Liegt die Kripo im Sterben?

08.09.2008

Der Autor Till-R. Stoldt beschäftigt sich mit dem Personalmangel bei der Kripo und den Folgen einer Ausbildung zum Generalisten für die Strafverfolgung in NRW.

Um die Personalnot zu beheben, hat das Land NRW mehr als doppelt so viele Neupolizisten eingestellt wie 2007. Ausgerechnet die besonders gebeutelte Kripo droht leer auszugehen.

Edler Enthusiasmus tobte Anfang der Woche durch die Polizeipräsidien von Bonn bis Münster. Denn am Montag begannen 1100 Kommissar-Anwärter in NRW ihre Ausbildung und wurden mit kleinen Feiern begrüßt. Bei der Gelegenheit sprachen einige der Neuen über ihre Motive. Einer wollte "einfach den Menschen dienen, den Armen wie den Reichen". Eine andere verkündete, sie wolle möglichst viele Verbrecher jagen, weil die so viel Leid in die Welt brächten.

Den kühnsten Enthusiasten mimte indes Polizeiminister Ingo Wolf (FDP). Bei der Bonner Begrüßungsfeier deutete er an, die 1100 Neueinsteiger seien so etwas wie die lang ersehnte Lösung für die Personalprobleme der Polizei. Tatsächlich klagen vor allem Berufsverbände der Kriminalpolizei seit Jahren, die Kripo-Ermittler seien überlastet, überaltert und oftmals nicht auf ihre Aufgabe vorbereitet.

Aber wird die neue Einstellungswelle die Wende bringen?

Scheinbar stehen die Chancen gut, werden doch 600 Polizisten mehr als im Vorjahr in Staatsdienst genommen. Zudem sollen bis 2012 jährlich weitere 1100 folgen. Zugleich wurde die bisherige Ausbildung nun auf einen Bachelor-Studiengang umgestellt. Das klingt modern. Und das soll es auch. Trotzdem: Die betroffenen Berufs- verbände, die Deutsche Polizeigewerkschaft im Beamtenbund und - allen voran - der Bund Deutscher Kriminalbeamter (BDK), bestreiten, dass irgendeines ihrer Probleme dadurch gelöst würde.

Und diese Probleme sind tatsächlich kaum zu ignorieren. Dazu reicht es schon, sich einmal bei den Staatsanwaltschaften im Land umzuhören. Dort klagt man immer wieder über Kripo-Beamte, die nicht wussten, wie man Fingerabdrücke oder Speichelproben nimmt; über Ermittler, die ihre Verdächtigen so schlecht verhörten, dass ihnen simpelste Informationen nicht entlockt wurden. Und über Beamte, die erst zehn Monate nach einer Tat die Zeugen zur Befragung luden - die sich natürlich an nichts mehr erinnerten.

Auf den Schreibtischen der 7500 Kripo-Beamten im Land türmen sich zudem Altfall-Akten. Bei der DNA-Spuren-Auswertung hinken die Experten mit Tausenden von Fällen hinterher. Und die Spurensucher, die Handys, PC und Laptops untersuchen, haben nicht selten Rückstände von einem Jahr. Oft sind daher die Gerichtsprozesse beendet bevor auch nur alle Spuren für den Fall gesammelt sind.

Kurz: Die Ermittler kommen nicht hinterher, Folge ist ein "erheblicher Niveauverlust", wie Rainer Wendt von der Deutschen Polizeigewerkschaft seit Jahren beklagt. Und der BDK-Landesvorsitzende Wilfried Albishausen fürchtet gar, die Kripo drohe "dahinzusiechen".

Die Ursachen dafür sind vielfältig: Zum einen hat sich der Personalbestand seit Jahren bei rund 7500 eingependelt, aber die Arbeitsbelastung wächst permanent durch immer neue Aufgaben. Vor allem dass unterschiedlichste Kriminelle Handys, PCs und Laptops nutzen, zieht die Ermittlungsarbeit enorm in die Länge. Gleiches gilt für die klugen, aber zeitaufwendigen Pläne zur Betreuung von Intensivstraftätern oder für den Beschluss, die Opferbetreuung nicht nur von Psychologen, sondern auch von Kripo-Leuten zu leisten.

Würden etwa 300 der 1100 Neueinsteiger garantiert pro Jahr bei der Kripo landen, wäre die Situation aus Sicht Wilfried Albishausens zumindest entschärft. Das Problem ist nur: Polizeiminister Wolf vermeidet allem Bitten und Betteln der Verbände zum Trotz jede Festlegung, wie viele Neueinsteiger zur Kripo dürfen oder bei der Schutzpolizei bleiben sollen.

