Bayern

Ehrenkriminalmarke an VKÖ

Wenn der Bund Deutscher Kriminalbeamter ausgerechnet die Vereinigung Kriminaldienst Österreich ehrt, dann mag man zunächst an gewisse Traditionen der Medien- oder Unterhaltungsbranche denken. Dort überreichen nämlich Journalisten anderen Journalisten Preise (weil es sonst niemand tut), dort feiern sich Entertainer auf ihren Bühnen mit großen Gesten gegenseitig, gar für das eine oder andere „Lebenswerk“, um ihrer Branche den äußeren Rahmen von Wichtigkeit und Relevanz zu verleihen.

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Bei uns ist das anders. Natürlich würdigen wir auch die guten Beziehungen zu unseren Nachbarn. Wir alle haben uns aus den gleichen Gründen für den Beruf des Kriminalisten bzw. der Kriminalistin entschieden. Wir erleben dieselben Fälle, dieselben Rückschläge, dieselben Entwicklungen und schauen von derselben Zwischenbilanz aus in die Zukunft. Das verbindet uns, ist allein aber immer noch kein hinreichender Grund für eine Preisverleihung.

Mit diesem Preis würdigen wir nämlich heute die Bedeutung der österreichischen Kriminalisten für den gesamten deutschsprachigen Rechtsraum und darüber hinaus. Die Kriminalistik in ihrer heutigen Form wäre nicht denkbar ohne den Juristen Hans Gross. Der ist 1847 in Graz zur Welt gekommen und 1915 in Graz verstorben und hat sich in der Zeit dazwischen zunächst der Rechtskunde verschrieben.

Warum sich er ausgerechnet als Jurist im Staatsdienst, als Staatsanwalt und Richter, der Weiterentwicklung der Kriminalistik verschrieben hat, ist aus heutiger Sicht erklärungsbedürftig. Die Ermittlungsarbeit bei Kapitalverbrechen, die Inaugenscheinnahme eines Tatortes, Vernehmungen von Zeugen und Verdächtigen geschah eben noch nicht durch eine Kriminalpolizei. Die war damals erst im Entstehen, und das auch nur in Großstädten. Ab 1877 waren es Gerichtskommissionen, die sich an den Tatort bewegten und dort das taten, was heute Aufgabe der Kripo ist (der Staatsanwaltschaft hat man damals noch misstraut).  In dieser Zeit hat sich der Begriff und die Rolle des Untersuchungsrichters gebildet. Dieser wurde mit der Strafrechtsreform 1975 zum Ermittlungsrichter reduziert, der sein Büro erfahrungsgemäß nur noch dann verlässt, wenn zum frühen Nachmittag Ermittlungen auf dem Golfplatz erforderlich sind.  

Untersuchungsrichter mussten also damals schon kriminalistisch arbeiten. Vorbereitet waren sie darauf aber nicht – sie waren eben nur Juristen. Dieser Beruf beschäftigt sich im Wesentlichen mit Sprache und Sprachlogik, der Subsumtion von Beschreibungen und Begriffen. Es sei anerkannt, dass das außerordentlich komplex sein kann, aber diese Tätigkeit vollzieht sich innerhalb eines vollkommen selbst erdachten Netzwerks aus Regeln. Sie kann daher sehr gut auch ohne Realität auskommen (was man dem einen oder anderen Vorgang jener Zeit auch anmerkt). Seit der zwanzigsten Jahrhundertwende, eben jener in der Hans Gross gewirkt hat, hat sich glücklicherweise einiges getan. Sein Verdienst ist es, ab 1893 mit dem „Handbuch für den Untersuchungsrichter“ eine Verbindung zwischen der Juristerei und der Realität hergestellt zu haben. Hier sammelte er erstmals das bekannte kriminalistische Fachwissen, von Themen wie ausgewaschene Blutflecken über Papillarlinien bis zur Bewertung von Zeugenaussagen. Er besprach in diesem Handbuch auch Arbeiten aus den forensischen Naturwissenschaften anderer Autoren und definierte so endlich eine Perspektive einer Kriminalistik als interdisziplinärer Wissenschaft und untrennbarem Bestandteil des Strafrechts. Er bemühte sich weiter darum, die Kriminalistik als Bestandteil juristischer Ausbildung zu etablieren. Dies wurde ihm leider vom zuständigen Ministerium aus Gründen mangelnder Vorstellungskraft verwehrt. Man konnte sich dort nicht vorstellen, dass die Kriminalistik eine eigenständige Wissenschaft sei, die für das Strafrecht hinreichende Relevanz entfalten könne. Das mit der mangelnden Vorstellungskraft in Ministerien hat sich leider bis heute erhalten. Beispielsweise sind sich die Juristen der Bayerischen Staatsverwaltung in ihrer Bewertung recht einig, dass nur Juristen ein Direkteinstieg in den höheren Polizeivollzugsdienst zu ermöglichen ist. Bei Absolventen anderer Studienrichtungen könne man sich das nicht vorstellen. Es sei am Rande bemerkt, dass dies z.B. im Deutschen Bundeskriminalamt sehr wohl möglich ist, ohne dass das BKA erkennbar unter dem Ruf leidet, seinen Aufgaben nicht gerecht zu werden.

Zurück zu Hans Gross: Ihm haben wir die Erkenntnis zu verdanken, dass kriminalistische Ermittlungsarbeit kein eindimensionales Geschäft, dass Kriminalistik kein unbeachtliches Nebenfach einer dogmatischen Strafrechtslehre ist. Vielmehr ist sie das Zusammenspiel vieler empirischer Wissenschaften sowie (selbst-) kritischen Denkens und findet nicht nur in Gerichtssälen, sondern auch in Büros und Laboren der Polizei und nicht zuletzt auf der Straße statt. Eine Folge dieser Erkenntnis war die endgültige Etablierung der Kriminalpolizei, weil diese sich eben besser für Kriminalistik in einer immer komplexer werdenden Gesellschaft geeignet gezeigt hat, als das Beharren auf gerichtlichen Untersuchungskommissionen. Hans Gross hat sich nicht mit dem Status Quo zufrieden gegeben. Er hat Defizite erkannt und aufgezeigt und er hat überzeugende Lösungen angeboten, die nicht überall sofort mit offenen Armen aufgenommen wurden. Im allerbesten Sinn war er ein Vordenker dessen, was den VKÖ und den BDK auszeichnet und verbindet und von einer bloßen Polizeigewerkschaft unterscheidet: Wir wollen Kriminalpolitik aktiv gestalten und das geht nur mit kriminalistischer Kompetenz und dem ständigen Blick über den Tellerrand hinaus. Hans Gross soll unseren beiden Vereinigungen daher ein gemeinsames Vorbild sein. Liebe Kollegen der Vereinigung Kriminaldienst Österreich: herzlichen Glückwunsch!