Internationale BDK-Fachtagung „Wenn Pandemie den Lockdown auslöst

10.11.2020

Politik, Polizei, Wissenschaft und Kirchen ziehen Fazit zur ersten Welle der Pandemie und diskutieren die Herausforderungen kurz vor der gerade beginnenden zweiten massiven Ausbreitung des Covid19 Virus in Deutschland anlässlich der BDK-Fachtagung.
Internationale BDK-Fachtagung „Wenn Pandemie den Lockdown auslöst

Innenminister Reul eröffnete die Tagung und berichtete über die Herausforderungen für Polizei und Verwaltung in NRW. In der Doppelausgabe von „der kriminalist“ wird die Eröffnungsrede vollständig veröffentlicht. Die Vertreter des BKA stellten einen ersten Lagebericht vor, der sich mit den Veränderungen in der Kriminalitätsbelastung in den Monaten der ersten Welle der Covid-19 Pandemie.

Herbert Reul: Ordnungsbehörden und Polizei stehen vor bisher ungeahnten Herausforderungen

Unter besonderen Hygienebedingungen, die seitens des Kardinal Schulte Hauses vorgegeben waren und vom Vertreter des Gesundheitsministeriums NRW gelobt wurden, konnten sich bis zu 53 Teilnehmer/-innen der Konferenz sicher fühlen. Vom NRW-Innenminister, dem verantwortlichen Leiter der NRW Corona-Task Force der Staatskanzlei NRW, Dr. Carsten Schymik und dem Abteilungsleiter aus dem Gesundheitsministerium NRW, MDdgt Markus Leßmann wurden die rechtlichen Vorgaben und die Umsetzung durch Gesetze und Verordnungen beschrieben.

In einem bewegenden Opfergespräch berichtete die Chefärztin der Klinik Zuyderland Heerlen/NL Dr. Meta van der Woude von ihrer eigenen Covid-19 Erkrankung. Sie muss heute nach einem halben Jahr noch mit erheblichen körperlichen Einschränkungen leben. Und versteht sehr gut, wenn zahlreiche Menschen auch nach Wochen und Monaten Krankheitssymptome haben.  

Live aus dem belgischen Verteidigungsministerium wurde Major Dr. Erik des Soir, der als Traumapsychologe des Royal Higher Institute of Defense leitet, zugeschaltet. Er verwies auf eine große Parallele von Einsätzen der belgischen Armee in Krisengebieten und der aktuellen Belastung der Soldaten und Soldatinnen bei der Unterstützung in Belgien überlaufenden Kranken- und Intensivstationen. Er vertrat die Ansicht, dass sich dies aber auch auf die Ärzte und das Pflegepersonal auswirken würde.

Aus dem Bundeskriminalamt berichteten KD Fred-Mario Silberbach, der Referatsleiter (SO-51) und der Soziologe Dr. Mathias Weber aktuell zur Kriminalitätsentwicklung seit Beginn der Pandemie. Sie berichteten von zum Teil überraschenden Erkenntnissen. So stieg statistisch die oftmals erwartete und von verschiedenen Organisationen vehement angekündigte Steigerung der häuslichen Gewalt offenbar nicht an. Sie ging entgegen den Erwartungen um bis zu 25 Prozent zurück. Hinsichtlich der Tatbegehungsweisen zum „Enkeltrick“ gab es zeitnah mit der Begründung, dass Verwandte mit den Corona-Viren infiziert seien und sofort hohe Geldbeträge benötigen. Auch aus dem BTM-Schmuggel gab es interessante Erkenntnisse. Die internationalen Tätergruppen haben offensichtlich sofort ihre Taktik geändert. Die Transporte illegaler Drogen wurden zeitnah auf Medizintransporte und Maskentransporte „umgepackt“, da diese während des ersten Lockdowns sehr unproblematisch die Grenzen passieren konnten. Eine weitergehende Berichterstattung erfolgt in der Doppelausgabe von „der kriminalist“ zu Jahresbeginn.