Das Innenministerium verweist zwar auf seine Anordnung von 2007, nach den ersten sieben Jahren sollten die Polizisten auch die personellen Lücken bei der Kripo füllen dürfen. Aber diese Anweisung steht unter dem Vorbehalt, dass erst einmal die Schutzpolizei (mit ihrem ebenfalls großen Personalhunger) ihre Lücken schließt. Was für die Ermittler übrig bleibt, muss sich zeigen. Eine weitere Ursache für Leistungsdefizite bei der Kripo liegt den Verbänden zufolge in der Ausbildung begründet. Seit 1994 zielt die dreijährige Polizistenausbildung darauf ab, Generalisten zu produzieren, die von allen Facetten der Polizeiarbeit ein bisschen, aber von nichts viel verstehen. Ob Neuanfänger nun als Ermittler, Verkehrspolizisten oder Straßenstreife arbeiten möchten - sie alle durchlaufen dieselbe Ausbildung.

Und dadurch fehlt den späteren Kriminalpolizisten schlicht Know-how; vor allem im Vergleich mit ihren Kollegen beispielsweise in Hessen oder Berlin. Dort werden Neupolizisten zu Spezialisten ausgebildet. Jeder lernt von der Pieke auf einen möglichen Polizeiberuf. Anders in NRW. Auch die Umstellung auf den Bachelor ändert hier nichts daran, dass Generalisten geschult werden, die laut Ministerium "für die Kernaufgaben der ersten Berufsjahre qualifiziert" seien - also für Streifendienst und Objektschutz. Wer zur Kripo wolle, solle sich später fortbilden.

So gewinnen auch spätere Kripo-Männer Routine darin, Martinszüge zu begleiten. Wie man aber Spuren liest, das lernen sie nur nebenbei und obenhin. Sogar die Akkreditierungsgesellschaft, die die Umstellung auf den Bachelor absegnen musste, hielt es zunächst für zweifelhaft, ob diese Ausbildung ausreichend Fachkenntnisse vermittle, um sie als universitären Studiengang akzeptieren zu können.

Doch damit nicht genug müssen die zukünftigen Kripo-Ermittler seit 1994 an die dreijährige Ausbildung auch noch eine vierjährige Ochsentour anschließen: Ein Jahr helfen sie im Streifen- und Wachdienst aus, drei Jahre in den Hundertschaften. Auf Streife dürfen sie betrunkene Obdachlose aufwecken, Schläger beruhigen und vor Ministerien Wache schieben. Und in der Hundertschaft müssen sie bundesweit bei Fußballspielen, Mai-Krawallen oder Großdemonstrationen ihren Kopf hinhalten.

Und erst danach, nach frühestens sieben Jahren im praktischen Polizeidienst, dürfen sich Interessenten für die Kripo melden. Von ihrem zehn Jahre zuvor begonnenen Studium wissen sie dann nicht mehr viel. Und was sie noch in Erinnerung behalten haben, ist häufig veraltet. Obendrein sind sie durch den jahrelangen Nahkampf auf der Straße oft demotiviert. Bis vor anderthalb Jahren wurden die Wechsler nicht einmal fortgebildet und geradezu ins kalte Wasser geworfen. Wer bis dahin Streife gegangen war, musste plötzlich die Finessen der Todesermittlung beherrschen.

Allem Protest, aller Personalaufstockung und vermeintlich modernisierten Ausbildung zum Trotz bleibt diese Ochsentour weiterhin Pflicht für spätere Kripo-Leute. Deshalb sind Kriminalpolizisten schon jetzt häufig nicht mehr die jüngsten und haben einen Altersdurchschnitt von 50 Jahren. Zum Vergleich: Schutzpolizisten sind im Schnitt 40 Jahre alt.

All das - mangelnde Spezialisierung, mindestens siebenjährige Ochsentour und Personalmangel - schade der Leistungsfähigkeit nordrhein-westfälischer Ermittler. Wer zur Kripo wolle und solche Hindernisse in den Weg gelegt bekomme, werde seinen Enthusiasmus bald verlieren.

Das verkündeten vor ihrem Wahlsieg 2005 CDU- und FDP-Parlamentarier im Landtag. Vielleicht sollte man die alten Landtagsdebatten den Polizei-Neueinsteigern von 2008 einmal vorlesen?