25. Europäischer Polizeikongress in Berlin

21.06.2022

Vom 11. bis 12. Mai 2022 fand auf der Messe in Berlin der 25. Europäische Polizeikongress statt. Paul Werdin vom Bezirksverband Jena war mit dabei und schildert uns seine Eindrücke:
25. Europäischer Polizeikongress in Berlin

Die Veranstaltung ist ein internationaler Kongress für Entscheidungsträger von Polizei, Sicherheitsbehörden und Industrie. Unter dem Motto „Wandel – Risiko oder Chance? Europa, Gesellschaft, Klima, Technologie“ wurden sowohl im Hauptprogramm als auch in über 30 Fachforen relevante Themen erörtert. Die große Anzahl der Messestände von Firmen, die Dienstleistungen und Produkte für die öffentliche Verwaltung im Bereich der Informationstechnik anbieten, ließ erahnen, dass die Auswirkungen der Digitalisierung auf die Arbeit der Sicherheitsbehörden das bestimmende Thema des Kongresses war. Während des zweitägigen Kongresses hatten die etwa 1400 Teilnehmer die Möglichkeit, an insgesamt drei Fachforen teilzunehmen, die sich vertieft mit bestimmten Themen auseinandersetzten. Das Hauptprogramm bestand im Wesentlichen aus Vorträgen von Vertretern verschiedener deutscher und europäischer Sicherheitsbehörden, sowie Diskussionsrunden mit Experten und Politikern. Hans-Georg Engelke, Staatssekretär im Bundesministerium des Inneren und für Heimat der Bundesrepublik Deutschland, widmete sich in der Begrüßungsrede den im Koalitionsvertrag der Bundesregierung fokussierten Themen Cybersicherheit und Bekämpfung der organisierten Kriminalität. Dabei verwies er auf das kürzlich erschienene Bundeslagebild Cybercrime des Bundeskriminalamtes, was einen Anstieg von 12% im Bereich der Computerkriminalität auswies. Diese Entwicklung erfordere einen Wandel in der Strafverfolgung und eine stärkere Vernetzung der Behörden. Joachim Herrmann, Innenminister des Freistaates Bayern und derzeitiger Vorsitzender der ständigen Kommission der Innenminister und –Senatoren der Länder, machte deutlich, dass der digitale Raum kein rechtsfreier Raum sei. Die Mediatisierung bringe neben vielen positiven auch negative Erscheinungen mit sich, denen angemessen entgegnet werden müsse.


Künstliche Intelligenz in der Polizeiarbeit


Das Fachforum Künstliche Intelligenz in der Polizeiarbeit bestand zum einen aus Vertretern verschiedener Firmen, die KI-basierte Anwendungen für die öffentliche Verwaltung entwickelt haben und von Behördenvertretern der Europäischen Union, welche die Bedeutung von KI für die heutige und zukünftige Polizeiarbeit skizzierten.

Künstliche Intelligenz beschreibt Systeme, die Probleme eigenständig bearbeiten und sich dabei auf veränderte Bedingungen einstellen können. Die Digitalisierung des Alltags führt zu einer stetig steigenden Datenmenge, die im Rahmen der polizeilichen Arbeit bewältigt werden muss. KI-basierte Technologien ermöglichen es, diese oft heterogenen Daten für die polizeiliche Ermittlungsarbeit aufzubereiten, indem sie strukturiert und sortiert werden und so die Analysefähigkeit der Ermittlungsbehörden verbessert wird. Sie dienen als essentielles Werkzeug, um Arbeitsprozesse zu automatisieren. Die vertretenden Firmen stellten Anwendungen vor, die etwa als intelligente Lesehilfe großer Datenmengen aus unterschiedlichen Quellen mit verschiedenen Funktionalitäten auf relevante Inhalte hin untersuchen können und dabei zuverlässige Ergebnisse liefern. Die Bild- und Videoanalyse mit Hilfe künstlicher Intelligenz ermöglicht es, in Sekunden millionenfach Fahndungsfotos mit  Videoaufnahmen abzugleichen, im Hinblick auf die Ermittlungsarbeit im Bereich
Kinderpornografie können auch Gemeinsamkeiten hinsichtlich der Tatorte oder erfassten Gegenstände abgeglichen werden. Nützlich erschien auch eine Anwendung zur automatisierten intelligenten Transkription von Sprache, die etwa bei der Verschriftung von audiovisuellen Vernehmungen eingesetzt werden kann. Die verschiedenen Sprecher, Satzzeichen und sprachliche Besonderheiten werden zuverlässig erkannt, sodass eine manuelle Nacharbeit auf ein Minimum reduziert wird und eine enorme Zeitersparnis bei der Umwandlung zu verzeichnen ist. Künstliche Intelligenz wird in verschiedenen Behörden der Europäischen Union angewendet und soll perspektivisch bei der Einreise aus Drittstaaten für ein Scoringsystem verwendet werden, welches die Entscheidungsfindung der handelnden Beamten unterstützen soll. Insbesondere im Rahmen der Bekämpfung der organisierten Kriminalität und von Cybercrime sind KI-basierte Technologien eine essentielle Voraussetzung für eine moderne Strafverfolgung.

