Artikel: LKA am Limit - Bestimmte Straftatbereiche werden in Hamburg derzeit nicht bearbeitet

28.08.2017

Das LKA Hamburg steht unter Druck: Drei schwerwiegende Fälle müssen schnellstmöglich bearbeitet und aufgeklärt werden. Dafür wurde viel Personal abgestellt. Und das hat Folgen (von Denis Fengler)
Artikel: LKA am Limit - Bestimmte Straftatbereiche werden in Hamburg derzeit nicht bearbeitet

Die Aufarbeitung der Ausschreitungen rund um den G-20-Gipfel, die Ermittlungen zum Attentat von Barmbek, dazu eine Reihe ermittlungsintensiver Kapitaldelikte und nicht zuletzt die laufende Einbruchs- und Drogenbekämpfung: Das Hamburger Landeskriminalamt (LKA) kämpft derzeit an vielen Fronten, vielleicht zu vielen. Auf jeden Fall so vielen, dass gewisse Bereiche der Alltagskriminalität derzeit nicht prioritär bearbeitet werden können. LKA-Chef Frank-Martin Heise spricht von einer „besonderen Belastungssituation“ in einem „absoluten Ausnahmejahr“. Es werde dennoch keine einzige Straftat geben, die nicht bearbeitet werde, betont er.

Es ist die berühmte Suche nach der Stecknadel im Heuhaufen, der jeden Tag größer wird: Auf der Suche nach gerichtsverwertbaren Beweisen durchforsten die Ermittler der vor sechs Wochen gestarteten Sonderkommission (Soko) „Schwarzer Block“ Videos, Einsatzberichte und endlose Fotoreihen. Und noch immer laufen in der ehemaligen Gefangenensammelstelle in Neuland, in der sie sich halbwegs eingerichtet haben, Tag für Tag Stapel von Einsatzberichten auswärtiger Polizeieinheiten ein, noch immer werden Videos auf die Server der Polizei hochgeladen.

170 Beamten sollen möglich machen, was Bürgermeister Olaf Scholz den Hamburgern versprochen hat: Dass die Schuldigen der G-20-Ausschreitungen verurteilt werden. Knapp 70 der Ermittler stammen aus anderen Bundesländern und der Bundespolizei, keine Stammmannschaft, die Beamten werden in Abständen ausgewechselt. Die 100 Hamburger Beamten hingegen bilden das Rückgrat der Ermittlungen. Sie wurden aus allen Bereichen zusammengezogen: Es sind erfahrene Ermittler aus dem Bereich der Bekämpfung Organisierter Kriminalität dabei, ebenso Mordermittler oder Kriminalisten von der Dienststelle zur Aufklärung von Sexualdelikten.

Ein Blick in die Personalliste der Soko „Schwarzer Block“, diese größte Ermittlungseinheit der letzten Jahre, liest sich wie das Organigramm des LKA – kaum eine Abteilung, die keine Ermittler abgeben musste. Und sie ist nicht die einzige Ermittlungsgruppe, die außerhalb der Alltagsorganisation kurzfristig ausgegründet oder verstärkt werden musste, um auf aktuelle Kriminalitätsphänomene zu reagieren oder wichtige Ermittlungen voranzubringen.

So setzt sich nicht allein die Soko „Schwarzer Block“ mit Straftaten während des G-20-Gipfels auseinander: Auch das Dezernat Interne Ermittlungen (DIE), eine der Innenbehörde unterstellte Einheit, die Verfehlungen von Polizisten aufdecken soll, ist seit dem Ende des Gipfels maximal eingespannt. Auch sie wurde dafür mit Ermittlern aus dem LKA kurzfristig aufgestockt, wenn auch nur einstellig.

Doch die Gipfel-Aufarbeitung ist nur ein, wenn auch ein besonders gewichtiger Schwerpunkt: Hinzu kommen die Besondere Aufbauorganisation (BAO) Barmbek, die unter Führung einer Bundesanwältin den Anschlag des 26-jährigen Palästinensers Ahmad A. aufklären soll, der in einem Supermarkt einen Menschen tötete und mehrere teils schwer verletzte. Derzeit sitzt er in U-Haft am Holstenglacis. Und da sind neben dem als „Stückelmord“ bekannt gewordenen Tötungsdelikt an einer Prostituierten aus St.Georg noch mindestens drei aktuelle Gewaltverbrechen, die von der Mordkommission zügig aufgearbeitet werden müssen.

Dafür musste die Führung des LKA den Personalplan gleich mehrfach umstellen. So wurden Ermittler, die bereits in der Soko „Schwarzer Block“ ermittelten, wieder herausgenommen, und bearbeiten aktuell den Barmbeker Terrorfall. Auch die Chefin der Drogenbekämpfung in der Innenstadt wurde in diesem Zusammenhang kurzfristig in die BAO berufen. Und um die Mordkommission zu verstärken, wurden ehemalige Mordermittler in das zuständige LKA 41 zurückgeholt. Und das alles in einer Zeit, in der viele Ermittler zudem ihren Urlaub nachholen wollen – schließlich galt in den Wochen rund um G 20 Urlaubssperre.

LKA-Chef Frank-Martin Heise sagt, es sei angesichts der angespannten Personalsituation ein „echtes Problem“ gewesen, dass das Attentat von Barmbek etwa in die Zeit der Aufklärung der G-20-Krawalle und die Ausgründung der Soko „Schwarzer Block“ gefallen sei. Der Ermittlungsdruck nach so einer Tat sei gewaltig. Innerhalb kürzester Zeit habe geklärt werden müssen, ob es Mittäter, weitere Anschlagsorte oder Verbindungen etwa ins Ausland gebe. Zeugen mussten unmittelbar nach dem Anschlag vernommen, Videos gesichert, Spuren am Tatort ausgewertet werden. Nicht zuletzt sollen 400 Althinweise nochmals darauf geprüft werden, ob auch von anderen Personen eine ähnliche Gefahr ausgeht – Aufgabe des notorisch überlasteten Staatsschutzes.

