Artikel: Sinkende Kriminalität - Auf 100.000 Hamburger kommen 12.480 Straftaten

05.02.2018

Die Kriminalität in Hamburg geht zurück. Das Risiko, Opfer einer Straftat zu werden, war so niedrig wie zuletzt vor 37 Jahren. Während sich die Polizei feiert, weist die Statistik jedoch Mängel auf (von Jana Werner).
Artikel: Sinkende Kriminalität - Auf 100.000 Hamburger kommen 12.480 Straftaten

Wohl jeder Bürger kennt diese Diskrepanz zwischen subjektiver und objektiver Sicherheit. Wenn die Kriminalitätsrate statistisch zwar sinkt, der persönliche Eindruck im eigenen Umfeld jedoch ein anderer ist. „Es reicht nicht, dass wir den Menschen sagen, dass sie sich sicher fühlen können, wenn sie sich tatsächlich eben nicht sicher fühlen“, erklärt Hamburgs Innensenator Andy Grote (SPD) am Freitag. Neben ihm sitzen der Polizeipräsident der Hansestadt, Ralf Martin Meyer, und der Leiter des Landeskriminalamtes, Frank-Martin Heise. Der Anlass: die Verkündung der Polizeilichen Kriminalstatistik (PKS) für das Jahr 2017. Die Nachricht: „Hamburg ist ein Stück sicherer geworden.“

Und so wird die versammelte Polizeispitze des Stadtstaates an diesem nassgrauen Wintertag nicht müde zu betonen, dass Hamburg vor einer großen Herausforderung steht. Weil 2017 „die Ausnahmeereignisse des G-20-Gipfels und des Messerattentats von Barmbek auch für Verunsicherung gesorgt haben“, sagt Grote. Weil die Stadt wachse, „mit mehr Menschen, mehr Veranstaltungen, mehr Leben auf den Straßen“.

Und nicht zuletzt, weil 50.000 Flüchtlinge in der Elbmetropole leben und „diese mehrheitlich junge Männer mit unsicheren Zukunftschancen sind“, wie es die Polizei ausdrückt. Denn die Zeit als Jugendlicher sei die Lebensphase, in der das Risiko, Täter und Opfer einer Straftat zu werden, am höchsten sei.

Weniger Wohnungseinbrüche und Gewaltdelikte

Dennoch, so Grote, Meyer und Heise gebetsmühlenartig, konnte die „positive Entwicklung fortgesetzt werden“. Die Zahlen im Überblick: Laut PKS sind die erfassten Straftaten 2017 deutlich gesunken. Registriert wurden 225.947 Delikte, was im Vergleich zu 2016 einem Rückgang um 5,6 Prozent entspricht. Die Aufklärungsquote blieb mit 44,4 Prozent stabil (2016: 44,8).

Somit kamen im vergangenen Jahr auf 100.000 Hamburger insgesamt 12.480 Straftaten. Das bedeutet ein Minus von 6,8Prozent im Vergleich zu 2016. Das Risiko, Opfer einer Straftat zu werden, war so niedrig wie zuletzt vor 37 Jahren.

Einzeln betrachtet registrierte die Polizei etwa weniger Delikte bei Wohnungseinbrüchen sowie Taschen- und Fahrraddiebstählen. Auch die Zahl der Gewaltdelikte ging zurück. Die Beleidigung auf sexueller Grundlage reduzierte sich sogar um 52,9 Prozent auf 641Fälle und liegt der Polizei zufolge in der Gesetzesänderung im Sexualstrafrecht begründet. Noch eine positive Entwicklung: Die Jugendkriminalität sinkt weiter. Die Zahl der Tatverdächtigen unter 21 Jahren reduzierte sich um 8,4 Prozent auf 14.741. Auch bei der Jugendgewalt wurden 17,2 Prozent weniger Tatverdächtige unter 21 Jahren erfasst als im Jahr davor.

Rückläufig ist auch der Anteil der Tatverdächtigen mit Flüchtlingsstatus. Ihre Anzahl sank um 18,8 Prozent auf 5506. Ihr Anteil an allen Tatverdächtigen sank von 9,1 auf 7,9 Prozent. Von den 50.000 Flüchtlingen in Hamburg waren 93,2 Prozent nicht als Tatverdächtige registriert. Für Ausländer insgesamt lag dieser Wert bei 94,3 Prozent, bei Deutschen bei 98,1 Prozent.