Die Vertreter der „christlichen Kirchen“ berichteten übereinstimmend von einer großen Belastung und Unsicherheit der Gläubigen. Nach dem Lockdown an Ostern befürchten zahlreiche Menschen auch das Weihnachtsfest in einer noch nie da gewesenen Vereinsamung ohne Verwandte und Freunde feiern zu müssen. Ohne den Besuch eines Gottesdienstes könnten bei vielen Menschen erhebliche mentale oder seelische Probleme nach dem bereits „ausgefallenen“ Osterfest erneut aufbrechen.

Prof. Dr. Dr. Karl Lauterbach: Wir stehen am Vorabend wichtiger EntscheidungenIn einem weiteren zentralen Vortrag erläuterte Prof. Dr. Dr. Lauterbach, MdB, den derzeitigen Stand der Covid-19 Entwicklung in Deutschland. Er machte deutlich, dass die Fachtagung seinerseits der erste öffentliche Auftritt seit Beginn der Pandemie im März sei und er deshalb die Ernsthaftigkeit der Infektionsszenarien in Deutschland bewerten wolle.

Lauterbach machte deutlich, dass Deutschland am Vorabend wichtiger Entscheidungen stehe und entweder ein begrenzter Lockdown sofort oder ein gesamter Lockdown in wenigen Wochen notwendig sei, um 500.000 infizierte Menschen zu Weihnachten vermeiden zu können. Aus medizinischer Sicht machte Lauterbach deutlich, dass nur wenige Menschen ganz viele andere Menschen infizieren, die aber wiederum nicht wissen, ob sie selbst infektiös sind. Das Geheimnis des Virus sei, dass man bis heute nicht wisse, warum sich jemand als „Superspreader“ infiziere und so zahlreiche Menschen anstecke, wenn über 90 % der Covid-19 positiv getesteten Menschen keinerlei Ansteckungen verursachen würden. Wenige Tage nachdem Dr. Lauterbach die Notwendigkeit zumindest eines „wellenbrechenden“ Lockdowns verlangte, wurde dieser durch die Politik in Kraft gesetzt.

In einem beeindruckenden Vortrag bekräftigte der Pressesprecher der Deutschen Bischofskonferenz, Matthias Kopp, die Situation der Menschen und die “Suche nach der künftig gewesenen Zeit“ im Rundbrief der Deutschen Bischofskonferenz (Nr. 34) vom 10.09.2020.

Drei Workshops beschäftigten sich mit den Themen „Trauer nach Corona“, „Notfallseelsorge in Zeiten von Corona“ und „Die Pandemie und die Wirkung auf Polizei und Rettung“.

Prof. Frank Überall, Vorsitzender des Deutschen Journalistenverbandes: Krisenberichterstattung muss seriös und nachprüfbar seinAm letzten Tag nahm Prof. Dr. Frank Überall Stellung zur Berichterstattung während der Corona-Pandemie oder auch zu anderen krisenhaften Ereignissen. Prof. Überall stellte insbesondere das Spannungsverhältnis zwischen der Pflichtaufgabe einer seriösen und wahrhaften Berichterstattung und der Boulevard-Medien, die nur schnell und teilweise nicht auf Wahrheit überprüft, gesendet werden.

Dies gilt auch für die sozialen Medien. Es ist beabsichtigt, auch diesen Vortrag in der Doppelausgabe des Kriminalisten zu veröffentlichen.

Das Fazit der internationalen Tagung war, dass sie zeitlich genau passend nach der ersten Pandemiewelle und zu Beginn der zweiten Welle durchgeführt werden konnte. Mit den Vertretern der Landesregierung NRW wurde vereinbart, dass bereits im kommenden Frühjahr die Fortschreibung dieses Formates notwendig ist. Alle Teilnehmer/-innen konnten mit wichtigen Erkenntnissen versorgt die Heimreise antreten.

Hermann-Josef Borjans
Sprecher Kriminalprävention und Opferschutz im Bundesvorstand