Artikel: Warum die Polizei am Datenschutz verzweifelt

12.12.2017

Wie lassen sich Datenschutz und der Kampf gegen Kriminelle und Radikale vereinbaren? Daten nicht speichern zu dürfen, behindert die Polizeiarbeit. Falsche Daten führen zu Pannen, wie zuletzt beim G-20-Gipfel (von Denis Fengler).
Artikel: Warum die Polizei am Datenschutz verzweifelt

Es war wohl eine Form überzogenen Arbeitseifers, die Kameramann Ralf K. (Name geändert) ins Visier der Polizei und letztlich um seine Akkreditierung für G 20 brachte. Am Rande eines Aufzuges hatte er – lange vor dem Gipfel – gefilmt, wie Demonstranten festgenommen wurden. Um aber deren Persönlichkeitsrechte zu schützen, verlangten die Polizisten von K., aufzuhören – was dieser jedoch ignorierte. Die Sache eskalierte. Dann war er es, der seine Personalien abgeben musste.

Die Angelegenheit landete im Polizeicomputer, wo sie gespeichert blieb, bis das BKA beim Hamburger LKA um Erkenntnisse zu den sich für G 20 akkreditierenden Journalisten bat. Auch zu Kameramann Ralf K. Das Problem: Statt der Personalienfeststellung wurde dem BKA fälschlicherweise mitgeteilt, dass K. festgenommen worden sei im Zusammenhang mit einer gewalttätigen Demonstration. Ein Ausschlusskriterium.

Mindestens drei weitere Journalisten sind betroffen, auch ihnen wurden Akkreditierungen zu Unrecht entzogen, auf Basis falscher oder nicht gelöschter Daten, die ans BKA übermittelt worden waren. Die Vorwürfe sind bekannt – doch die Wogen längst nicht geglättet. Wenn am Donnerstag kommender Woche der G-20-Sonderausschuss zum diesjährig letzten Mal tagen wird, soll erstmals auch diese Panne besprochen werden.

Datenschutz und islamistische Gefährder

Ein Beispiel dafür brachte jüngst das „Hamburger Abendblatt“ auf: Nach der Messerattacke von Barmbek hatte der Staatsschutz eine „zentrale Hinweisaufnahme“ eingeführt, um Radikalisierungen schneller erkennen zu können. Allerdings darf die Polizei viele der Hinweise nicht speichern und somit auch nicht auswerten – auch wenn die Software vorhanden ist.

Grund: Das Gesetz über die Datenverarbeitung der Polizei erlaubt die Speicherung von personenbezogenen Daten „zum Zwecke der Gefahrenabwehr“ nur bei Personen, gegen die bereits ermittelt wird und bei denen zudem eine „Negativprognose“ besteht: die „Besorgnis der Begehung weiterer Straftaten“.

Doch nicht selten ist ein sogenannter islamistischer Gefährder noch nie mit dem Gesetz in Konflikt gekommen. Die Gefahr eines Anschlages, die von ihm ausgehen könnte, wird dadurch nicht geringer. Datenschutzrechtlich jedoch ist dieser Fall für die Polizei tabu. Kritik kommt vom Bund Deutscher Kriminalbeamter: „Wenn die Polizei Informationen über Radikalisierungsverläufe nicht speichern darf, sollte sich niemand wundern, wenn Anschläge nicht verhindert werden können“, sagt Landeschef Jan Reinecke.

Das Problem beschränkt sich nicht allein auf den Staatsschutz. Bei den Ermittlern gegen Sportgewalt ist es ebenso präsent wie bei denen zur Bekämpfung Organisierter Kriminalität (OK). Letztere hat mit Schwerkriminellen zu tun, die oft nicht selbst Taten begehen, weil sie die Fäden ziehen. „Bei OK gibt es teils über Jahre keine Belege für eine datenschutzrechtlich erforderliche Negativprognose zu erstellen“, sagt ein Beamter. Heißt: keine Speicherung in den Polizeisystemen. Auch wenn dadurch ermittlungsrelevantes Wissen verloren gehen könnte.

