Artikel: 80 Hinweise zu G20-Fotofahndung

21.12.2017

Die öffentliche Fahndung der Hamburger Polizei nach mutmaßlichen G20-Gewalttätern zeigt erste Ergebnisse. Doch es gibt auch Kritik am Vorgehen der Ermittler. Der Begriff Menschenjagd fällt. Und der Bund der Kriminalbeamten fordert, die Rolle der Bundesregierung im Vorfeld des Gipfels zu beleuchten (von Hans-Jürgen Deglow und dpa)
Artikel: 80 Hinweise zu G20-Fotofahndung

Einen Tag nach Beginn der großen öffentlichen Fahndung nach mehr als hundert mutmaßlichen G20-Randalierern hat die Hamburger Polizei bereits 80 Hinweise erhalten. Ein Verdächtiger meldete sich freiwillig. Ein Polizeisprecher bestätigte am Dienstag Medienberichte, wonach der Mann gestanden habe, an der Plünderung eines Supermarkts beteiligt gewesen zu sein. Unterstützung für die Aktion gab es vor allem von CDU und CSU.

Polizei und Staatsanwaltschaft hatten am Montag die Fotos von 104 Verdächtigen ins Internet gestellt. Ihnen werden nach Angaben der Hamburger Staatsanwaltschaft zumeist gefährliche Körperverletzung, schwerer Landfriedensbruch oder Brandstiftung vorgeworfen. Zu fünf verschiedenen Tatkomplexen sind zudem Videos abrufbar, die das Geschehen an mehreren Brennpunkten während des Gipfels der wichtigsten Industrie- und Schwellenländer Anfang Juli zeigen.

"Richtige Antwort auf brutale Gewalttäter"

Der CSU-Landesgruppenchef im Deutschen Bundestag, Alexander Dobrindt, stellte sich hinter die Aktion. Das sei die "die richtige Antwort auf die brutalen Gewalttäter", sagte er. "Wer die Öffentlichkeitsfahndung für verfehlt hält, stellt offensichtlich den Täterschutz vor den Opferschutz."

Auch der CDU-Bundestagsabgeordnete Armin Schuster verteidigte die Maßnahme der Ermittler. Die Strafprozessordnung erlaube eine Öffentlichkeitsfahndung, wenn zuvor alle Schritte zur Identifizierung einer Person erfolglos blieben und wenn es um Straftaten von erheblicher Bedeutung gehe. Dies habe die Staatsanwaltschaft sorgfältig abgewogen, Richter hätten der Maßnahme zugestimmt. Zudem seien die Fotos sorgsam ausgewählt worden, sagte der CDU-Innenpolitiker im ZDF-"Morgenmagazin".

Baden-Württembergs schwarz-grüne Regierungsspitze stellte sich ebenfalls hinter die öffentlichen Fahndung. Innenminister Thomas Strobl (CDU) sagte, er finde es sehr gut, dass der Rechtsstaat einen langen Atem habe und konsequent diesen Straftaten nachgehe. "Ich finde es sehr richtig und sehr notwendig." Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) schloss sich dem an.

"Gerechtfertigtes Fahndungsinstrument"

Jan Reinecke, Hamburger Landesvorsitzender des Bunds Deutscher Kriminalbeamter (BDK), sagte der Heilbronner Stimme: "Die aktuelle Öffentlichkeitsfahndung ist zum jetzigen Zeitpunkt ein notwendiges und auch gerechtfertigtes Ermittlungsinstrument. Die in der eigens zur Aufarbeitung der G20-Straftaten eingesetzte Soko "Schwarzer Block" ist seit Monaten damit beschäftigt, viele Terrabyte an Bilddateien zu sichten und darüber Tatverdächtige zu identifizieren. Da die polizeiinterne Fahndung mit dem gewonnenen Bildmaterial nur wenig erfolgversprechend ist, ist die Öffentlichkeitsfahndung verhältnismäßig. Ferner liegt jedem für die Öffentlichkeitsfahndung benutztem Lichtbild ein gesonderter richterlicher Beschluss zugrunde. Die auf den Bildern gezeigten Personen werden verdächtigt, sich beispielweise einem schweren Landfriedensbruch oder einer schweren Brandstiftung strafbar gemacht zu haben."

Linke spricht von Stimmungsmache

Die Linksfraktion in der Hamburger Bürgerschaft hatte zuvor besonders die mit den Fahndungsfotos veröffentlichten Videos kritisiert. "Das ist Stimmungsmache und ich frage mich, wie ein solches Vorgehen durch ein Gericht abgesegnet werden konnte", erklärte die innenpolitische Sprecherin Christiane Schneider. Durch die Veröffentlichung ihrer Fotos drohe den abgebildeten Personen lebenslange Stigmatisierung, egal ob sie verurteilt würden oder nicht. Die Linken-Bundestagsabgeordnete Ulla Jelpke sprach von "Steckbriefen wie zu Zeiten der RAF-Hysterie". Telefonhotlines öffneten zudem Denunziantentum Tür und Tor.

BDK-Landeschef Reinecke hält unterdessen auch die politische Debatte über den G20-Gipfel und die Ereignisse in Hamburg für längst nicht abgeschlossen. Auf die Frage, ob er zufrieden mit der Aufarbeitung sei, sagte er: "Nein, natürlich nicht. Denn der mit der Aufarbeitung beschäftigte Sonderausschuss der Hamburger Bürgerschaft droht zu einer politischen Farce zu verkommen, an dessen Ende der "schwarze Peter" der Polizei zugeschoben werden könnte."

Reinecke beklagt, dass die Rolle der Bundesregierung völlig unzureichend beleuchtet worden sei: "Beispielsweise ist immer noch nicht aufgeklärt worden, welche Person, trotz der bedenklichen Lageeinschätzungen des Staats- und Verfassungsschutzes, Hamburg als Austragungsort für den G20-Gipfel festgelegt und damit die vorhersehbaren Gewaltausschreitungen in Kauf genommen hat." Und weiter: "Irgendjemand auf Seiten der einladenden Bundesregierung hat doch eine Güter- bzw. Verhältnismäßigkeitsabwägung zum Nachteil Hamburgs getroffen. Historisch bedingt durch den G8-Gipfel in Genua im Jahr 2001 und die EZB-Eröffnung in Frankfurt im Jahr 2015, lokalbedingt durch die Nähe zum berüchtigten Autonomen Zentrum "Roten Flora" im Hamburger Schanzenviertel und durch die sehr deutlichen, aktuellen Lageeinschätzungen der Sicherheitsbehörden war abzusehen, was mit dem G20-Gipfel über Hamburg hereinbrechen wird".

Weblink zum Artikel:

http://www.stimme.de/deutschland-welt/politik/dw/80-Hinweise-zu-G20-Fotofahndung;art295,3958392

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