Artikel: Gravierende Planungsfehler - Drei Gründe, warum die Polizei bei den G20-Krawallen keine Chance hatte

14.07.2017

„Seien Sie unbesorgt: Wir können die Sicherheit garantieren“, sagte Olaf Scholz (SPD) in den Tagen vor dem G20-Gipfel. „Es wird Leute geben, die sich am 9. Juli wundern werden, dass der Gipfel schon vorbei ist.“ Nun ist der 9. Juli da – und die Worte des Hamburger Bürgermeisters klingen wie blanker Hohn (von Forian Reiter)
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Die Ortswahl

Der G20-Gipfel verbinde sich gut mit der Weltoffenheit der Stadt, hatte Bundeskanzlerin Angela Merkel bei der Bekanntgabe des deutschen G20-Tagungsortes erklärt. Denn Hamburg pflege dank seines berühmten Hafens bereits seit Jahrhunderten hervorragende Handelsbeziehungen. Für die Kanzlerin war Hamburg also vor allem eine Wahl mit Symbolkraft. Für Bürgermeister Olaf Scholz war dieser Gipfel auch eine Chance: Zumindest warfen Kritiker dem SPD-Mann vor, sich mit dem politischen Großereignis profilieren zu wollen.

Aber warum richtet man so eine Veranstaltung in einer Großstadt mit 1,8 Millionen Einwohnern aus, und nicht irgendwo auf dem Land? Bei einem sicherheitstechnisch hochkomplexem Event wie diesem ist eine Großstadt „besonders geeignet“, erklärte EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker den Zeitungen der Funke Mediengruppe. Die etwa 10.000 Delegierten müssten schließlich irgendwo untergebracht werden – „das geht schlecht in einem Dorf oder auf einer Nordseeinsel“. Auch die Bundesregierung hatte wiederholt betont, Hamburg erfülle alle Anforderungen an einen G20-Gipfelort.

Allerdings: Hamburg gilt als Hochburg der linksautonomen Bewegung in Deutschland. Gewalttätige Extremisten konnten in der Stadt auf ein weites Netzwerk von Unterstützern zurückgreifen, etwa in Fragen der Logistik. Die vorhersehbaren Ausschreitungen wurden so noch effektiver.

Durch die zentrale Lage innerhalb Europas war die Stadt auch für Krawallmacher aus dem Ausland besser zu erreichen als zurückliegende Tagungsorte wie Brisbane oder St. Petersburg. „Hamburg hätte niemals Austragungsort des G20-Gipfels sein dürfen“, sagte Jan Reinecke, der Hamburger Landesvorsitzender des Bundes Deutscher Kriminalbeamter, zu „Spiegel Online“. Doch die Polizei sei nicht gefragt worden.

Die Strategie

Auch an der Polizei selbst wird Kritik laut. Wie kann es sein, dass Linksextreme fast ohne Gegenwehr einen Pfad der Zerstörung durch die Hamburger Innenstadt ziehen können? Vieles deutet auf Planungsfehler hin. 15.000 Polizisten sind ursprünglich für den G20-Gipfel vorgesehen, doch schon nach der ersten Nacht wird klar: Diese Zahl reicht nicht aus.

Panisch fordert die Hamburger Polizei am Freitagmorgen weitere Unterstützung aus dem übrigen Bundesgebiet an. Dennoch müssen die Beamten teilweise zwölf Stunden und länger pro Tag arbeiten, Pausen gibt es kaum. Selbst mit der eingeflogenen Verstärkung ist die Personaldecke zu dünn – das rächt sich vor allem am Freitagabend.

An jenem Abend ist der Besuch der G20-Staatschefs in der Elbphilharmonie vorgesehen, die Sicherheitsvorkehrungen rund um den Hafen sind dementsprechend gewaltig. Im Schanzenviertel fehlen dadurch Sondereinsatzkräfte, um die dortigen Ausschreitungen einzudämmen – die Lage eskaliert. „In der Tat hat es etwas gedauert, bis die Spezialkräfte vor Ort waren“, räumte Polizeisprecher Ulf Wundrack im Gespräch mit FOCUS Online ein. „Die Polizei hatte ein ausgefeiltes Konzept, wie sie die Politiker beschützt“, sagte ein Beamter zu „Spiegel Online“. Ein Konzept zum Schutz der Bevölkerung sei hingegen nicht zu erkennen gewesen.

Das Umfeld

Nicht nur die Ortswahl kam den Linksextremen bei ihren Krawallen entgegen, sondern auch ihre hervorragende Planung. Bis zu eineinhalb Jahre lang hätten sich linksextreme Kreise aus ganz Europa auf das Treffen vorbereitet, warnte das Bundeskriminalamt (BKA) vor Beginn des Gipfels. Die vermummten Straftäter zogen in kleinen Gruppen organisiert durch die Stadt und machten der Polizei damit das Leben schwer. Wenn keine Staatsgewalt in Sicht war, bündelten die Linksextremen schnell ihre Kräfte und verwüsteten ganze Straßenstriche, bevor sie sich wieder in verschiedene Richtungen zerstreuten.

Hinzu kommt: Rund um die Krawallen versammelten sich regelmäßig Hunderte Schaulustige und Sympathisanten. Das erschwerte der Polizei den Zugriff und ermöglichte es den Linksextremen, schnell in der Masse unterzutauchen. Auch die Beweisführung wird dadurch massiv erschwert: Wer aus so einer Menge eine Flasche oder einen Stein geworfen hat, ist kaum festzustellen.

Bis zum späten Samstagabend gab es nach Angaben der Polizei insgesamt 144 Festnahmen, bei ungefähr 1500 Linksextremen, die an den Ausschreitungen beteiligt waren. Die Polizei hofft jetzt auf die Auswertung von Videomaterial und weitere Hinweise aus der Bevölkerung – doch ein Großteil der Täter wird vermutlich nie gefasst werden.

Weblink:

http://www.focus.de/politik/deutschland/schwere-ausschreitungen-in-hamburg-schlechte-planung-kaum-festnahmen-was-bei-den-g20-krawallen-falsch-lief_id_7333556.html

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