NDR Sendung '45 MINUNTEN: Wegen G20 - 8.000 Verfahren liegen brach

11.12.2017

Etwa 170 Polizisten sollen in der Sonderkommission "Schwarzer Block" die Gewalttaten rund um den G20-Gipfel aufklären - 100 davon sind Beamte aus Hamburg. Viele weitere sind beschäftigt, Akten für den Sonderausschuss zusammenzustellen. Ihre eigentliche Arbeit bleibt liegen. 8.000 Ermittlungsverfahren sind bei der Kriminalpolizei derzeit zurückgestellt, weil die Beamten mit der Aufarbeitung des im Juli in Hamburg stattgefundenen Gipfels beschäftigt sind. In den bislang nicht bearbeiteten Verfahren geht es etwa um Betrug, Geldwäsche oder häusliche Gewalt. Sie alle müssen erst einmal warten - G20 hat Vorrang.
NDR Sendung '45 MINUNTEN: Wegen G20 - 8.000 Verfahren liegen brach
BDK Landesvorsitzender Jan Reinecke

Spuren könnten verwischen

Wenn Delikte erst Wochen oder Monate später bearbeitet werden, besteht allerdings die Gefahr, dass Spuren verwischen und die Fälle nicht mehr aufgeklärt werden können. Für Jan Reinecke, dem Landeschef des Bundes der deutschen Kriminalbeamten (BDK), ist das keine hinnehmbare Situation. "Nach einer gewissen Zeit erinnert sich der Zeuge nicht mehr, Onlinespuren werden gelöscht. Das ist jedem Kriminalisten bekannt", sagt Reinecke. "Und ab einer gewissen Zeit brauche ich auch die Frage nicht mehr stellen, die dazu führen wird, dass der Fall gelöst wird."

Polizeipräsident: Keine Sorge um Sicherheit

Die zurückgestellten Fälle sind Polizeipräsident Ralf Meyer zufolge aber nur solche, die ohnehin keine sofortigen Maßnahmen erfordern. "Das heißt: Alles, was wichtig ist, was Sofortmaßnahmen braucht, wird sofort bearbeitet. Es wird also jeder Vorgang angeguckt - teilweise wird das mit der Staatsanwaltschaft abgestimmt. Und in aller Regel sind es Vorgänge, die sowieso sehr lange laufen und bei denen man sich dann auch die Zeit nehmen kann." Zufriedenstellend sei die Situation trotzdem nicht. "Es belastet auch die Sachbearbeiter. Damit müssen wir umgehen, aber das ist kein Punkt, bei dem man sich jetzt um die Sicherheit sorgen müsste", so Meyer.

Befürchtungen des BDK sind eingetreten

Für Jan Reinecke vom BDK war die aktuelle Situation absehbar. Der BDK hatte im Vorfeld des Gipfels vor einem solchen Szenario gewarnt und prognostiziert, dass Tausende von Ermittlungsverfahren durch den G20-Einsatz auf die Polizei zukommen würden. Aufgrund einer Mangelverwaltung sei diese hohe Anzahl an Verfahren für das Personal nicht zu bewältigen. "Jeder zehnte Kriminalbeamte, jede zehnte Kriminalbeamtin ist in die Aufarbeitung des G20-Verfahrens involviert. Bedeutet: Zehn Prozent machen diese zusätzliche Arbeit aus dem Gesamtpersonalkörper. Und das ist eine wahnsinnige Ressourcenverteilung", erklärt Reinecke. "Es entstehen überall in der Kriminalpolizei Aktenhalden oder rückgestellte Vorgänge oder Liegevorgänge - das Kind hat ganz unterschiedliche Namen. Es bleibt Arbeit liegen, weil wir ohnehin - auch vor G20 schon - viel zu wenige Kriminalbeamte waren."

Zusätzliches Personal soll entlasten

Nun soll es Entlastung geben. 54 Angestellte habe die Hamburger Kriminalpolizei zusätzlich von der Politik zugesagt bekommen, sagt Polizeipräsident Meyer. "Die Ausschreibungen laufen, Anfang Januar werden die ersten eingestellt. Wir bessern also strukturell nach, um diese Rückstellungen oder Halden oder wie man immer sie nennen will, aufzuarbeiten." Diese Entlastung ist dringend notwendig, denn mit der Aufarbeitung der G20-Delikte wird die Soko "Schwarzer Block" noch länger beschäftigt sein. "Wir haben Terrabyte-Größenordnungen von Videos. Und diese Videos werden jetzt aufgearbeitet, systematisiert nach Ort und Zeit", sagt Meyer.

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