BDK bezieht öffentlich Stellung im Zusammenhang mit dem versuchten Mord durch einen Pfleger in Mülheim-Styrum

31.08.2018

Hintergrund: Essener und Mülheimer Kollegen der Kriminalpolizei werden im Fall des unter Mordverdacht stehenden und inhaftierten polnischen Hilfspflegers vorgeworfen, durch fachliche Fehler und eine mangelnden Dienst- und Fachaufsicht das Ansehen des Polizeipräsidiums Essen als Behörde in der Öffentlichkeit geschädigt zu haben und aufgrund der Fehler möglicherweise weitere Straftaten des Pflegers von erheblicher Bedeutung nicht verhindert zu haben.
BDK bezieht öffentlich Stellung im Zusammenhang mit dem versuchten Mord durch einen Pfleger in Mülheim-Styrum
Foto: Olaf Schneider / pixelio.de

Der Sachverhalt hatte zu weitreichenden Personalmaßnahmen gegen fünf verdiente Beamte der Direktion K geführt. Die Dienststellenleiter von zwei Kriminalkommissariaten und ihre Vertreter sind ihrer Ämter enthoben worden, der betroffene Sachbearbeiter wurde umgesetzt. In drei Fällen wurde zusätzlich ein Verbot der Führung von Dienstgeschäften ausgesprochen. Unsere Mitstreiter im BDK Bezirksverband Essen/Mülheim haben sich eingemischt: Wir haben unserem Mitglied sofortigen Rechtsschutz gewährt.

Die von der Generalstaatsanwaltschaft beauftragte Staatsanwaltschaft Kleve hat nunmehr den Sachverhalt abschließend bewertet und einen Anfangsverdacht für das Vorliegen von Straftaten durch die Kollegen nicht subsumieren können. Das Polizeipräsidium Essen hat auf eine verwaltungsgerichtliche Überprüfung der von unserem Mitglied angegriffenen Personalmaßnahme verzichtet. Nach Absprache mit unseren Mitstreitern im BV Essen/ Mülheim ist für uns nunmehr der Zeitpunkt gekommen, den Sachverhalt aus gewerkschaftlicher Landessicht zu kommentieren.

Aufgrund möglicher fachlicher Fehler in der Abarbeitung von Ermittlungsvorgängen ist es weder mir noch erfahreneren Kollegen untergekommen, dass Betroffene Kolleginnen und Kollegen der Dienstgeschäfte enthoben wurden. Bei allen uns bekannten Umständen stellt sich die berechtigte Frage, ob diese weitreichenden Personalentscheidungen sachgerecht und verhältnismäßig sind.

Wir wollen und sollten an dieser Stelle die Opfer und Angehörigen der aufgedeckten Straftaten des Beschuldigten „Pflegers“ nicht vergessen. Dennoch: Durch die personalrechtlichen Maßnahmen wurde unmittelbar das Vertrauensverhältnis innerhalb der Direktion Kriminalität und insbesondere innerhalb der betroffenen Dienststellen nachhaltig und massiv erschüttert.

Viele Mitarbeiter hätten sich, bei aller offensiven Vorgehensweise mit dem Sachverhalt und den Vorwürfen, zunächst stärkere Unterstützung und Rückendeckung seitens der Behördenleitung gewünscht. Auch für die betroffenen Beamten gilt zunächst eine Unschuldsvermutung. Ebenso ist festzustellen, dass es sich bei allen fünf Betroffenen um erfahrene, hochgeschätzte und verdiente Kriminalbeamte handelt.

Die Ursachen der Probleme sind bekannt und werden ignoriert: Angehenden Kriminalbeamten/innen wird eine Ausbildung in ihrem Beruf verwehrt. Sie werden 6 Monate von motivierten Kolleginnen und Kollegen fortgebildet. Den Beruf des Kriminalbeamten/der Kriminalbeamtin kann man nicht studieren. Viele Bundesländer, wie zuletzt Thüringen, gehen hier andere Wege.

Fachspezifische Fortbildungen, zum Beispiel zum Thema Gewalt in der Pflege (Phänomenologie, Darstellung bekannter Sachverhalte zu Lernzwecken), bietet der Dienstherr zu wenig an.  Das ist aber eine Bringschuld des Dienstherrn und keine Holschuld des Beamten.

Erst jüngst hat ein geschätzter Kollege aus Siegen berechtigt seinem Ärger Luft gemacht: Wo sind die regelmäßigen Dienstbesprechungen geblieben, in denen man sich untereinander mit Sachverhaltsdarstellungen und Fachbeiträgen ausgetauscht hat?

Wenn ich von den Kolleginnen und Kollegen fachlich hochwertige Arbeit einfordere, müssen die Rahmenbedingungen kriminalpolizeilicher Arbeit stimmen. Das Gegenteil ist der Fall. Pensionierungswellen und fehlende Personalentwicklungskonzepte verhindern einen sachgerechten Wissenstransfer. Viele Behörden arbeiten kreativ an diesem Problem. Landesweite Lösungen werden vom Innenministerium nicht gesteuert.

Fachdienststellen, wie die Kommissariate zur Bearbeitung von Tötungsdelikten und Todesfällen, sind überlastet. Ständige Alarmierungen der Mordkommissionen wegen vermeintlicher Tötungsdelikte führen zum Aderlass. In Präsidien führen Kollegen und Kolleginnen gleichzeitig zwei Mordkommissionen, ohne als Mordkommissionsleiter/in behördlich bestellt zu sein. Die Belastung ist nicht zu tragen. „Cold Case“-Fälle und die demographisch bedingte Zunahme von anderen Todesermittlungen füllen zudem das Arbeitspaket auf.

Kommissariate, in denen Massenkriminalität bearbeitet wird, sind ebenso überlastet. Die Personaldecke ist dünn, krankheitsbedingte Ausfälle an der Tagesordnung.

Jetzt und in der Zukunft kämpfen wir gewerkschaftlich für einen konstruktiven Umgang mit Fehlern und einer nachhaltigen Fehlerkultur, einer klaren Sachverhaltsdarstellung gegenüber den Bürgerinnen und Bürgern und den Medien sowie einer sachgerechten und wertschätzenden Führung von Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen.

Pressespiegel

WAZ: Kripo-Gewerkschaft rüffelt Essener Polizeiführung - BDK rügt Disziplinarmaßnahmen gegen „hochgeschätzte Kripobeamte“ und sieht Vertrauensverhältnis im Dezernat Kriminalität massiv erschüttert.

NRZ/WAZ: Todespfleger: Polizeipräsident Richter kündigt Aufklärung an - Polizeipräsident Frank Richter dringt im Kriminalfall des unter Mordverdacht stehenden polnischen Hilfspflegers intern auf eine lückenlose Aufklärung. Nicht nur die fünf versetzten Kripobeamten stehen im Visier, auch die Rolle von Dezernatsleiterin Martina Thon werde beleuchtet.

WAZ: Polnischer Pfleger: Kripobeamte strafrechtlich entlastet - Bei der Ermittlung gegen Hilfspfleger unter Mordverdacht wurden fünf Beamte vorübergehend des Dienstes enthoben. Disziplinarverfahren läuft noch.