Bei allen Vorteilen darf jedoch nicht vergessen werden, dass der Einsatz von künstlicher Intelligenz auch Risiken birgt und verfassungsrechtlich begrenzt wird. Automatisierte Entscheidungen können die Subjektqualität des Menschen untergraben und somit gegen die Menschenwürde verstoßen, wenn der Mensch zu einem bloßen Objekt staatlichen Handelns degradiert wird. Moderne Technologien ermöglichen es, personenbezogene Daten unterschiedlicher Herkunft so miteinander zu verknüpfen, dass komplexe Persönlichkeitsprofile erstellt werden können, was einen vertieften Eingriff in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung darstellt. Der Einsatz von intelligenter Videoüberwachung birgt die Gefahr einer Diskriminierung bestimmter Personengruppen, wenn beim Anlernen der Systeme zur automatisierten Erkennung von Gefahrensituationen auf bestimmte äußerliche Merkmale dieser Personen abgestellt wird.


Der Einsatz von künstlicher Intelligenz wird in der zukünftigen Polizeiarbeit eine wesentliche Rolle spielen, ist jedoch kein Allheilmittel. Moderne Technologien können die Entscheidungsfindung von Menschen vereinfachen, dürfen sie jedoch nicht ersetzen.

„Die organisierte Kriminalität ist die Kehrseite der Globalisierung und Digitalisierung“


Der Abteilungsleiter 6 des Landeskriminalamt Thüringen stellte gemeinsam mit weiteren Behördenvertretern aus Nordrhein-Westfalen und Österreich, sowie einem Vertreter der Firma „Maltego“ aktuelle Phänomene und Herausforderungen bei der Bekämpfung der organisierten Kriminalität vor. Die Bekämpfung der organisierten Kriminalität genießt sowohl in Deutschland, als auch in Österreich eine hohe Priorität. Die Zahl der in der Polizeilichen Kriminalstatistik erfassten OK-Verfahren ist seit Jahren etwa konstant, was jedoch nur begrenzte Rückschlüsse auf die tatsächliche Entwicklung der Kriminalität in diesem Bereich zulässt. Die lange Dauer und die Komplexität der Ermittlungsverfahren, aber auch daran anschließende langwierige Gerichtsprozesse, binden Personal, welches darüber hinaus nur in begrenzten Umfang zur Verfügung steht. Schwerpunkte bilden der organisierte Rauschgifthandel, Wirtschafts- und Eigentumskriminalität. Die Strukturen sind insbesondere bei den Betrugsphänomenen Enkeltrick, falscher Polizeibeamter und Schockanrufen hoch organisiert und von einem arbeitsteiligen Vorgehen der Tatbeteiligten geprägt. Die Aufsprengung von Geldautomaten, früher häufig mit gasförmigen, heute vermehrt mit festen Sprengstoffen, birgt zudem ein erhebliches Gefährdungspotenzial für Personen und Sachen, die sich Umfeld des Tatobjektes befinden. Das internationale Agieren der verschiedenen Tatverantwortlichen erschwert die Ermittlungsarbeit der Behörden, eine Vernetzung und der Austausch mit den verschiedenen Strafverfolgungsbehörden und Nachrichtendiensten, national und international, sind daher essentiell, um zum einen ein qualitativ hochwertiges Lagebild erstellen zu und andererseits effektiv gegen kriminelle Strukturen vorgehen zu können. Fokus sollte aus Sicht der Experten die Abschöpfung inkriminierter Gelder haben. In anderen Ländern, wie Italien, wurde zur Erleichterung der Vermögenseinziehung im Kampf gegen die Mafia die Beweisumkehr eingeführt, die Besitzer dazu verpflichtet, die rechtmäßige Herkunft der Vermögenswerte den Strafverfolgungsbehörden gegenüber nachvollziehbar darzulegen. Auch hierzulande haben sich die rechtlichen Möglichkeiten der Vermögensabschöpfung verbessert. Haftstrafen würden Angehörige der organisierten Kriminalität nicht beeindrucken, daher müsse man dort ansetzen, wo es wehtut und das sei einzig das Geld, so die Experten einhellig.


