Neues Spiel, neues Glück?

07.10.2021

Bundespolitische Erwartungen des BDK.
Neues Spiel, neues Glück?

Liebe Kolleginnen und Kollegen,

der 20. Deutsche Bundestag wird sich spätestens am 26. 10. 2021 zu seiner konstituierenden Sitzung zusammenfinden. Man darf gespannt sein, wie lange es dauern und vor allem in welcher Koalition ein künftiges Regierungsbündnis die Amtsgeschäfte übernehmen wird.

Unabhängig vom Ergebnis zu erwartender Koalitionsverhandlungen erlaube ich mir, einige Erwartungen zu formulieren, die der BDK an diejenigen Politikerinnen und Politiker hat, die künftig nicht nur am Kabinettstisch Platz nehmen, sondern auch an den zahlreichen „anderen Tischen“ des Bundestages, seiner Ausschüsse sowie in den Ministerien dazu beitragen werden, das Themenfeld „Innere Sicherheit“ weiterzuentwickeln.

Zugegebenermaßen fällt es schwer, diese Erwartungen auf einen Umfang zu reduzieren, der einem Editorial angemessen ist. Welche Forderung formuliert man, ohne dass zahlreiche Kolleginnen und Kollegen sich vergessen fühlen? Hier der Versuch einer Reduzierung auf zunächst vier Kernforderungen.

Pakt für den Rechtsstaat 2.0 verhandeln!
Der im Jahr 2019 beschlossene und zum 31. 12. 2021 auslaufende „Pakt für den Rechtsstaat“ muss neu verhandelt werden! Neben vielen anderen Kriminalitätsformen gebietet vor allem die Zunahme der Organisierten Kriminalität in ihren verschiedenen Facetten und der daraus resultierenden gesellschaftlichen Bedrohung eine deutliche Aufstockung der Beschäftigten in den Sicherheits- und Justizbehörden. Laut OECD werden die weltweiten Einnahmen der Organisierten Kriminalität auf 870 Milliarden USD geschätzt. Die europaweit agierenden nahezu 5.000 OK-Gruppierungen erlangten Schätzungen zufolge im Jahr 2019 139 Milliarden Euro durch illegale Aktivitäten. Dem Bundeslagebild Organisierte Kriminalität des BKA ist zu entnehmen, dass die kriminellen Erträge dieser Gruppierungen sich in Deutschland auf jährlich 644 Millionen Euro (Hellfeld) belaufen.

Diese Zahlen bieten ausreichend Anlass, dass die künftige Bundesregierung erneut Maßnahmen im Bereich der Sicherheits- und Justizbehörden mit den Ländern vereinbart, die geeignet sind, den Rechtsstaat in angemessenem Umfang zu stärken. Bei Berücksichtigung aktuell bekannter Bedrohungspotenziale erachten wir einen Stellenaufwuchs von 20.000 Beschäftigten in Polizei (Bund/Länder) und Justiz für notwendig.

Digitalisierung der Polizeibehörden umsetzen!
Die Fortentwicklung und Harmonisierung der Auswerte- und Analysefähigkeit polizeilicher Arbeit ist von grundlegender Bedeutung, da sie alle Zuständigkeitsbereiche der Beschäftigten in der Kriminalitätsbekämpfung betrifft. Die Heterogenität polizeilicher IT-Anwendungen, der Umfang digitaler Beweismittel, die Vielfalt zu erlangender Informationen aus strukturiert und unstrukturiert angelieferten Daten unterschiedlicher Organisationen sind – neben der klassischen Ermittlungstätigkeit – kaum noch zu bewältigen. Aus diesem Grund muss die Digitalisierung der Polizeien der Länder und des Bundes, Stichwort „Programm 2020“, mit Hochdruck weiterverfolgt und die Einführung kompatibler und zeitgemäßer Systeme schnellstmöglich umgesetzt werden.

Neben der Lösung bereits erkannter Schnittstellenprobleme und der Umsetzung einheitlicher Kriterien für die Datenerfassung und -weitergabe ist die Akzeptanz wesentlich von der Anwendungsfreundlichkeit dieser Systeme abhängig und bedarf einer flächendeckenden Schulung, die nicht durch nebenamtliche Multiplikatorinnen und Multiplikatoren wahrgenommen werden kann.

