Interview in der Magdeburger Volksstimme vom 10.09.2018

11.11.2018

Zu wenig Polizei, zu viele Verbrecher Landeschef des Bundes Deutscher Kriminalbeamter zu Problemen der Ermittlungsarbeit Ist die Angst vor steigender Kriminalität begründet und gibt es die Mafia oder Clans in Sachsen-Anhalt wirklich? Matthias Fricke sprach dazu mit dem Landeschef des Bundes deutscher Kriminalbeamter Peter Meißner.
Interview in der Magdeburger Volksstimme vom 10.09.2018

Volksstimme: Die Jagd auf Verbrecher ist Ihr Beruf. Ist Sachsen-Anhalt eigentlich noch sicher?

Peter Meißner: Grundsätztlich ja. Allerdings gibt es im Land auch schwerere Kriminalität. Tötungsdelikte, Straftaten mit Waffen, wir hatten auch schon Terrorverdächtige. Es gibt also auch die großen Verbrechen in dem kleinen Land. Das geht an uns nicht vorbei. Deshalb müssen wir genauso gut aufgestellt sein, wie andere Bundesländer auch.

Sind wir das nicht?

Naja, manchmal wird nach einer Vogel-Strauß-Politik agiert. Kopf in den Sand und durch. Zwar lenkt die Landesregierung aktuell mit den geplanten Neueinstellungen etwas dagegen. Das Personal reicht aber nur dazu, die Pflichtaufgaben zu vollziehen. Alles, was intensivere Ermittlungen erfordert, da wird es schon schwierig.

Bleiben auch Fälle liegen?

Die Bearbeitungszeiten dauern erheblich länger. Sie stiegen in den vergangenen Jahren sogar bis auf das Drei- bis Vierfache. Das führt dazu, dass wir als Kriminalisten Prioritäten setzen müssen und Ermittlungen auf der Strecke bleiben.

Hinzu kommt dann sicher noch die organisierte und schwere Banden-Kriminalität. Wie weit ist die eigentlich im Land ausgeprägt?

Sie ist zumindest existent, das ist sicher. Zum Beispiel gehen wir aktuell sogar bundesweit sehr aktiv gegen Planenschlitzer vor und sind da sogar Vorreiter. Die Warenlager befinden sich heute auf der Straße und werden deshalb dort hochorganisiert von Banden geplündert. Die Fälle waren bisher im Zusammenhang aber gar nicht erfasst und als solche erkannt worden. Hinter solchen organisierten Strukturen steckt aber nicht immer die Mafia im klassischen Sinn. Die gibt es hier sicher auch, nur da wird oft nur an der Oberfläche gekratzt.

Woran liegt das?

Das liegt ganz einfach am Personal, das uns für solche aufwändigen Ermittlungen nicht zur Verfügung steht. Es gab mal Zeiten, da gab es in Sachsen-Anhalt sechs Polizeidirektionen und jede hatte einen eigenen Bereich für die organisierte Kriminalität. Das ist inzwischen auf eine Dienststelle mit wenigen Ermittlern beim Landeskriminalamt zusammengeschrumpft. Das alles bei steigenden Anforderungen. Wenn man in einem Verfahren bei organisierter Kriminalität Erfolg haben will, muss man sich schon ganz besonders anstrengen. Die haben natürlich erstklassige Rechtsanwälte und das Geld, sie zu bezahlen. Die Täter arbeiten in diesen Bereichen hochprofessionell. Da ist es oft schwer, zu einer Verurteilung zu kommen.

Gibt es denn auch Clan-Kriminalität in Sachsen-Anhalt?

Der Begriff ist nicht definiert, meint aber vor allem die Großfamilien aus dem arabisch- sprechenden Raum. Diese sind vor allem in Großstädten wie Berlin, Hamburg und Bremen aktiv, daher auch sicher bekannt. Es gibt in Sachsen-Anhalt auch Clans, aber nicht im Ausmaß wie dort. Dennoch müssen wir uns auch mit diesem Problem in Zukunft auseinandersetzen.

Ist die Polizei den Anforderungen überhaupt gewachsen?

Nein, wir haben zu wenig Personal um sich wirklich intensiv mit dieser Kriminalität zu beschäftigen.

Da spielt ja auch Technik eine wichtige Rolle. Sind da andere Bundesländer weiter?

Definitiv sind andere weiter. Das ist auch immer eine Geldfrage. Wenn ich Sicherheit auf einem hohen Standard haben möchte, muss ich investieren. Das muss dann auch regelmäßig erfolgen. Zum Beispiel entwickelt sich Computertechnik permanent weiter, da reicht keine einmalige Millionenausgabe um sich dann wieder zurückzulehnen. Auch IT-Experten müssen entsprechend bezahlt werden, sonst wandern sie in die freie Wirtschaft, wo sie wahrscheinlich ohnehin das Dreifache des Geldes bekommen.

Was müsste sich konkret ändern?

Ein bisschen ist schon passiert. Die Öffentlichkeit hat inzwischen schon registriert, dass die Sicherheit ein wichtiges Gut ist. Man muss nun den nächsten Schritt gehen und langfristig, kontinuierlich in Ordnung und Sicherheit investieren.

Die Kriminalstatistik ist doch aber rückläufig?

Dafür gibt es verschiedene Gründe, je nach Delikt. Einige Bereiche steigen auch. Ein Beispiel: Die Drogenkriminalität war über Jahre rückläufig, weil der Verfolgungsdruck geringer wurde und Ermittler fehlen. Jetzt haben wir aber wieder einen Anstieg. Das heißt, es gibt einen tatsächlich größer werdenden Drogenmarkt. Der ist so groß, dass die Fälle den wenigen Polizisten vor die Füße fallen. Egal bei welchen Verfahren, sehr oft spielen Drogen eine Rolle. Ich prognostiziere sogar eine weitere Zunahme und wir werden ein noch größeres Ausmaß erleben. Die Polizei ist darauf so nicht vorbereitet.

Was sollte passieren?

Es muss ausreichend viele Ermittler geben, die sich zum Beispiel auch mit dem organisierten Drogenhandel beschäftigen.

Worauf müssen sich die Sachsen-Anhalter in Zukunft noch einstellen?

Wir werden bestimmte Kriminalitätsphänomene haben, die sich weiter ausdehnen. Das betrifft die Rauschgift-, Computer- und sicher Eigentumsdelikte. Wir haben aber auch Entwicklungen, auf die wir uns noch einstellen müssen. So gibt es eine Migration, die uns als Land bereichert, aber auch vor neue kriminalistische Probleme stellt.

Was müsste die Landesregierung tun, um das Sicherheitsgefühl der Menschen zu verbessern?

Sie muss Straftaten kontinuierlich bekämpfen und nicht einfach aufhören, wenn sie an einem Ort oder in einem Bereich verdrängt wurde. Es bleibt eine Pflicht am Ball zu bleiben. Denn sonst kehrt die Kriminalität zurück.

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