Artikel: Kritik am neuen Abhörzentrum

23.06.2016

Bund Deutscher Kriminalbeamter fürchtet "Millionengrab für die Polizei" (von Denis Fengler, DIE WELT, 22.06.2016)
Artikel: Kritik am neuen Abhörzentrum

Telefonate abhören, EMails mitlesen, SMS abfangen: Die fünf norddeutschen Länder planen eine Kooperation bei der Telekommunikationsüberwachung (TKÜ). Bereits ab 2020 soll das neue Überwachungszentrum in Hannover in Betrieb gehen und den Sicherheitsbehörden in Hamburg, Bremen, Mecklenburg-Vorpommern, Niedersachsen und Schleswig-Holstein zuarbeiten. Ein entsprechender Staatsvertrag zwischen den Ländern wurde im April unterzeichnet. Noch allerdings ist das Abhörzentrum ein theoretisches Konstrukt – mit entscheidenden Schwächen, so die Kritik des Bundes Deutscher Kriminalbeamter (BDK) in Hamburg. Die Investitions- und Betriebskosten seien nicht kalkulierbar, sagt die Polizeigewerkschaft und befürchtet ein "Millionengrab für die Hamburger Polizei".

Die Überwachung von Telefonen, Handys und anderen Kommunikationsmitteln ist "derzeit eines der wichtigsten Ermittlungsinstrumente zur Aufklärung und Verhinderung von schweren Straftaten", erklärt Jan Reinecke, Chef des Hamburger Landesverbands des BDK. "Die Bekämpfung des Terrorismus, der organisierten Kriminalität, der Drogenkriminalität und in Mord- und Entführungsfällen ist heute ohne Kommunikationsüberwachung nicht mehr vorstellbar." Terrorverdächtige und Verdächtige aus dem Bereich der organisierten Kriminalität werden so überwacht. In der Regel müssen solche Abhörmaßnahmen von einem Richter genehmigt werden. Im Falle der Gefahrenabwehr können sie auch vom Polizeipräsidenten angeordnet werden.

Das neue Abhörzentrum ist dem Hamburger BDK ein Dorn im Auge, der nicht nur glaubt, dass in Polizeistellen gestrichen werden, wenn die neue Zentrale in Hannover erst einmal läuft, sondern auch die Sinnhaftigkeit des Projekts bestreitet. Ein Grund: Die Kostenschätzung für Bau und Betrieb der gemeinsamen Anlage sei von nur einer einzigen Firma erstellt worden, andere Hersteller seien nicht berücksichtigt worden. Das sei "beschaffungsrechtlich inakzeptabel", sagt Reinecke. "Tatsächlich ist eine TKÜ-Anlage wie das geplante Rechen- und Dienstleistungszentrum Nord in dieser Dimension in der Bundesrepublik Deutschland niemals zuvor gebaut worden." Solch eine Anlage sei eine komplexe Einzelanfertigung, die ständig nachjustiert werden müsse, was entsprechend kosten werde.

Hamburg habe bereits eine moderne Anlage zur TKÜ aus dem Jahr 2013. Ob der Bedarf der Hamburger Ermittler bei der gemeinsam betriebenen Anlage genauso zügig bedient werde wie jetzt, sei fraglich, heißt es vom BDK. Dass die Hamburger Innenbehörde vor zwei Jahren noch Abstand von dem Projekt genommen habe, weil der damalige Innenstaatsrat "ernsthafte und nicht ausräumbare Zweifel an der Wirtschaftlichkeit des Projekts" gehabt habe, ist für Reinecke nur die Bestätigung der eigenen Kritik. Zwar sei im Staatsvertrag ausgewiesen, dass der Anteil Hamburgs an den Erstinvestitionskosten auf maximal 18,3 Millionen Euro begrenzt sei, dennoch seien darin kostenintensive Posten noch gar nicht berücksichtigt.

Die neue Überwachungszentrale war bereits 2010 beschlossen worden. Die Verfassungsschutzlandesämter sollen an ihr nicht beteiligt sein, aus rechtlichen Gründen. Die Polizei selbst erhofft sich mit dem neuen Abhörzentrum in Hannover einen besseren Zugang zu modernen Kommunikationsmitteln und eine Möglichkeit der Auswertung großer Datenmengen. 2015 wurden in Hamburg fast 1900 Überwachungsmaßnahmen durchgeführt, vor allem zur Aufklärung von Drogendelikten (650 Überwachungen), aber auch von Mord und Totschlag sowie Raub und Betrug.

Link zum Artikel:

http://www.welt.de/print/welt_kompakt/hamburg/article156438331/Kritik-am-neuen-Abhoerzentrum.html

 

 

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