissare für die Kriminalpolizei aus. Doch der jetzige Jahrgang wurde nach Abschluss nahezu komplett anderen Aufgaben zugewiesen. Die Gewerkschaft BDK sieht darin System und hat einen Brandbrief an Innenministerin Tamara Zieschang geschrieben. Die verteidigt die Entscheidung.

Thomas Vorreyer
Bildrechte: MDR/Luca Deutschländer

Sachsen-Anhalts Bund Deutscher Kriminalpolizisten (BDK) wirft dem Innenministerium einen "unverantwortlichen" Umgang mit der Kriminalpolizei vor. Das geht aus einem Brandbrief hervor, den der Landesvorsitzende Peter Meißner Ende August an Ministerin Tamara Zieschang (CDU) geschrieben hat.

Auslöser ist die Verwendung der Absolventen und Absolventinnen der Fachhochschule der Polizei in Aschersleben. Diese sollen fast ausnahmslos der Schutzpolizei zugewiesen worden sein, um dort den Personallücken zu schließen. Dabei seien Letztere auch in der Kriminalpolizei erheblich.

Ausgebildete Kriminalisten müssen zur Schutzpolizei

An der Fachhochschule wird seit 2018 ein Bachelor-Studium angeboten, das zum Kommissar ausbildet. Durch Wahlmodule und Praktika können sich Nachwuchsbeamte entweder für den Dienst bei der Schutzpolizei oder aber bei der Kriminalpolizei ausbilden lassen. Das Ministerium spricht von einer "Vertiefung".

Bislang wird das als Erfolg vermarktet. Die Landespolizei wirbt aktuell auf YouTube mit zwei ehemaligen Studierenden, die nun beim Kriminaldauerdienst im Polizeirevier Halle ermitteln.

Doch aus dem Abschlussjahrgang 2022 sollen nahezu alle Kriminalisten bei der Schutzpolizei für Streifen- und Revierdienste eingesetzt werden – und damit nicht als Ermittler. Das beklagt der BDK. Peter Meißner sagte MDR SACHSEN-ANHALT, man wolle nicht hinnehmen, "dass Probleme bei der Schutzpolizei dauerhaft über die Ausbildung für den Kriminaldienst gelöst werden". Andernfalls brauche es den Studiengang in seiner jetzigen Form nicht.

Der Unterschied zwischen Schutzpolizei und Kriminalpolizei Bei der Schutzpolizei sei "kein Tag wie der andere", heißt es auf der Website der Polizei-Fachhochschule. Die Hauptaufgaben umfassten "die Gefahrenabwehr, die Regelung und Überwachung des Straßenverkehrs, die Verkehrsunfallaufnahme, die Verhinderung und Aufklärung von Straftaten, die Anzeigenaufnahme und Spurensicherung sowie der Schutz von Demonstrationen".

Demgegenüber ermittle die Kriminalpolizei bei Rauschgift-, Umwelt und Wirtschaftskriminalität sowie bei Diebstählen, Brandstiftung, Sexual- und Tötungsdelikten. "Sie sucht Tatorte auf, sichert Beweise, vernimmt Zeugen, Opfer und Verdächtige", so die Fachhochschule.

Weitere Verwendungs- und Einsatzbereiche sind die Landesbereitschaftspolizei, die Wasserschutzpolizei und Spezialeinheiten wie das SEK.

Auch aus der Polizei-Fachhochschule heißt es, man sei "schockiert" über die jetzige Situation. Der Studiengang wäre mit viel Mühe einst aufgebaut worden. Nun sei man vor allem dafür da, "Stiefelspitzen, die alles können, für die Polizei zu produzieren", so eine mit der Sache vertraute Person.

Innenministerin Zieschang: "Es gibt keinen Automatismus"

Innenministerin Tamara Zieschang bestätigte den Sachverhalt auf Nachfrage, verteidigte das Vorgehen aber entschieden. Es gebe keinen Automatismus für eine Erstverwendung im Kriminaldienst, sagte Zieschang am Dienstag.

Zuständig für die Zuweisung seien die einzelnen Polizeibehörden selbst. Deren Leiter müssten neben Kenntnissen und Fähigkeiten der Absolventen "auch die konkrete Belastungssituation vor Ort berücksichtigen", so Zieschang. Sprich: Bei der Schutzpolizei werden die Neu-Kommissare und -Kommissarinnen derzeit stärker benötigt.

Zieschang hält an der jetzigen Ausbildung fest. Ihr zufolge handelt es sich nur um eine Momentaufnahme. "Wer die Vertiefung 'Kriminalpolizei' gewählt hat, wird natürlich über kurz oder lang im Kriminalbereich eingesetzt", sagte sie. Das sei bei allen bisherigen Absolventen so gewesen. Seit 2018 seien rund 100 von ihnen zudem direkt bei der Kriminalpolizei gelandet.

Unterschiedliche Aussagen zur Verwendung in der Vergangenheit

Ein Streitpunkt zwischen Ministerium und Gewerkschaft ist, ob die Ausbildung für den Kriminaldienst tatsächlich in eine Erstverwendung bei der Kriminalpolizei münden muss. Das Innenministerium hatte das 2018 in einem Erlass zur Einführung des neuen Studiengangs verneint.

