Artikel: Hamburgs Justiz nimmt Hasskriminalität in den Fokus

20.06.2018

Die Staatsanwaltschaft wird ab 1. Juli Straftaten aus dem Bereich Hasskriminalität erfassen. Justizsenator Till Steffen: „Wir brauchen neue Quellen, um antisemitische Straftaten sichtbar zu machen.“ (von Denis Fengler)
Artikel: Hamburgs Justiz nimmt Hasskriminalität in den Fokus

Das Video hatte bundesweit für Entsetzen gesorgt: Es zeigt einen jungen Syrer, der mit einem Gürtel auf einen Mann einschlägt. Das Opfer trägt eine Kippa, die traditionelle jüdische Kopfbedeckung, der Schläger schreit „Yaudi“, das arabische Wort für „Jude“. Der antisemitische Übergriff passierte mitten am Tag, im Berliner Stadtteil Prenzlauer Berg. Der Täter muss sich ab Dienstag vor Gericht verantworten. Dem 19-Jährigen werden gefährliche Körperverletzung und Beleidigung vorgeworfen. Bundesweit formte sich nach der Tat Protest gegen Antisemitismus, auch in Hamburg. Tausende Demonstranten traten öffentlich mit Kippa auf.

Angesichts der Hasstiraden in den Kommentarspalten insbesondere im Internet und der rechtspopulistischen Erfolge in den Parlamenten scheint das gesellschaftspolitische Klima vergiftet. Der Präsident des Zentralrates der Juden, Josef Schuster, warnte bereits davor, den Judenhass in Deutschland kleinzureden. Wie sicher leben Juden in Deutschland noch, ist nicht die einzige Frage, die sich aufdrängt. Wie steht es um den Schutz von Minderheiten, Andersgläubigen oder Schwulen und Lesben? Wie stark ist das Phänomen „Hasskriminalität“ bereits ausgeprägt?

Antworten darauf will auch die Hamburger Justizbehörde finden: Vom 1. Juli dieses Jahres an wird die Staatsanwaltschaft Fälle von Hasskriminalität differenziert statistisch erfassen, kündigte Justizsenator Till Steffen (Grüne) im Gespräch mit WELT an. Aufgeschlüsselt werden soll das Phänomen künftig auch nach antisemitischen, antichristlichen, antiislamischen, behindertenfeindlichen und fremdenfeindlichen Straftaten sowie solchen, die sich gegen bestimmte sexuelle Orientierungen richten. Ziel der besseren statistischen Erfassung sei, das Ausmaß und die Entwicklung des Phänomens der Hassstraftaten anhand justizieller Daten besser einschätzen zu können, hieß es aus der Justizbehörde. Wichtig sei die Motivforschung auch für die Frage der Strafzumessung in Strafverfahren. Aber auch gesellschaftspolitische Entwicklungen könnten anhand von validen Daten besser beurteilt werden, sodass angemessene Reaktionen erfolgen können.

„Politisch motivierte Kriminalität wird bisher hinsichtlich antisemitischer Angriffe nicht ausreichend erfasst, da dieses spezifische Kriterium nicht abgefragt wird. Wir brauchen neue Quellen, um Straftaten mit antisemitischem Hintergrund in unserer Gesellschaft sichtbar zu machen“, erklärte Till Steffen. „Schon 2016 haben sich die Justizminister der Länder Hamburgs Position angeschlossen und im Weiteren Kriterien erarbeitet, mit denen die Tatgründe von Hasskriminalität statistisch nachvollzogen werden können. Daraus folgt jetzt die regelhafte Eingabe bei der Erfassung der Straftat. Damit bekommen wir ein gutes Instrument, um mehr über Hasskriminalität zu erfahren.“

Täter wählten ihre Opfer gezielt wegen deren vermeintlichen „Andersseins“ aus, sagte Steffen, etwa als Juden, Homosexuelle oder Obdachlose. „So führen Hassstraftaten in besonderem Maße dazu, Angehörige von Minderheiten zu verunsichern und innerhalb der Gesellschaft zu isolieren. Zugleich ängstigen sie andere Menschen derselben Gruppe, da diese befürchten müssen, als solche ebenfalls jederzeit Opfer einer entsprechenden Hassstraftat zu werden. Damit wird nicht nur dem einzelnen Opfer Schaden zugefügt, solche Taten vergiften auch das gesamtgesellschaftliche Klima“, so Hamburgs Justizsenator. „Es ist sehr sinnvoll, dass die Staatsanwaltschaft bald Hassmotive erfasst. Wir brauchen die Daten, damit wir besser abschätzen können, wie sich diese Art der Kriminalität entwickelt.“

Die Initiative geht auf einen Beschluss der Justizministerkonferenz zurück, den Hamburg im Juni 2016 eingebracht hatte. In deren Nachgang sei eine Bund-Länder-Arbeitsgruppe eingerichtet worden, an der die Hamburger Justizbehörde beteiligt gewesen sei und in der der neue Statistikbogen erarbeitet wurde, der nun bundeseinheitlich von den Staatsanwaltschaften geführt werde. Bislang wurden in der Justizstatistik nur rechtsextreme und fremdenfeindliche Taten gesondert erfasst. Zudem habe man auf die Auswertung politisch motivierter Kriminalität zurückgreifen können, die von der Polizei geführt wird, hieß es. Allerdings sei auch diese Statistik nicht erschöpfend und beleuchte etwa nicht den Bereich der justiziellen Verfahren – unklar bleibe, wie viele Anklagen erhoben oder Urteile gesprochen wurden.

„Die Differenzierung von Hasskriminalität bedeutet für die Staatsanwaltschaft vor allem eine Menge Mehrarbeit“, sagte Hamburgs Generalstaatsanwalt Jörg Fröhlich. Er betonte aber auch: „Auf der anderen Seite wollen wir natürlich nichts unversucht lassen, um das Phänomen besser einschätzen und unsere Maßnahmen besser aufeinander abstimmen zu können. Da lohnt jeder Fortschritt.“

Der Bund Deutscher Kriminalbeamter (BDK) verwies auf eine Dunkelfeldstudie zum Thema Hasskriminalität gegen Flüchtlinge, Migranten und Muslime, die das niedersächsische LKA 2017 durchgeführt hatte. Das Ergebnis: Opfer werden sehr oft Männer mit Migrationshintergrund im Alter von 16 bis 34 Jahren. „Hasskriminalität richtet sich gegen die Grundlage moderner, multikultureller Gesellschaften und bedroht somit das friedliche Zusammenleben und die demokratischen Strukturen“, sagte Landeschef Jan Reinecke. „Die Polizei muss dem Phänomen der Hasskriminalität kompetent und nach aktuellen Erkenntnissen ausgebildet, sensibel und vorurteilsfrei begegnen.“ Deshalb werden solche Taten schon länger in der Staatsschutzabteilung des LKA gesondert statistisch erfasst. „Der BDK begrüßt daher, dass auch Hamburg eine entsprechende Erfassung einführen wird.“

Link zum Artikel:

https://www.welt.de/regionales/hamburg/article177788194/Antisemitismus-Hamburgs-Justiz-nimmt-Hasskriminalitaet-in-den-Fokus.html?wtrid=socialmedia.email.sharebutton

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