Die Möglichkeiten der Polizei: Zurück zum analogen Fax?

Das sind nicht die einzigen Probleme. Selbst wenn eine Negativprognose gestellt werden kann, ist der Aufwand enorm: Die Ermittler müssen in jedem einzelnen Fall begründen, wie sie zu der Prognose kommen und wie die Speicherung gerechtfertigt ist. Nicht selten gleichen Negativprognosen mehrseitigen Aufsätzen.

Mittlerweile gehen Ermittler dazu über, alternative „Speicher“ zu nutzen – weitab der digitalen Möglichkeiten: Zettelkästen, handschriftliche Aufzeichnungen. Selbst Excel ist nicht erlaubt – niemand könne nachvollziehen, wer wann was gespeichert habe, heißt es. In Vorbereitung von G 20 sollen Listen mutmaßlicher linksextremer Gewalttäter per analogem Fax ausgetauscht worden sein.

Das erinnert an die Anfänge der Polizeiarbeit im 19. Jahrhundert.

Mittlerweile blicken Fachleute der Polizei auf die Polizeigesetze anderer Bundesländer und plädieren dafür, die Negativprognose aus dem Gesetz zu streichen oder mit der Möglichkeit zu versehen, sie nach der Speicherung nachtragen zu können. „Wir müssen auf das Erinnerungsvermögen der Kollegen setzen, weil wir Informationen nicht speichern dürfen. Das erinnert an die Anfänge der Polizeiarbeit im 19. Jahrhundert“, so Reinecke.

Datenschutz, Rechtsstaatlichkeit und die Arbeit der Polizei

Hamburgs Datenschutzbeauftragter Johannes Caspar, der hinter der Akkreditierungspanne grundlegende „strukturelle Defizite“ sieht, ist dagegen: Er hält die Möglichkeit, dass Personen in polizeiliche Datenbanken aufgenommen werden können, weil sie nur einer Straftat verdächtigt werden, „nach Maßgabe der Unschuldsvermutung für bereits überaus fragwürdig“.

Eine Negativprognose sei zur „Kompensation“ dieser Befugnis quasi unerlässlich. Caspar: „Fehlt es an dieser Prognose, werden die Betroffenen über viele Jahre in polizeilichen Dateien geführt, mit zum Teil erheblicher stigmatisierender Wirkung.“ Aus „rechtsstaatlichen Gründen“ sei unbedingt an der Negativprognose festzuhalten.

Dass das Verhältnis so schwierig ist, liegt auch daran, dass die Polizei schon in der Vergangenheit nicht immer ihre Hausaufgaben gemacht hat. Anfang 2016 hatte eine Polizeidatei über gewaltbereite Fußballfans Wellen geschlagen, in der auch Fans gelistet waren, denen keine Straftaten zugeordnet werden konnten.

Seitdem hatte sich Caspar auf die Polizei eingeschossen und musste sich bestätigt fühlen: Verfahrensausgänge waren nicht ergänzt, Löschfristen nicht eingehalten, Negativprognosen nicht geführt worden. Abertausende Einträge mussten und müssen überprüft werden. Nicht nur das: Laut Reinecke würden von der Behördenleitung oder für die Beantwortung parlamentarischer Anfragen immer wieder Informationen abgefragt oder angefordert, „die wir für polizeiliche Zwecke gar nicht benötigen oder haben dürfen“.

Mit bangem Blick war in der Polizei jüngst eine Idee der Grünen wahrgenommen worden: Mit Blick auf den G-20-Sonderausschuss hatte man überlegt, zu beantragen, dass alle Speicherungen und Löschungen einmal jährlich überprüft werden sollten, inklusive anonymisierten Monitoring. Der Antrag wurde dann jedoch wieder zurückgezogen. Die Auswirkungen auf die Polizeiarbeit seien möglicherweise zu massiv gewesen.

Weblink zum Artikel:

https://www.welt.de/regionales/hamburg/article171463148/Warum-die-Polizei-am-Datenschutz-verzweifelt.html

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