Straftaten beim G-20-Gipfel nicht eingeflossen

Aus Sicht des AfD-Innenexperten Dirk Nockemann bleibt die Zahl der Ausländer unter den Tatverdächtigen „erschreckend hoch“: „42 Prozent der Tatverdächtigen besitzen keinen deutschen Pass und der Migrationshintergrund der Tatverdächtigen mit deutschem Pass wird gar nicht erst erfasst.“ Hamburg müsse kriminelle Ausländer konsequenter abschieben.

Gestiegen ist derweil die Zahl der vorsätzlichen Tötungsdelikte um sechs Taten auf 74. Zugenommen hat auch der sonstige Betrug wie „Enkeltrick“, darüber hinaus der Warenkreditbetrug.

Dass Statistiken ein unentbehrliches Messinstrument sind, ist unstrittig. Andererseits aber auch, dass sie nur ein Anhaltspunkt für die tatsächlich vorhandene Lage sind. Denn während der vollendete Mord und die sechs Mordversuche des Barmbeker Messerstechers vom 28. Juli 2017 in die PKS einflossen, gilt dies für die weitaus größte Anzahl der Straftaten beim G-20-Gipfel nicht.

Bislang wurden rund 3000 Ermittlungsverfahren eingeleitet. Doch nur bei etwa 600 Fällen sind die Ermittlungen so weit fortgeschritten, dass sie in die Statistik aufgenommen wurden. Polizeipräsident Meyer begründet dies damit, dass „die große Masse“ jener erfassten Delikte schlicht „noch nicht abgeschlossen ist“.

„Beim Sicherheitsgefühl beginnt auch die Lebensqualität“

Nach Einschätzung von CDU-Innenexperte Dennis Gladiator erkauft sich Grote seine gute Kriminalitätsbilanz „auf Kosten der Beamten“. „Es braucht mehr Personal, um alle Aufgaben auch ohne dauerhafte Mehrarbeit bewältigen zu können“, sagt Gladiator. Sein FDP-Pendant Carl Jarchow betont: Bei der explodierten Zahl der Betrugsdelikte „rächt sich der Fehler des rot-grünen Senats, immer mehr Personal bei der Kriminalpolizei von der Bekämpfung der Massendelikte abzuziehen“. Hamburg habe sich „zum Schlaraffenland für kriminelle Betrüger entwickelt“.

Der Landesvorsitzende des Bundes Deutscher Kriminalbeamter, Jan Reinecke, fasst das Geplänkel wie folgt zusammen: „Der Senat mag die PKS 2017 als großen innenpolitischen Erfolg für sich vermarkten, die Opposition das Gegenteil behaupten.“ Die Polizei, die für die Sicherheit und Ordnung in der Stadt sorge, wisse, was sie von der Statistik zu halten habe: „Eine Strichliste für angezeigte und polizeilich abgearbeitete Straftaten. Mehr nicht!“ Straftaten, die nicht angezeigt werden, finden hingegen keine Berücksichtigung.

So bleiben also Herausforderungen. „Gerade um das Thema der subjektiven Sicherheit müssen wir uns zusehends kümmern“, sagt Polizeipräsident Meyer. Den Menschen die Zahlen zu präsentieren sei das eine, aber ihre besondere Befindlichkeit in den Stadtteilen ernst zu nehmen sei das andere. Grote erklärt: „Erst beim Sicherheitsgefühl beginnt auch die Lebensqualität.“ Das werde die Polizei „große Kraft kosten“.

Indes kündigte der Innensenator an, die umstrittene Öffentlichkeitsfahndung nach Randalierern und Plünderern beim G-20-Gipfel auszuweiten. „Wir arbeiten derzeit daran, mit entsprechendem Bildmaterial auch im europäischen Ausland öffentlich zu fahnden“, sagte Grote dem „Hamburger Abendblatt“. Die Fahndungsbilder sollen etwa in Spanien und Italien verbreitet werden. Aus diesen Ländern seien besonders viele militante Linksextremisten zum Gipfel nach Hamburg gereist. Seit der hierzulande gestarteten Öffentlichkeitsfahndung wurden 23Tatverdächtige ermittelt.

Link zum Artikel:

https://www.welt.de/regionales/hamburg/article173179895/Kriminalitaet-Zahl-der-Straftaten-in-Hamburg-sinkt.html

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