Ein Jahr später hieß es dann in einem Strategiepapier von Ministerium, Polizeibehörden und Fachhochschule, eine Erstverwendung in der Kriminalpolizei werde "grundsätzlich angestrebt". Mit dem Konzept sollte die Kriminalpolizei langfristig gestärkt werden, die von der Bevölkerung erwartete "qualitativ hochwertige" Ermittlungsarbeit gewährleistet bleiben. Gewerkschafter Peter Meißner sagte, das würde "nur marginal" umgesetzt.

Zieschang widersprach. Einerseits sehe auch das Konzept einen mindestens sechsmonatigen Einsatz in Revierdiensten vor. Andererseits sei der Personalstand im Kernbereich der Kriminalpolizei seit 2019 von rund 1.570 Bediensteten um etwa 200 angewachsen. Gleichzeitig sei der Altersschnitt von 50,5 Jahren auf 47,4 gesunken.

BDK sorgt sich um Arbeitsbelastung und Ausbildung

Meißner hält solche Zahlen nur für bedingt aussagekräftig. Er nannte das Beispiel des in Sachsen-Anhalt eingesetzten Kriminalsofortlagendienst. Bei diesem übernehmen Beamte unterschiedliche Aufgaben, etwa die Spurensicherung, aber auch Verkehrsdelikte. "Echte Kriminalpolizei ist das nicht", sagte Meißner. Auch sei die Arbeitsbelastung in den letzten Jahren enorm gestiegen.

Die "Volksstimme", die den Brandbrief des BDK-Landesvorsitzenden zuerst aufgegriffen hatte, berichtet im Fall eines Reviers von einer Verdoppelung der abzuarbeitenden Fallzahlen. Das Innenministerium hält dem die zuletzt gestiegene Aufklärungsquote entgegen.

Ministerium und BDK streiten zudem darüber, ob die auf Kriminalaufgaben spezialisierten Kräfte überhaupt einsatzfähig in der Schutzpolizei sind. Peter Meißner sagte, die Praktika seien entscheidend. Die erfolgen im Kriminaldauerdienst in Magdeburg und Halle. Das Innenministerium bleibt hingegen bei seiner Linie von 2018: Auch eine spezialisierte Ausbildung befähige zur Erfüllung "aller Aufgaben" beim Einstieg in den Polizeivollzugsdienst.

Landtag wird sich mit Streit befassen

Bei der Gewerkschaft der Polizei herrscht ein gewisses Verständnis für beide Seiten. "Die Probleme, die es bei der Kriminalpolizei gibt, haben wir bei der Schutzpolizei auch", sagte GdP-Landeschef Uwe Bachmann. Vielen Streifendiensten fehle Personal. Wichtig sei es deshalb, zunächst die von der Landesregierung angestrebte Zahl von 7.000 Vollzugsbediensteten in der Landespolizei zu erreichen. Erst dann könnten einzelne Bereiche gezielt verstärkt werden.

Bachmann hält den Studiengang in seiner jetzigen Verteilung zudem für "ein Stück weit überdimensioniert". So würde die Kriminalpolizei aus Sicht der Gewerkschaft nur rund ein Fünftel der Landespolizei ausmachen, im Studiengang aber mehr Absolventen stellen. Um der Arbeitsbelastung akut abzuhelfen, müsse hingegen die Digitalisierung vorangetrieben werden. "Wir brauchen die E-Akte", sagte Bachmann.

Der Streit um die Kriminalpolizei soll nun auch den Landtag beschäftigen. Der SPD-Politiker Rüdiger Erben hat eine Befassung im Innenausschuss beantragt.

MDR (Thomas Vorreyer)

Dieses Thema im Programm: MDR SACHSEN-ANHALT – Das Radio wie wir | 13. September 2022 | 21:00 Uhr

2 Kommentare

Bolle der 1. am 14.09.2022

Ein guter Kriminalist wird man auf keinen Fall auf der Polizeischule. Man braucht dafür Talent, Instinkt und Berufserfahrung. Das gleiche gilt auch für die Bearbeitung von Verkehrsunfällen. Ich habe erlebt, was junge Polizisten bei einer Unfallaufnahme so abgeliefert haben. Rechtlich unsicher bis keine Ahnung und eine Spurensicherung " muss nicht sein, kommt ja doch nichts raus"

hilflos am 14.09.2022

Ich finde es nicht verkehrt, wenn Kriminalbeamte nach der Ausbildung zunächst im Bereich der Schutzpolizei eingesetzt werden. So können sie auch den polizeilichen Alltag im normalen Dienst erleben. Man erlebt den täglichen Auftritt der Menschen direkt und nicht als aufbereitete Akte später. Es wird die Beamten auch abhärten und schulen, um mit tatsächlichen Katastrophen der Menschen umgehen zu können. Wenn im späteren Berufsleben der junge Mensch zB eine Todesermittlungssache zu bearbeiten hat und ggf auch die Todesnachricht den Eltern zu überbringen hat, dann möchte man über viel Berufs - und Lebenserfahrung verfügen um derartiges zu schaffen

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