NSU-Umsetzungsbericht fordert Ausbau der kriminalpolizeilichen Aus- und Fortbildung – trotzdem wieder einmal zu kurz gesprungen

09.12.2015

Hinter der Landtagsdrucksache 6/4876 (siehe unten) vom 7. Dezember 2015 verbirgt sich der „Zweite Bericht zum Stand der Umsetzung der Empfehlungen des NSU-Untersuchungsausschusses des Deutschen Bundestages“ zur Unterrichtung des Landtages durch unsere Landesregierung. Auch wenn sich der Bericht hauptsächlich mit den Belangen der politisch motivierten Kriminalität (PMK) befasst, sind doch unter Punkt 2.2.1 ebenfalls generelle Aussagen zur Gestaltung der künftigen Aus- und Fortbildung in der Kriminalpolizei in Mecklenburg-Vorpommern zu finden.
NSU-Umsetzungsbericht fordert Ausbau der kriminalpolizeilichen Aus- und Fortbildung – trotzdem wieder einmal zu kurz gesprungen

Die dort genannten Anpassungen und Aussagen geben nach unserer Auffassung leider nur den jederzeit aktuellen Stand der Bewertung von Ausbildungsinhalten an unserer Fachhochschule wieder oder betreffen anzuerkennende, notwendige Innovationen für die Fortbildung im Bereich des polizeilichen Staatsschutzes und finden dann auch den Beifall des BDK als Berufsverband der kriminalpolizeilich Beschäftigten. Weit weniger Applaus, dafür umso mehr Kritik ernten die nachfolgenden Zeilen: Zur Verbesserung des kriminalpolizeilichen Grundlagenwissens und damit zur Erhöhung der Ermittlungskompetenz in der Landespolizei sind nun mehrwöchige kriminalpolizeiliche Anpassungslehrgänge eingeführt worden, sodass jeder Polizeivollzugsbeamte (PVB), der in die kriminalpolizeiliche Laufbahn wechselt, grundsätzlich eine zusätzliche, umfangreiche Fortbildung erhält...“ Auch hier ist anerkennenswert, dass offenbar deutliche Defizite innerhalb der kriminalpolizeilichen Sachbearbeitung und der Ausbildung erkannt worden sind. Der gewählte Weg zur Vermittlung kriminalistischer Kompetenz jedoch scheint uns – gerade im Hinblick auf das NSU-Desaster – noch nicht einmal der berühmte Tropfen auf den heißen Stein zu sein.

Der in Rede stehende Lehrgang ist der Überleitungslehrgang von der Schutz- zur Kriminalpolizei. Er soll – wir als sicherlich fachkundigste Organisation wurden gar nicht erst gefragt – drei mal drei Wochen dauern und in abwechselnden Theorie- und Praxismodulen durchgeführt werden. Drei mal drei Wochen, um in die Tiefen der Wissenschaft Kriminalistik einzutauchen. Dazu mag sich der geneigte Leser selbst ein Urteil bilden, wir halten dieses Vorhaben als Erkenntnis aus den Fehlern bei den Ermittlungen zum NSU als völlig unzureichende Schlussfolgerung, zumal Mitarbeiter, die länger als fünf Jahre in der Kripo ihren Dienst verrichten, auch ohne diesen Lehrgang ihren Kriminal-Dienstgrad erhalten. Kriminalistik ist schließlich ein Ausbildungs-, kein Fortbildungsberuf!

Die einzig richtigen Schlussfolgerungen hätten heißen müssen:

  • Die Komplexität und der Anspruch einer Wissenschaftsdisziplin wie der Kriminalistik lassen eine Tätigkeit in der Kriminalpolizei nur nach einem fachorientierten Studium der Kriminalwissenschaften zu.

  • Ein Wechsel innerhalb der Fachsparten unserer Polizei ist gewollt und möglich, setzt aber ebenfalls ein mindestens einjähriges Studium an unserer Fachhochschule in Güstrow voraus.

  • Eine Verwendung von Angehörigen der Kripo im früheren mittleren Polizeivollzugsdienst ist ausgeschlossen, nicht ausgeschlossen ist selbstverständlich der Aufstieg in den gehobenen Kriminaldienst nach einer Fachausbildung.

  • Die gegenwärtige universelle und damit bereits untaugliche Einheitsausbildung mit der anschließenden Zwangsverwendung in der Bereitschaftspolizei wird umgehend eingestellt und durch eine spartenspezifische, kompetente Fachausbildung ersetzt.

Die Verantwortlichen unserer Landespolizei schielten in den vergangenen Jahren und Jahrzehnten gerne einmal nach Hamburg oder Schleswig-Holstein, um dortige Regelungen zu übernehmen. In diesem Fall können wir dazu nur raten, denn dort sind jene Schlüsse bereits größtenteils – auch ohne das NSU-Debakel – gezogen worden. Oder wollen wir immer die berüchtigten 50 Jahre abwarten, bis in Mecklenburg-Vorpommern etwas Neues und Brauchbares umgesetzt wird?

Und noch eine kleine Randnotiz.

Mindestens im Jahr 2016 wird es keinen Aufstiegslehrgang vom mittleren zum gehobenen Polizeivollzugsdienst an der Fachhochschule geben, weil insbesondere die Lehrkräfte fehlen. Für einen nach unserer Meinung äußerst zweifelhaften Umstiegslehrgang reichen offenbar die personellen Ressourcen aus. Und wieder ein Zitat aus dem Bericht: Zu betonen ist, dass unter Betrachtung des rückläufigen Personalbestandes in der Landespolizei hier ein erheblicher Ressourceneinsatz aufgeboten wird, um die sogenannten handwerklichen Fähigkeiten der Ermittlungsbeamten in Breite zu verbessern.“

Auch das werten wir als Klatsche gegen die Angehörigen des mittleren Dienstes, die sich berechtigte Hoffnungen auf die baldige Erlangung eines Kommissars-Ranges gemacht haben.

Außerdem entlarven sich die Verfasser selbst. Die ausdrückliche Benennung „handwerklicher Fähigkeiten“ bedeutet für uns die Negation eines notwendigen Studiums und die Verbesserung der Fähigkeiten in der „Breite“ lässt vermuten, dass die unsägliche Verwendungsbreite gemeint sein könnte. Diese ist selbst in einigen Vorschriften verankert, verhindert so eine dringend nötige Spezialisierung aller Polizeivollzugsbeamten und degradiert nach unserer Auffassung alle Vollzugsbeamten zu „Universaldilettanten“, die vieles wenig, aber nur weniges richtig können. Spätestens seit den Tagen der industriellen Revolution, also den Tagen des 19. Jahrhunderts, sollte klar sein, dass Spezialisierung und nicht oberflächliche Allgemeinfertigkeiten auch in unserer Landespolizei gefordert sind.

In der Bewertung dieser Ereignisse und Prozesse wiederholen wir uns gern. Es darf nicht sein, dass Problemlösungen vorgetäuscht werden. Probleme müssen einfach nur gelöst werden. Und dabei helfen wir gerne.

Landtagsdrucksache 6/4876