Open Source Intelligent


Die Nutzung öffentlich zugänglicher Informationen aus dem Internet für die Erhebung relevanter Informationen gewinnt aufgrund der fortschreitenden Digitalisierung des Alltags immer mehr an Bedeutung. Aus Osnabrück wurde über das Projekt „Sentinel“ berichtet, das dort die Einsatzleitstellen bei der Lagebewältigung unterstützt. Vorrangiges Ziel ist die Erlangung von weiteren Erkenntnissen über am Einsatz beteiligten Personen, zusätzlich zu den Informationen, die aus den behördlichen Datenbanken abgerufen werden können. Diese können sowohl zum Schutz der eingesetzten Polizeikräfte, als auch für die Einsatzbewältigung von großer Bedeutung sein. Über Recherchen in sozialen Netzwerken können Hinweise auf gefährliche Tiere, Waffen oder der Zugehörigkeit zu bestimmten Organisationen erlangt werden, die in den behördlichen Datenbanken nicht erfasst sind. Hilfreich können OSINT-Recherchen eignen sich ebenso für Ermittlungen zum Aufenthaltsort vermisster Personen, als auch für die Ermittlung komplexer Verflechtungen von Personen und Firmen im Bereich der Wirtschaftskriminalität. Die so ermittelten Erkenntnisse helfen, Ermittlungsphasen zu verkürzen, gezielte Anfragen an Quelldatenprovider zu stellen und nicht triviale Verbindungen aufzuzeigen.


„Wir werden von Angriffen überrollt“ Bundesamt für Sicherheit in der
Informationstechnik (BSI)


Arne Schönbohm, Präsident des Bundesamtes für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI) gab einen Einblick in die Arbeit und aktuelle Herausforderungen seiner Behörde. Allein im letzten Jahr seien 144 Millionen neue Schadprogrammvarianten bekannt geworden, Schönbohm spricht von einer Industrialisierung der Angreifer. Mit Cybercrime wird im Bereich der organisierten Kriminalität mehr Geld verdient, als mit dem Rauschgifthandel. Die Cyberangriffe auf ein Düsseldorfer Krankenhaus und die Verwaltung des Landkreises Anhalt-Bitterfeld zeigen, dass Cybercrime erhebliche Auswirkungen auf die reale Welt entfalten kann und, wie im ersten Fall, unmittelbar auch Menschenleben gefährdet. Trotz zahlreicher Hinweise des BSI auf Sicherheitslücken führe die digitale Sorglosigkeit zu einer hohen Gefährdungslage. Hinweise auf Sicherheitslücken und Updates werden noch zu häufig ignoriert, wodurch betroffene informationstechnische Systeme für Angreifer leicht zu kompromittieren sind. Ein technisches Verständnis ist auf Seiten der Tatverantwortlichen für die Durchführung einer Cyberattacke nicht mehr notwendig. Das Internet bietet im verborgenen Bereich eine breite Palette verschiedener krimineller Dienstleistungen und Produkte, die bei entsprechendem Interesse und finanziellen Möglichkeiten modular zusammengestellt und eingekauft werden können („crime as a service“).

Vielfältige Themen und Perspektiven

Die Zukunft der polizeilichen Ermittlungsarbeit ohne die Nutzung moderner Technologien ist, vor dem Hintergrund der Mediatisierung und Digitalisierung nahezu aller Bereiche des gesellschaftlichen Lebens, nicht vorstellbar. Die Fokussierung des europäischen Polizeikongresses auf diese Themen zeigt, dass diese Erkenntnis bei Entscheidungsträgern und in den Behörden angekommen ist. Die Beiträge von privatwirtschaftlichen Firmen, Politikern, Behördenvertretern, aber auch von Kriminologen und Soziologen zeigen, dass der digitale Wandel zahlreiche Chancen, aber auch Risiken bietet, die durch sorgsame Abwägung von Entscheidungen, insbesondere im Hinblick auf deren Auswirkungen auf die Gesellschaft, eingegrenzt werden müssen.