Offener Brief an Innenminister Pistorius

05.11.2015

Sehr geehrter Herr Minister, die derzeitige Situation in der Polizei veranlasst uns, sich mit einem offenen Brief an Sie zu wenden. Wir wollen damit Ihnen, den Kolleginnen und Kollegen sowie der Öffentlichkeit Themenfelder aufzuzeigen, bei denen wir dringenden Handlungsbedarf sehen:
Offener Brief an Innenminister Pistorius

Personalausstattung verbessern
Schon vor dem derzeitigen Zustrom von Flüchtlingen nach Niedersachsen gab es viele Hinweise, dass die Kolleginnen und Kollegen in etlichen Bereichen an der Grenze der Belastbarkeit arbeiten. Der Schutz von Demonstrationslagen, die Begleitung von Fußballspielen, aber auch die Bekämpfung der Alltagskriminalität forderten und fordern die Kolleginnen und Kollegen immens.
Wir erkennen an, dass auch die jetzige Landesregierung  keinen sichtbaren Personalabbau bei der Polizei vornimmt. Gleichzeitig mahnen wir dringend eine angemessene Personalverstärkung an. Die im zweiten Nachtragshaushalt eingestellten 50 Planstellen A10 müssen dauerhaft verbleiben. Gleichzeitig müssen noch für den Haushalt 2016 weitere Planstellen eingestellt werden. Nur so können wir dauerhaft verhindern, dass immer mehr Kolleginnen und Kollegen ausgebrannt werden oder innerlich kündigen, weil sie sich gegen diese hohe Dauerbelastung nicht mehr anders zu wehren wissen.

Dazu gehört gleichzeitig, dass im Bereich der Polizeiverwaltung zusätzliche Stellen geschaffen werden, um Polizisten auch dort einzusetzen, wo sie ihrer Qualifikation nach eingesetzt werden sollten, um auch einen Ausstieg über die Polizeidienstunfähigkeit zu vermeiden.


Perspektiven schaffen
Politik darf bei allen finanziellen Belastungen durch die Unterbringung und Versor-gung der Flüchtlinge diejenigen nicht vergessen, die durch ihr hohes Engagement weiterhin ein friedliches Beisammensein und sicheres Niedersachsen garantieren. Dazu gehört insbesondere, vernünftige Perspektiven zu schaffen. In 2014 gab es ein umfangreiches Stellenhebungsprogramm, das von BdK und DPolG ausdrücklich begrüßt und positiv begleitet wurde. Doch mussten wir erleben, dass für 2015 keine zusätzlichen Beförderungen eingestellt wurden. Auch für 2016 sind offenbar bisher keine zusätzlichen Beförderungen geplant. Daher müssen Sie, Herr Innenminister, sich an Ihren Aussagen vor der Landtagswahl messen lassen, in denen Sie „Wartezeiten von mehr als 10 Jahren als unzumutbar“ bezeichneten. Ebenso sagten Sie, dass „jeder wieder eine echte Perspektive erhalten müsse, Hauptkommissar zu werden“.
Die Wirklichkeit sieht anders aus: Die Kolleginnen und Kollegen warten aktuell durchschnittlich immer noch deutlich länger auf ihre erste Beförderung. Und die Zahl der Planstellen A11 BBesO reicht bei weitem nicht für die Erfüllung Ihres Versprechens aus. Vielmehr befürchten wir, dass mittelfristig nur noch Inhaber entsprechender Dienstposten nach A11 BBesO befördert werden. Das wäre demotivierend.
Eine Veränderung kann nur durch kontinuierliche und nachhaltige Hebungsprogramme erfolgen.

Im Bereich der Polizeiverwaltung erwarten wir, dass mehr höherwertige Arbeitsplätze bzw. Dienstposten eingerichtet werden und entsprechend die Qualifizierungsmöglich-keiten deutlich erhöht werden.

Sehr geehrter Herr Innenminister,
am Anfang der Legislaturperiode setzten Sie mehrere Arbeitsgruppen ein, die sich drängenden Themen innerhalb der Polizei annehmen sollten.
Die Beurteilungsrichtlinien waren Ihrer Meinung nach nicht akzeptiert. Die Personalverteilung war verbesserungswürdig. Die Perspektiven der Verwaltung sollten verbessert,  die Bekämpfung des so genannten Cybercrime sollte fachlicher und effizienter strukturiert werden. Außerdem sollte ein verändertes Gefahrenabwehrgesetz verabschiedet und eine allgemeine Kennzeichnungspflicht bei geschlossenen Einsätzen eingeführt werden.
Was konstatieren wir nach zweieinhalb Jahren? Bei den Landesarbeitsgruppen war die Beratungsdauer, wenn es überhaupt bisher ein veröffentlichtes Ergebnis gab, sehr lang. Die Ergebnisse waren zum Teil nicht einstimmig oder wurden durch Sie oder die Polizeipräsidenten abgeändert – passend gemacht. 

Einige Themenfelder sind bisher gar nicht gelöst: 2014 wurde mit den bisherigen (nicht akzeptierten?) Richtlinien beurteilt. Die Arbeitsgruppe zur Verwaltung tagt noch immer. Die meisten Verwaltungsbeamtinnen und Beamten haben knapp 1 ½ Jahre auf ihre Beurteilungen warten müssen! Bei der Personalverteilung stellte man fest, dass es letztlich gar nicht mit einem Modell möglich ist, sondern weiterhin auch händisch verteilt wird.
Das Gefahrenabwehrgesetz ist wahrscheinlich immer noch in der  Beratungsphase, genau wie die Kennzeichnungspflicht.

Weiterhin versprachen die Fraktionen von SPD und Bündnis 90/Die Grünen,  dass „das Niedersächsische Personalvertretungsgesetz modernisiert werden soll, um die Mitbestimmungsmöglichkeiten der Beschäftigten im öffentlichen Dienst zu stärken und um eine vertrauensvolle Zusammenarbeit mit den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in Behörden und Verwaltungen wieder herzustellen“. Auch hier wird seit zweieinhalb Jahren herumgedoktert, das bisherige Ergebnis ist aus unserer Sicht keine nennenswerte Verbesserung und eine Verabschiedung des Gesetzes rechtzeitig vor den Personalratswahlen 2016 gefährdet. Zumal auch hier die Benachteiligungen von Frauen bei der Wahl nicht beseitigt wurden.
Das Problem dabei ist nach unserer Ansicht: Durch die Aktivitäten am Anfang der Legislaturperiode haben Sie einerseits Hoffnungen bei den Kolleginnen und Kollegen geweckt, andererseits aber auch Unruhe verursacht. Zu letzterem gehört die Gründung einer Beschwerdestelle. Sie ist unserer Auffassung nach – genau wie die Forderung nach einer Kennzeichnungspflicht oder  die angedachten Veränderungen bei den verdachtsunabhängigen Kontrollen – Ausdruck eines Misstrauens der Landesregierung gegenüber der Polizei.
Aktuell ist es schon wieder so, dass die Veröffentlichung der ersten Ergebnisse der Mitarbeiterbefragung bis Ende September erfolgen sollte. Nunmehr ist November.
Am Anfang der Legislaturperiode luden Sie zu diesen und anderen Themen regelmäßig die Gewerkschaften und Berufsverbände zum Austausch ein.
Für DPolG und BdK müssen wir feststellen, dass diese Gesprächskultur sich nachteilig verändert hat. Wir bitten Sie daher eindringlich, zu diesem Austausch mit allen Gewerkschaften zurückzukehren.
                                     
Landesvorsitzender BDK                 Landesvorsitzender DPolG

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