„Wir haben die BAO dennoch innerhalb kürzester Zeit aufstellen können“, betont Heise. „Wir waren nicht weniger handlungsfähig.“ Was nicht zuletzt an der „herausragenden Bereitschaft“ seiner Ermittler gelegen habe, die teils aus dem Freitagfeierabend zurückgeholt werden mussten. Wie erfolgreich die Hamburger Ermittler seien, die laut Heise sehr schnell ein umfassendes Bewegungsbild des Täters erstellen konnten, lasse sich auch daran ablesen, dass der Generalbundesanwalt die eigentlichen Ermittlungen beim Hamburger Landeskriminalamt belassen habe.

Doch die Arbeitsbelastung im Landeskriminalamt fordert auch ihren Tribut: Bestimmte Ermittlungsbereiche fallen derzeit aus, heißt es. „Es sind insbesondere Bagatelldelikte, sehr einfache Delikte, die wir derzeit nicht prioritär und nur zeitlich verzögert bearbeiten können“, sagt Heise. Darunter fallen etwa einfache Diebstahls- oder Unterschlagungsdelikte. Heise betont allerdings auch: „Es betrifft ausschließlich Fälle, bei denen auch durch zeitlichen Verzug kein Nachteil in der Aufklärung des Straftatbestandes besteht.“

Der Bund Deutscher Kriminalbeamter (BDK), die Interessenvertretung der Kriminalisten, glaubt jedoch, dass deutlich mehr Straftaten liegen bleiben, als nur Bagatelldelikte. Landeschef Jan Reinecke sagt: „Man muss kein großer Rechenkünstler sein um festzustellen, dass bei 100 Kriminalisten in der Soko ‚Schwarzer Block‘ und weiteren Kriminalbeamten in der BAO ‚Barmbek‘ gigantische Löcher in der Decke der Kriminalpolizei entstehen.“

Die Kriminalbeamten stammten aus allen Bereichen der Kripo. Reinecke fragt: „Wer will da ernsthaft behaupten, nur Bagatelldelikte würden vernachlässigt?“ Der „nicht länger hinnehmbare“ Personalzustand der Kriminalpolizei sei das Ergebnis einer „desaströsen Personalpolitik der Innenbehörde, die zwar ständig neue Prioritätensetzung von der Kripo erwartet, sich aber standhaft weigert, das entsprechende Personal zur Verfügung zu stellen“, sagt Reinecke.

Die Kriminalpolizei sei „mehr und mehr zur Getriebenen von Kriminalitätsphänomenen“ geworden, die in den öffentlichen Fokus gerieten und aufgrund des politischen Drucks durch Sokos abgearbeitet werden mussten, kritisiert Reinecke – was regelmäßig Personallöcher reiße. LKA-Chef Heise hingegen sieht in der Einrichtung von Sokos „keinesfalls ein Zeichen von Schwäche der Organisation“: „Ganz im Gegenteil bedienen wir mit der Einrichtung von Sonderkommissionen die Notwendigkeit, zur Bearbeitung eines bedeutsamen Ermittlungskomplexes kriminalpolizeilichen Fachverstand und Expertise aus unterschiedlichen Bereichen der Polizei zusammenzutragen. Damit wird deutlich, dass die Polizei Hamburg in der Lage ist, schnell, unkompliziert und mit der erforderlichen Vehemenz auf ein besonderes Ereignis oder Phänomen zu reagieren.“

Mit den aktuellen Herausforderungen habe sich das LKA frühzeitig anders aufstellen müssen, diese Phase habe bereits mit dem OSZE-Gipfel im Dezember begonnen. Alternativen gebe es nicht: Die Personalgestellung des LKA für die Soko „Schwarzer Block“ sei alternativlos angesichts der schweren Straftaten, die – vielfach auch gegen Polizisten – während des G-20-Gipfels begangen wurden, betont Heise. Straftaten, die die Menschen geschockt hätten und die unverzüglich durchermittelt werden müssten, „und nicht erst in drei Jahren“, sagt er. „Wäre es ausschließlich um Vermummungsdelikte gegangen, benötigten wir keine Soko.“ Nicht weniger hätten die Menschen einen Anspruch darauf, dass versucht werde, schwere Verbrechen wie die aktuelle Tötungsdelikte oder der Barmbeker Terrorakt unverzüglich aufzuklären.

Angesichts der Ereignisse in den letzten Monaten habe das Landeskriminalamt zeitweise nur noch reagieren können: „Wir mussten immer neue Prioritäten setzen“, sagt Heise. Eine leichte Entspannung der Belastungssituation sei jedoch bereits in Sicht: Die bereits vorliegenden Ermittlungsergebnisse ließen absehen, dass die BAO „Barmbek“ in naher Zukunft personell reduziert werden könne. Hinzu komme die Hoffnung, dass die Soko „Schwarzer Block“ die entscheidenden Verfahren schnell durchermitteln und sich dort bereits Anfang nächsten Jahres eine Entlastung einstellen werde. Und nicht zuletzt würden viele Kollegen in den kommenden zwei bis drei Wochen aus dem Urlaub zurückkommen.

Weblink:

https://www.welt.de/regionales/hamburg/article168005766/Bestimmte-Straftatbereiche-werden-in-Hamburg-derzeit-nicht-bearbeitet.html

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