„Kann natürlich auch sein, dass das hier im Papierkorb landet“ – tatütata.fail

28.05.2022

In der aktuellen Folge ZDF Magazin Royale vom 27. Mai 2022 zeigt Jan Böhmermann wie schlecht und unkoordiniert die Verfolgung von Hasskriminalität im Netz und digitaler Strafverfolgung generell in der deutschen Polizei abläuft. Eigentlich gibt es aus unserer Sicht kaum etwas, was in der gezeigten Sendung falsch dargestellt wurde. Ein Armutszeugnis für die Polizei.
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Viele Politikerinnen und Politiker sagen immer wieder, dass das Internet kein rechtsfreier Raum ist, was auch stimmt. Das Strafgesetzbuch gilt auch für das Internet. Nach dem Beitrag zu urteilen, ist das Internet jedoch in weiten Teilen ein rechtsdurchsetzungsfreier Raum, weil die Gefahr rechtlich belangt zu werden im Vergleich zu klassischer (analoger) Kriminalität äußerst gering ist.

Wie schlecht es um die Strafverfolgung im Netz steht, zeigt sich schon zu Beginn der Anzeigenerstattung bei den unterschiedlichen Online-Wachen der Länder. Bei lediglich sechs der insgesamt sechszehn Internetwachen können Dateien wie etwa Screenshots bei der Erstattung einer Onlineanzeige mitgeschickt werden. Bei der Online-Wache in Mecklenburg-Vorpommern geht das nicht. Jede Wache ist zudem anders strukturiert und verlangt manchmal Angaben, die überhaupt nichts mit der eigentlichen Anzeige zu tun haben.

Hierzu der Bezirksvorsitzende Stephan Gäfke: „Warum gibt es überhaupt sechszehn unterschiedliche Online-Wachen? Warum gibt es nicht nur eine, die nutzerfreundlich durch die Anzeigenerstattung führt, Hinweise zum Opferschutz beinhaltet und selbstverständlich als weitere Datenaustauschplattform zwischen Anzeigenden und Polizeidienststellen agieren kann? Wann kommt die Polizei, nicht nur in Mecklenburg-Vorpommern, endlich im 21. Jahrhundert an? Wann diskutieren wir mal über die Grenzenlosigkeit des Netzes und unsere starren polizeilichen Zuständigkeitsstrukturen des 20. Jahrhunderts.“

Was war geschehen? Das Team von und um Jan Böhmermann erstattete durch Korrespondent:innen zeitgleich in allen 16 Bundesländern am 3. August 2021 Anzeigen bezüglich sieben ausgewählter Hasskommentare unterschiedlicher Herkunft. Im April 2022 meldete sich das Team von Böhmermann offiziell und wollte den Stand der Ermittlungen in den einzelnen Bundesländern erfragen. In vielen Bundesländern wurden die Verfahren eingestellt. In Sachsen, Brandenburg und Sachsen-Anhalt wurden alle Anzeigen nicht einmal entgegengenommen. In Bremen wurden die Ermittlungen erst aufgenommen, als es eine Presseanfrage zu den eingereichten Anzeigen gab. Danach gab es dort sogar interne Ermittlungen und ein Disziplinarverfahren wegen des Verdachts der Strafvereitelung im Amt. Auch in Sachsen werden nun interne Ermittlungen geführt. In weiteren Bundesländern konnten keine Tatverdächtigen ermittelt werden. Komisch, denn die Polizei in Baden-Württemberg konnte in der Zwischenzeit einen Täter ermitteln, der sogar bereits vom Amtsgericht Aalen zu einer Geldstrafe verurteilt wurde. Ein weiteres Beispiel zeigt, dass drei Hasskommentare von einer Facebook-Seite für das Team des ZDF ausgereicht haben, den Täter mittels OSINT-Recherchen zu identifizieren, da dieser laut Jan Böhmermann sogar mit Klarnamen im Netz zu finden war. Angebliche Dauer der Recherche: ca. 30 Sekunden.

Die Landespolizei Mecklenburg-Vorpommern erhöht auch nicht gerade das Vertrauen gegenüber den Bürgerinnen und Bürgern, wenn sie, wie in der Sendung nachzulesen, so auf die Anzeigenerstattung antwortet: „Kann natürlich auch sein, dass das hier (also die sieben Anzeigen, Anm.) im Papierkorb landet“. Eine Auskunft dazu, was mit den Anzeigen in der Zwischenzeit geschehen ist, gab es nicht. Stattdessen eine schriftliche Zeugenanhörung an das Team um Jan Böhmermann von der Polizei in Neubrandenburg.

Der Beitrag von Jan Böhmermann zeigt viele Schwächen und Missstände innerhalb der Polizei in ganz Deutschland auf. Dies fängt bei einer empathischen und hilfsbereiten Anzeigenaufnahme bereits an. Zudem findet anscheinend immer noch keinerlei Koordination zwischen den Länderpolizeien und den Staatsanwaltschaften statt. Dies zeigen die wenigen erfolgreichen Verläufe der o.g. Anzeigen. Wenn doch zielführende Ermittlungen stattfinden, wissen das die anderen Behörden oftmals nicht. Hierbei sollte eigentlich der Polizeilicher Informations- und Analyseverbund (PIAV) der Schlüssel zum Ermittlungserfolg sein, aber irgendwie scheint das ganze System nicht zu funktionieren.

Diese oben genannten Fälle lassen uns mit Kopfschütteln zurück. Der BDK macht seit Jahren auf die Probleme digitaler Kriminalitätsphänomene aufmerksam. Seit Jahren fordern wir qualifiziertes Personal mit sachgerechter Ausstattung. Hierzu gehört ein auf die Kriminalpolizei ausgerichtetes Studium.

„Die Zeit der Generalisten ist schon seit Jahrzehnten vorbei. Es kann nicht sein, dass einfachste Internetrecherchen, auch OSINT genannt, in der derzeitigen Ausbildung gar nicht und im Studium bis auf ein klitzekleines Wahlpflichtmodul keine Rolle spielen. Auch kann es nicht sein, dass im Rahmen der Fortbildung für den gesamten Personalkörper der Landespolizei seit Jahren nur 1-2 Kolleg:innen die gesamte Palette der digitalen Kriminalitätsbekämpfung vermitteln sollen. Wenn sich dann noch einige Kolleg:innen mit 6-10 anderen Mitarbeitenden einen freien Internetrechner teilen müssen, dann kann de facto keine angemessene Strafverfolgung stattfinden.“, so der Landesvorsitzende Eike Bone-Winkel. Und weiter: „Vorurteilsbasierte Kriminalität ist eine Gefahr für unsere demokratische Gesellschaft. Wir müssen uns endlich entschieden dagegenstellen.“

Obwohl Jan Böhmermann den begründeten Verdacht hat, dass die Polizei im Internet nichts kann, können wir Jan Böhmermann beruhigen. Es gibt sie, die Kolleginnen und Kollegen, die erfolgreich im Internet ermitteln. Nur leider sind es viel zu wenige, bei einer viel zu hohen Anzahl von Verfahren.

Stephan Gäfke und Eike Bone-Winkel


Links:

https://www.zdf.de/comedy/zdf-magazin-royale/zdf-magazin-royale-vom-27-mai-2022-100.html

https://xn--tattata-p2a.fail/state/mv

https://www.bka.de/SharedDocs/Kurzmeldungen/DE/Kurzmeldungen/170307_PIAV.html