Ist Mecklenburg-Vorpommern wirklich sicherer geworden?

15.03.2012

Am 13. März 2012 veröffentlichte Innenminister Lorenz Caffier die Polizeiliche Kriminalstatistik (PKS) für den Nordosten. Im Vergleich zu 2010 wurden mehr als 1.000 Fälle weniger registriert, unser Bundesland sei damit noch sicherer geworden und den Mitarbeitern der Landespolizei gebühre Dank und Anerkennung. Ähnlich äußerten sich anschließend auch der Vorsitzende der CDU-Landtagsfraktion Vincent Kokert und der innenpolitische Sprecher der SPD-Landtagsfraktion Manfred Dachner.
 Ist Mecklenburg-Vorpommern wirklich sicherer geworden?

Diese gleichlautenden Einschätzungen kann der Landesverband des BUND DEUTSCHER KRIMINALBEAMTER (BDK) nur bedingt bestätigen.

Eines aber vorneweg. Selbstverständlich haben unsere Kolleginnen und Kollegen auch im Jahr 2011 hervorragende Arbeit geleistet und oftmals bei nicht so guten Bedingungen. So schlug eine, aus unserer kriminalpolizeilichen Sicht, fehlgeschlagene Strukturreform zu Buche, die der Kripo eine ganze Inspektion strich und weitere Kürzungen bei den Stellen der Kriminalkommissariate brachte und bringt. Und die Stellenkürzungen werden mit gesunkenen Fallzahlen der Polizeilichen Kriminalstatistik begründet!

Wir warnen als Berufsverband jedoch vor der Behauptung, Mecklenburg-Vorpommern ist sicherer geworden, weil die Zahlen der PKS etwas rückläufig sind. Natürlich stellen wir nicht die aus dem Vorgangsbearbeitungssystem generierten PKS-Zahlen in Frage.

Nun das große ABER: Die Polizeiliche Kriminalstatistik bildet nicht die tatsächliche Kriminalitätsbelastung für eine Region oder ein Bundesland ab. Wird sie korrekt geführt, stellt sie lediglich das sogenannte Hellfeld der Kriminalität in PKS-Zahlen dar. Dann muss zur Kriminalitätsbelastung zwingend das Dunkelfeld gerechnet werden, wozu es nach unserer Kenntnis in Mecklenburg-Vorpommern keine wissenschaftlich fundierten Erkenntnisse mehr gibt. Bereits an dieser Stelle dürften beim Leser erste Zweifel aufkommen, ob denn unser Bundesland wirklich sicherer geworden ist.

Spätestens an dieser Stelle kommt regelmäßig von politisch Verantwortlichen der Einwand, dass es zum Vergleich der Kriminalitätsbelastung ja leider nur die PKS gibt. Auch hier irren sich die Protagonisten der Polizeilichen Kriminalstatistik.

Über das polizeiliche Vorgangsbearbeitungssystem ließe sich leicht eine Eingangs-(Anzeigen-)statistik erstellen. Nach den Untersuchungen des BDK verzeichnete diese Statistik von 2005 bis 2008 sogar einen leichten Anstieg bei den Strafanzeigen in Mecklenburg-Vorpommern und lag bei den Zahlen ungefähr zweieinhalb Mal höher als die Zahlen der PKS. Allerdings darf hier nicht der Schluss gezogen werden, dass die Kriminalität auch entsprechend höher gelegen hat. Die PKS wird nach bundeseinheitlichen Vorgaben erstellt und nicht jede Anzeige ist auch ein PKS-Fall (siehe Praxisbeispiele am Ende).

Eine weitere, auch unter Kriminalisten anerkannte Bewertungsmöglichkeit der Kriminalitätsbelastung bietet die Opferzahl. Auch hier deutet sich nach Erkenntnissen des BDK-Bundesverbandes eine sichtbare Erhöhung an.

Wir geben hier auch gerne einige Hinweise, um das Dunkelfeld partiell zu erhellen.

Seit einigen Jahren gibt es für unser Bundesland keine EU-Außengrenze zur Republik Polen mehr. Damit fielen auch die üblichen Grenzkontrollen weg, bei denen Tausende von Straftaten aufgedeckt worden sind. Diese Delikte sind bei der Kriminalitätsbelastung zu beachten.

Die Zahl der Diebstähle nimmt mit etwa 40 % einen unvermindert hohen Bestandteil der PKS ein.

