Gut gemeint ist nicht immer gut gemacht – die Verschärfung des §184b StGB und die Wandlung des Paktes für den Rechtsstaat zum Digitalpakt

31.03.2023

der kriminalist, Editorial 4/2023
Gerd Altmann - Pixabay

Im Sommer 2020 wurde die Verschärfung des §184b StGB und damit die „Verbreitung, der Erwerb und Besitz kinderpornografischer Inhalte“ durch die damalige Koalition, entgegen der vorgetragenen Bedenken der Fachlichkeit, beschlossen. Mit Heraufsetzung des §184b StGB zum Verbrechenstatbestand setzte die damalige Justizministerin Christine Lambrecht im Vorfeld der anstehenden Bundestagswahlen eines der Vorzeigeprojekte der Großen Koalition um und verursachte damit eine Überlastung der Strafverfolgungsbehörden in diesem Deliktsbereich, vor der auch der BDK in seiner Stellungnahme zum Gesetzentwurf eindringlich gewarnt hatte.

Das Ausmaß dieser Überlastung ließ sich bereits anhand der im Jahre 2022 vorgelegten Zahlen erahnen. So verzeichnete das BKA für das Jahr 2021 39.000 Fälle der Verbreitung, des Erwerbes, Besitzes und der Herstellung von Darstellungen sexueller Gewalt an Kindern und Jugendlichen, was einen Anstieg von mehr als 108,8 Prozent zum Vorjahr bedeutete. Sicher waren die Folgeermittlungen aus den Großverfahren in Lügde, Bergisch-Gladbach und Münster in Teilen Ursache für das erhöhte Fallaufkommen oder aber die Verbesserung der Prozesse im Zusammenhang mit der Tätigkeit des National Center of Missing and Exploited Children (NCMEC) der USA in Zusammenarbeit mit dem Bundeskriminalamt.

Zugleich war jedoch festzustellen, dass die Anzahl der erfassten jugendlichen Tatverdächtigen, die kinderpornografische Inhalte z. B. über WhatsApp-Gruppen teilen, ohne sich der Konsequenzen ihres Handelns bewusst zu sein, immer mehr anstieg und zwischenzeitlich bei mehr als 50 Prozent aller Tatverdächtigen in diesem Deliktsbereich liegt. Dies führt bis zum heutigen Tage zu einer Bindung der ohnehin knappen Ressourcen bei den Strafverfolgungsbehörden, die aufgrund der Strafverschärfung nicht mehr die Möglichkeit einer Verfahrenseinstellung haben und der eigentlichen Aufgabe, pädokriminelle Täter zu überführen, nicht mehr im gebotenen Umfang nachkommen können.

Nicht nur Politikerinnen und Politiker der Ampelkoalition fordern nun öffentlich die erneute Änderung des §184b StGB und sprechen von der Einführung eines minder schweren Falles, lassen sich aber hinsichtlich einer konkreten Ausgestaltung noch sehr vorsichtig ein. Das Bundesjustizministerium scheint sich allerdings nicht in der Rolle des Getriebenen zu sehen und erklärt, dass man „derzeit gesetzgeberischen Handlungsbedarf und mögliche Handlungsoptionen prüfe“ während aus dem „politischen Raum“ zu hören ist, dass diese Prüfung sich noch geraume Zeit hinziehen könnte.

Wie so häufig, darf man auf die vorhandene Leidensfähigkeit der Ermittlerinnen und Ermittler von Polizei, Staatsanwaltschaft und der Richterschaft setzen, die weiterhin umfangreiche Ermittlungen gegen Schulhofchatgruppen zu führen haben, statt sich vollumfänglich der Verfolgung pädokrimineller Täter zu widmen. Eine ähnlich hohe Motivationslage wird ja bereits in puncto Vorratsdatenspeicherung erwartet. Auch hier warten die Angehörigen der Strafverfolgungsbehörden gespannt darauf, wie und vor allem wann die Vorgaben des EuGH in Deutschland umgesetzt werden.

Sehr engagiert zeigt sich der Bundesjustizminister hingegen bei der Umsetzung des Paktes für den Rechtsstaat, den er trotz oder vielleicht gerade wegen einer sehr belasteten Haushaltslage (nur noch?) als Pakt für den digitalen Rechtsstaat ausgestalten möchte. Die für die nächsten Jahre vorgesehenen Haushaltsmittel in Höhe von 200 Millionen Euro sollen für Digitalisierungsprojekte der Justiz ausgeben werden, von denen bereits 2023 ein Teilbetrag von 50 Millionen Euro zur Verfügung steht.

Leider scheint das Bundesministerium der Justiz auch beim Thema Digitalisierung an der „justiziellen Basis“ vorbei zu arbeiten. So erblickte ein Referentenentwurf zur „digitalen Dokumentation in der strafgerichtlichen Hauptverhandlung“ (DokHVG) Ende des letzten Jahres das Licht der Welt, in dem vorgesehen wird, die erstinstanzlichen Hauptverhandlungen vor den Landgerichten und Oberlandesgerichten künftig in Bild und Ton aufzuzeichnen und mittels einer Transkriptionssoftware automatisiert in ein Textdokument zu übertragen.

Nicht häufig wurde ein Gesetzentwurf mit einem so einheitlichen und deutlichen Votum von der Fachlichkeit mit ablehnenden Stellungnahmen versehen. Neben dem Deutschen Richterbund, den Generalstaatsanwältinnen und Generalstaatsanwälten weist die versammelte Richterschaft auf erhebliche Bedenken hin, die auch vom BDK geteilt werden.

Bislang lässt sich allerdings nicht erkennen, dass die vorgetragenen Kritikpunkte zu einem Einlenken des Bundesjustizministeriums führen werden. Ähnlich wie bei der Verschärfung des §184b StGB wird auch dieses Vorzeigeprojekt des BMJ die ohnehin knappen Ressourcen im Bereich der Justiz erheblich belasten.

Vielmehr scheint man sich bei dem im Koalitionsvertrag formulierten Ziel, den Pakt für den Rechtsstaat zu verstetigen und um einen Digitalpakt zu erweitern, zwischenzeitlich nur noch auf Digitalisierungsprojekte im Justizbereich zu beschränken, ohne die dringend notwendigen Personalaufwüchse im Rahmen einer Co-Finanzierung in den Ländern zu gewährleisten.

Eine tatsächliche Verstetigung des Paktes für den Rechtsstaat würde zudem bedeuten, dass die zu ergreifenden Maßnahmen sich auf eine dauerhafte Stärkung von Justiz und Polizei beziehen, so wie es im ersten Pakt für den Rechtsstaat am 31.01.2019 zwischen Bundeskanzlerin Merkel und den Regierungschefinnen und Regierungschefs der Länder vereinbart wurde.

Die Tatsache, dass die Polizei in der aktuellen Debatte zum Pakt für den Rechtsstaat 2.0 keine Rolle spielt, ist vermutlich ein Vorgeschmack auf das, was nach Abschluss der Haushaltsverhandlungen für das Jahr 2024 für die Bereiche Innen und Justiz zu erwarten ist.

Herzliche Grüße

Dirk Peglow

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