Europäische Kriminalität europäisch bekämpfen – Kompetenzen und (Personal-)Ausstattung der Europäischen Union im Bereich der inneren Sicherheit stärken!
Die nationalen Strafverfolgungsbehörden geraten bei der Bekämpfung der Organisierten Kriminalität, des Terrorismus, der Geldwäsche und der Cyberkriminalität immer mehr an ihre Grenzen. Eine wirksame Bekämpfung dieser Kriminalitätsphänomene kann nur unter enger Einbindung der zahlreich vorhandenen EU-Sicherheitsagenturen erfolgen, die im Juni 2021 mit der Einrichtung der Europäischen Staatsanwaltschaft (EuStA) in 22 teilnehmenden Mitgliedstaaten eine lange geforderte Ergänzung erfuhren.

Aufgrund der dargestellten Herausforderungen für die EU-Sicherheitsarchitektur erwarten wir, dass die erforderliche Weiterentwicklung von EUROPOL hin zu einer Agentur mit operativen Ermittlungs- und Strafverfolgungsbefugnissen in Fällen von grenzüberschreitender Kriminalität im engen Austausch mit der EuStA durch die Bundesregierung unterstützt wird. Die hierfür notwendige Personal- und Sachmittelausstattung ist in ausreichendem Umfang über den bereits vom Rat der Europäischen Union angenommenen mehrjährigen Finanzrahmen der EU für 2021 bis 2027 durch eine Aufstockung der Finanzmittel für den Bereich Inneres abzusichern.

Zugleich sollte die Bundesregierung darauf hinwirken, dass die derzeit bestehende (lose) Kooperationsbeziehung zwischen EUROPOL und der EuStA (Art. 102 EuStA-VO 2017/1939) schnellstmöglich zu einer dezidierten Arbeitsvereinbarung entwickelt wird. Perspektivisch sollte das Ziel sein, EUROPOL mit der Übernahme der Ermittlungsführung in Verfahren der EuStA zu beauftragen, die dann nach den Grundlagen eines harmonisierten Rechtsrahmens sowohl im materiellen wie im formellen Strafrecht zu führen und bei einem „Unions-Strafgericht“ anzuklagen wären.

Bundeseinheitliche Standards für die Ausbildung von Kriminalistinnen und Kriminalisten definieren – Direkteinstieg K in allen Bundesländern einführen! Kriminalpolizeiliche Arbeit unterliegt einer fortdauernden Anpassung an die Professionalisierung alter und Entwicklung neuer Kriminalitätsphänomene. Leider erfolgt die Adaption neuer Technologien und Tatgelegenheiten (z. B. Kryptohandys und -währungen, Straftaten i. Z. m. der Corona-Pandemie) täterseitig sehr schnell, während die polizeiliche Antwort hierauf häufig viel Zeit in Anspruch nimmt. Aus diesem Grund muss, neben einer massiven Erhöhung des Anteils der Kriminalpolizei, die Ausbildung und Qualifikation auf Bundes- und Landesebene mit Priorität verfolgt werden.

Wir erwarten daher, dass die immer noch in weiten Teilen praktizierte einheitliche Ausbildung des polizeilichen Nachwuchses eine Änderung erfährt, die Bewerberinnen und Bewerbern einen direkten Einstieg in die Kriminalpolizei ermöglicht. Die derzeit an den Hochschulen bestehenden Curricula sind, sofern es die Studierenden des „Studiengangs Kriminalpolizei“ betrifft, auf die Vermittlung von Wissen kriminalpolizeilicher Lehrinhalte anzupassen, die bundesweit zu definierenden Standards für Kriminalistinnen und Kriminalisten entsprechen.

Trotz des (vorläufigen) Scheiterns der Novellierung des Bundespolizeigesetzes erwarten wir, dass die dringend notwendige Spezialisierung im Bereich der Kriminalitätsbekämpfung auch bei der Bundespolizei durch eine fachspezifische Aus- und Fortbildung umgesetzt wird.

Herzliche Grüße
Ihr/Euer Dirk Peglow
stellv. BDK-Bundesvorsitzender

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