Nun hat im vergangenen Herbst die „Schweriner Volkszeitung“ in einem interessanten Artikel dargestellt, dass die Zahl der vom Gesamtverband der deutschen Versicherungswirtschaft (GDV) aufgenommenen Diebstähle in Deutschland fast doppelt so hoch ist wie die polizeilich registrierten Diebstahlmeldungen. Sicher sollte auch bei diesem Delikt das Dunkelfeld weiter zu erhellen sein und bei der Betrachtung der tatsächlichen Kriminalität eine wichtige Rolle spielen. Nicht vergessen dürfen wir den Fakt, dass viele Versicherungen bei Bagatelldiebstählen keine Anzeige bei Polizei oder Staatsanwaltschaft mehr verlangen und somit ebenfalls bei der Erfassung in der PKS unerkannt bleiben.

Zu Recht lobte Minister Caffier die Einrichtung des neuen Dezernates „Cybercrime“ im Landeskriminalamt. Doch mit nur einer Spezialeinheit wird sich der Kampf gegen die Kriminalität rund um das Internet kaum spürbar erfolgreicher gestalten. Gerade bei diesem Kriminalitätsphänomen driften Hell- und Dunkelfeld erheblich weiter auseinander als bei anderen Delikten. Die aktuell für 2011 registrierten gut 5.000 PKS-Fälle stellen mit Sicherheit nur die Spitze des Eisberges dar. Jeder Internet-Nutzer kennt vermutlich die zahlreichen Phishing-Versuche oder Spam-Mails in betrügerischer Absicht. Dazu müssen die Delikte im Bereich der Pornografie oder Kinderpornografie gerechnet werden, die nicht zur Anzeige kommen, weil hier die Opfer oft auch Täter sind. Und wie viele Fälle werden in der Polizeilichen Kriminalstatistik nicht erfasst, nur weil der Täter aus dem Ausland handelt? Die Opfer sitzen jedenfalls in Deutschland.

Die sogenannten Kontrolldelikte spielen bei der Entwicklung der PKS eigentlich immer eine delikate Rolle. Hier kommen Personalverteilung und -abbau deutlich zum Tragen. Jeder Kriminalist weiß: Setze ich beispielsweise bei der Bekämpfung von Rauschgifthandel oder der Organisierten Kriminalität mehr Personal ein, steigen auch die Zahlen der PKS. Umgekehrt natürlich sinken die Fallzahlen bei einer Personalreduzierung.

Die zuvor genannten Fakten sind jedem Mitarbeiter der Landespolizei, aber auch vielen Verantwortlichen in der Politik bekannt. Es verwundert uns deshalb sehr, dass dem Bürger in Mecklenburg-Vorpommern gegenüber erklärt wird, dass unser Bundesland sicherer geworden ist. Gerade wegen der fehlenden Dunkelfeldforschung und -bewertung kann niemand ernsthaft behaupten, dass der Nordosten sicherer oder unsicherer geworden ist. Zumal das subjektive Sicherheitsempfinden unserer Bewohner nach unserer Einschätzung gefallen ist ...

An dieser Stelle ein Wort zur Aufklärungsquote.

Sie ist nach offiziellen Angaben leicht von etwa 60 auf nunmehr noch über 58 % gesunken.

Die Aufklärungsquote ist bundesweit einheitlich definiert und verlangt nur, dass der sachbearbeitende Polizist einen Tatverdächtigen angeben muss. Dieser muss dann weder Beschuldigter noch Täter sein, wie häufig aus den Akten der Staatsanwaltschaften hervorgeht.

Die vorgeworfene Tat muss also nicht im kriminalistischen Sinne aufgeklärt sein, es reicht die (auch unbegründete) Benennung eines Verdächtigen.

Und noch ein Beispiel aus der Praxis. Wie oft wird denn ein ausländischer Ladendieb oder Schwarzfahrer als „Tatverdächtiger“ für hunderte Laubeneinbrüche, Fahrradiebstähle oder Internet-Betrügereien eingesetzt? So werden aus einem unbekannten PKS-Fall hunderte „aufgeklärte“ PKS-Fälle. Hier handelt es sich übrigens um ein Mittel der statistischen „Bereinigung“, dass in Ost und West seit Jahrzehnten Anerkennung findet ...

Und noch eine letzte Anmerkung.

Seit Jahren wird der Personalkörper der Landespolizei reduziert und immer wieder umstrukturiert. Trotzdem sanken die PKS-Fallzahlen und stieg die so genannte Aufklärungsquote stetig. Waren denn aber die Kolleginnen und Kollegen in den 90er Jahren dümmer, fauler, erfolgloser und unmotivierter? Eine, wie wir finden, interessante Frage für die Verantwortlichen ...