Die Corona-Situation und ihre Auswirkungen auf die kriminalpolizeiliche Arbeit und Kriminalität

30.04.2020

Eine solche Ausnahmesituation gab es noch nie in unserer Gesellschaft. Wir leben in verrückten Zeiten mit vielen Sorgen, Ängsten und fragen uns, wie lange dieser Zustand noch anhält. Kriminelle passen sich wie gewohnt der neuen Situation an.
TeroVesalainen - Pixabay

Kriminalitätsphänomene im Wandel

Diese verrückte Lage hat nicht nur Auswirkungen auf die kriminalpolizeiliche Arbeit, sondern strahlt auch in verschiedene Kriminalitätsphänomene hinein indem z.B.

  • Ransomwarekampagnen von Cyberkriminellen ausgesetzt werden, damit die IT-Infrastruktur von Krankenhäusern nicht verschlüsselt wird. Mediziner sollen so arbeitsfähig bleiben – welch ein Akt der Nächstenliebe.

Vielleicht sollten Strafverfolger jetzt mehr Aktivitäten in den Paketzentren entfalten, da sehr stark anzunehmen ist, dass noch mehr Rauschgiftlieferungen mittels Post verschickt werden. Unwissend oder manchmal auch wissend fahren Paketzusteller mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit vermehrt Betäubungsmittel an den Endkonsumeten bzw. Zwischenhändler direkt vor die Haustür.

Kriminalität verschiebt sich in dieser Zeit vermehrt von der offenen, sichtbaren Kriminalität in den unsichtbaren Bereich. In der legalen Wirtschaft ist Liquidität gegenwärtig knapp. Die perfekte Gelegenheit für mafiöse Strukturen illegal erwirtschaftetes Geld zu waschen und z.B. insolvente Firmen mit Finanzspritzen zu versorgen oder Firmenbeteiligungen zu kaufen. Wie zu erwarten gibt es auch mehr Cyberkriminalität in Zusammenhang mit Corona – Betrügereien durch Fakeshops, Ransomware, Phishing durch gefälschte Corona-Soforthilfewebseiten wie in Nordrhein-Westfalen.

Auswirkungen auf die kriminalpolizeiliche Arbeit

Auch wenn Mecklenburg-Vorpommern laut Robert-Koch-Institut aktuell immer noch das Bundesland mit den geringsten Fällen von Coronainfizierten bzw. durch Corona verstorbenen Menschen ist, gibt es auch hier Ängste und Sorgen unter den Kolleg*innen und Bürger*innen, die ernst genommen werden müssen. Viele Kolleg*innen fallen aufgrund des fortgeschrittenen Alters und Vorerkrankungen teilweise in die Risikogruppe der besonders Gefährdeten. Die Polizei lebt vom täglichen Kontakt mit Bürgern, was in dieser Zeit sehr schwierig ist, da jeder einen Abstand von mindestens 1,5 bis 2 Metern zum Nächsten einhalten soll.

Die komplette Dienstorganisation wurde über den Haufen geworfen. In einigen Dienststellen geht eine Hälfte der Kräfte ins Home-Office, obwohl nicht mal ausreichend technische Ausrüstung zum Arbeiten für zu Hause vorhanden ist. Der andere Teil der Belegschaft verbleibt in den Dienststellen. So wechselt es sich Woche für Woche ab. Dienstschichten sind unterschiedlich organisiert und reagieren flexibel mit Sonderurlaubsregelungen, wenn Kinder zu versorgen sind und mit Dienstzeitverlagerungen. Die Polizei versteht es größtenteils die Krise zu meistern. Sie ist von Berufs wegen schon krisenerprobt. Doch es gibt Ausnahmen und Lücken, die Fragen und Probleme aufwerfen.

Der Schutz des Polizeipersonals hat oberste Priorität für das Funktionieren des Staates. Doch schützt der Staat seine Beamt*innen ordnungsgemäß und vollumfänglich? Es sind zwar Masken und andere Schutzausrüstungen für Einsätze vorhanden, aber nicht ansatzweise in ausreichendem Maße. Es muss gehaushaltet und abgewogen werden, welche Masken in welchen Situationen zum Einsatz kommen, da wie immer alles begrenzt ist.

Eines sei an dieser Stelle gesagt: Es soll nicht das eine gegen das andere ausgespielt werden. Jedoch gehört die Polizei ebenso zur kritischen Infrastruktur und die Gesundheit des Polizeipersonals ist von hoher Bedeutung, damit unsere Gesellschaft in Frieden und in Sicherheit leben kann. Damit ist die Polizei wohl auch systemrelevant! 

Hausdurchsuchungen, körperliche Durchsuchungen, Vernehmungen, Unfall- und Anzeigenaufnahmen – all das sind Beispielsituationen in denen sich Polizeibeamte beim Bürger aktuell mit Corona anstecken können und ihre Gesundheit gefährden. Auch untereinander in der Kollegenschaft ist das Risiko sich anzustecken natürlich vorhanden. Bei Einsätzen oder Vernehmungssituationen immer einen Abstand von mindestens 1,5 Meter einzuhalten ist fast unmöglich. Man denke allein an die gemeinsamen Fahrten im Einsatzwagen mit mehreren Kolleg*innen. Die kriminalpolizeiliche Arbeit wird durch die aktuellen Einschränkungen erschwert. Vorladungen zu Vernehmungen finden gar nicht oder nur sehr reduziert statt, und wenn sie stattfinden, dann unter hohem Gesundheitsrisiko der Kriminalbeamt*innen. Gerade Vernehmungen in kleinen Räumen mit mehreren Personen und mit langer Dauer erhöhen das Risiko einer Ansteckung enorm. Zeugen und Beschuldigte können infiziert sein, ohne Symptome zu zeigen. Dazu kommt der nicht endende Vorgangsdruck, welcher sich durch die aktuelle Situation definitiv nicht entspannen wird. Unter diesen Bedingungen die Wahrheit von Sachverhalten zu erforschen – ein schwieriges Unterfangen mit unbekanntem Ausgang. 

Durch die Führung will man dieser Lage begegnen, indem schriftliche Äußerungen als Kompensation zu Vernehmungen für Ermittlungsverfahren rausgeschickt werden und der zuständigen Staatsanwaltschaft zur Entscheidung übergeben werden können. Doch wenn es komplexer wird, und Ermittlungen zum Tatablauf oder gar zur Motivation einer Tat herausgearbeitet werden müssen, dann sind schriftliche Äußerungen das falsche Instrument und stoßen schnell an ihre Grenzen. Eine Nachfrage ist dann nicht möglich. Ob sich der Befragte immer schriftlich korrekt ausdrückt und jeder weiß was gemeint ist, kann wohl eher verneint werden.

Nach der Rechtsprechung hat ein Beschuldigter ein Recht auf eine zeitnahe Bearbeitung des ihm zur Last gelegten Sachverhaltes in belastender und entlastender Hinsicht, bis hin zu einer juristischen Entscheidung in der Sache. Dieses Recht kann durch die jetzige Vorgehensweise nicht eingehalten werden, weil viel zu viel Zeit vergeht bis alle notwendigen Informationen vorliegen. "Corona" kratzt an unseren Rechtsstaatsprinzipien. Bleibt zu hoffen, dass sich Lage bald wieder normalisiert und der reguläre Dienstbetrieb wieder Einzug hält. 

In diesem Sinne wünschen wir viel Gesundheit und Durchhaltevermögen.

Für den Landesvorstand

Stephan Gäfke