PKS 2014 - Täglich grüßt das Murmeltier?

13.03.2015

Polizeiliche Kriminalstatistik verstellt einmal mehr den Blick auf die Wirklichkeit - Ein Kommentar des BDK-Landesvorsitzenden
PKS 2014 - Täglich grüßt das Murmeltier?
Foto: Siegfried Fries / pixelio.de

„Jedes Jahr aufs Neue veröffentlichen die Innenminister der Länder die Polizeiliche Kriminalstatistik (PKS), so auch in dieser Woche in Nordrhein-Westfalen. Der Bürger erhält dabei den Eindruck, es handele sich um ein statistisches Abbild der Wirklichkeit. Hiervon sind wir jedoch leider weit entfernt. Tatsächlich liefert die Statistik allenfalls einen sehr unvollständigen Arbeitsnachweis für die Kriminalpolizei. Umkommentiert bleiben kann sie dennoch nicht.

Einige Grundaussagen für die PKS 2014:

  • Die Gefahr Opfer einer Gewalttat zu werden stieg in Nordrhein-Westfalen im vergangenen Jahr leicht an.
  • Die erheblichen Kraftanstrengungen zur Bekämpfung der Einbruchskriminalität zeigten erste Früchte. Die Anzahl der Wohnungseinbrüche sank, während die Aufklärungsquote folgerichtig leicht anstieg. Dennoch findet in Deutschland nach wie vor etwa jeder dritte Einbruch bzw. Einbruchsversuch in Nordrhein-Westfalen statt.
  • Zeitgleich stieg u. a. die Anzahl der Taschendiebstähle sowie der Diebstähle aus Boden- und Kellerräumen bedrohlich an.
  • Organisierte, professionelle ausländische Tätergruppierungen beginnen den "Markt" des Ladendiebstahls und Taschendiebstahls zu erobern. Teilweise sind des dieselben Täter, die auch für Wohnungseinbrüche verantwortlich sind.
  • Die Wirtschaftskriminalität wird weniger bekämpft.
  • Ein Zuwachs an „Cybercrime“ wird in der Statistik weniger erfasst.
  • Die Kriminalpolizei bearbeitet vermeintlich mehr Drogendelikte. Die Gründe liegen nicht in einer Zunahme der Rauschgiftkriminalität sondern unter anderem in einer veränderten Ermittlungsführung (vermehrt sog. Verfahrensabtrennungen) sowie außenveranlassten Kontrollen im Rahmen der Bekämpfung der Eigentumskriminalität.

 

Die Grundkritik an der PKS

Betrachtungszeiträume - Statistiken bilden nicht die Kriminalitätszeiträume ab

Ein „Fall“ kommt dann in die PKS, wenn dieser Fall aus Sicht der Polizei fertig bearbeitet und zur Staatsanwaltschaft übersandt wurde. Die eigentliche Tat kann im Einzelfall bereits mehrere Jahre zurückliegen und fällt dann gar nicht in das Jahr, das statistisch eigentlich betrachtet werden soll. Von „aufgeklärten Fällen“ spricht man dann, wenn die Polizei einen Tatverdächtigen ermittelt hat. Die Frage ob und inwieweit es anschließend zu einer Verurteilung kommt, ist hierbei noch vollkommen offen. Um dieser Frage nachzugehen müsste man sich die Strafverfolgungsstatistik der Justiz anschauen. Da den beiden Statistiken jedoch unterschiedliche Betrachtungszeiträume zugrunde liegen, lassen sie sich nicht miteinander vergleichen. Ein einfaches Beispiel: Bei einem Fall, dessen zugrunde liegende Tat im Jahr 2013 geschah, schließt die Kriminalpolizei ihre Ermittlungen im Jahr 2014 ab und sendet den Fall zur Staatsanwaltschaft. Zu einer gerichtlichen Erledigung kommt es jedoch erst im Jahr 2015. In diesem Beispiel wird die Kriminalität des Jahres 2013 in der Polizeilichen Kriminalstatistik 2014 sowie in der Strafverfolgungsstatistik 2015 erfasst. Der BDK fordert daher, auch wenn es einiger Anstrengungen bedarf, die Zusammenführung von PKS und Strafverfolgungsstatistik. 

Dunkelfeld wird nicht abgebildet

Taten, die der Polizei nicht zur Kenntnis gelangen, bilden das sogenannte Dunkelfeld und tauchen mit Ausnahme wissenschaftlicher Untersuchungen in bislang in nahezu keiner offiziellen Statistik auf. Die Berücksichtigung von Forschungsergebnissen in Kriminalpolizeilichen Statistiken und Lagebildern wäre jedoch möglich und angezeigt, um der Bevölkerung und politischen Entscheidungsträgern ein realistischeres Bild der Kriminalitätslage zu vermitteln.

Weitere Lücken in der Erfassung

Unter anderem werden Auslandstaten, Staatsschutzdelikte, nicht aufgeklärte Falschgelddelikte oder beispielsweise von der Steuerfahndung ermittelte Delikte nicht erfasst. 

Keine Erfassung von Geschädigten

Wie begrenzt die Aussagekraft der PKS ist, beweist zudem ein Blick auf die Anzahl der Geschädigten. Leider wurden und werden diese nicht durchgehend erfasst. Erst die Antwort der Landesregierung auf eine Große Anfrage der CDU im Landtag Nordrhein-Westfalen offenbarte, dass den etwa 1,5 Millionen in der PKS erfassten Straftaten im Jahr 2012 eine Zahl von 1,8 Millionen Geschädigten gegenüberstand. Die Statistik wies jedoch lediglich bei bestimmten Gewalt- und Rohheitsdelikten Opfer in der Größenordnung von 230.000 aus.

Der BDK fordert daher schon lange eine umfängliche Erfassung der Geschädigten sowie die Einführung eines jährlichen Sicherheitsberichtes als Alternative zu althergebrachten Darstellungen der Kriminalitätslage. 

Bisher entsteht nämlich mit der Polizeilichen Kriminalstatistik insgesamt ein höchst löchriges Bild der Wirklichkeit, das in dieser Woche dennoch von Politik und Medien, wenn auch leiser als in vergangenen Jahren,  im Hinblick auf die Entwicklung ausgewählter Kriminalitätsphänomene interpretiert und diskutiert wurde. Im Fokus stand unter anderem die o. g. Entwicklung der Einbruchskriminalität, deren erfreuliche Entwicklung seit Monaten vorhersehbar war. Mehr polizeiliche Kapazitäten, mehr Ermittlungskommissionen mit engagierten und guten Kriminalbeamten, gute Konzeptionen und Schwerpunktbildungen haben zu einer sichtbaren Verringerung der Fallzahlen und in folgerichtiger Konsequenz zu einer Erhöhung der Aufklärungsquote geführt. Ebenso vorhersehbar war allerdings leider die Zunahme der Delikte in den o. g. „verwandten“ Kriminalitätsbereichen Handtaschendiebstahl, Ladendiebstahl sowie Diebstähle in Boden- und Kellerräumen.

Zusammenhang zwischen PKS und Personalstärke der Kripo?

Wozu dient nun diese jährliche Statistik? Welchen(politischen) Zweck erfüllen die neun verschiedenen Lagebilder zu verschiedenen Phänomenbereichen? Welche Konsequenzen werden daraus gezogen und welche Entscheidungen gefällt? Diese Fragen möge jeder für sich anhand eigener Beobachtungen und Bewertungen beantworten. 

Fest steht jedenfalls, dass es einen hinreichenden Zusammenhang zwischen der tatsächlich von der Kriminalpolizei geleisteten und künftig zu leistenden Arbeit geben müsste, aber nicht gibt. Das vorhandene Personal wird anhand der so genannten (!) belastungsbezogenen Kräfteverteilung (BKV) zwischen den Polizeibehörden verteilt. Eine Zunahme an gesetzlichen Aufgaben, Straftaten oder Kriminalitätsphänomenen führt jedoch keineswegs zu einer Zunahme des Personals bei der Kripo. Einige Beispiele anhand der aktuellen Statistik:

Im Ergebnis hat die Kriminalpolizei bei maximal gleichbleibendem Personalkörper im vergangenen Jahr 1,1 % mehr Fälle bearbeitet. Wenn man berücksichtigt, dass die Erfassungsrichtlinie im Bereich Cybercrime so geändert wurde, dass tausende Taten mit unklarem Tatort nicht mehr erfasst werden, hatte die Kriminalpolizei in NRW im vergangenen Jahr mindestens 20.000 Fälle mehr zu bearbeiten. Allein diese Zahl hätte einen angemessenen Personalzuwachs in Höhe von 100 Kriminalbeamten begründet. Leider trügt die Statistik aber selbst hier noch und taugt damit nicht einmal als Arbeitsnachweis für die Leistungen der Kriminalpolizei. Zahlreiche ihrer Tätigkeiten werden schlicht überhaupt gar nicht erfasst. Bedingt durch die demographische Entwicklung und einen zunehmenden Anteil der älteren Bevölkerung steigt beispielsweise die Anzahl der Sterbefälle deutlich an. Bei jedem Sterbefall mit zunächst einmal unklarer Todesursache rückt die Kriminalpolizei aus und ist im Schnitt etwa drei Stunden mit einem solchen Fall befasst.  Nur die Fälle in denen sich ein strafrechtlicher Hintergrund herausstellt, werden in der Statistik erfasst. Ähnlich verhält es sich bei der Feststellung von Brandursachen sowie bei Vermisstenfällen. Lediglich in den Fällen, in denen der Verdacht auf eine Straftat besteht, kommt es zu einem Statistikfall. 

Berücksichtigt man ergänzend die enormen Herausforderungen, die mit den Bedrohungen durch den islamistischen Terrorismus einhergehen und bei denen die Kripo gefahrenabwehrend ermittelt (ebenfalls ohne Statistikstriche), die Tatsachen, dass wir es mit 300.000 mehr Geschädigten als Straftaten zu tun haben, sowie die enormen Dunkelfelder (bis zu 90 %) und Schäden in zwei- bis dreistelliger Milliardenhöhe so wird die bereits seit fünf Jahren bestehende Forderung des BDK NRW nach zusätzlichen 2.000 Kriminalisten für Nordrhein-Westfalen sehr schnell deutlich. Dies ist im übrigen keine Frage des Haushalts, denn...

Kriminalität kostet mehr als Kriminalitätsbekämpfung!