Protestmail an alle Mitglieder des Landtages zur 1. Lesung des Besoldungsanpassungsgesetzes

15.05.2013

Am Vorabend der Plenarsitzung des nordrhein-westfälischen Landtages, in der die Landesregierung heute den Gesetzentwurf zur Besoldungsanpassung 2013/2014 einbringen wird, wandte sich der Landesvorsitzende Wilfried Albishausen mit einem Appell per E-Mail an alle Abgeordneten, diesem Gesetzentwurf die Zustimmung zu verweigern.
Protestmail an alle Mitglieder des Landtages zur 1. Lesung des Besoldungsanpassungsgesetzes
Wilfried Albishausen bei einer der zahlreichen Protestaktionen

Sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete,

sicher haben Sie in den vergangenen Wochen eine Vielzahl von Schreiben, E-Mails erhalten und persönliche Gespräche erlebt, in denen Ihnen teils sehr drastisch und deutlich die Enttäuschung und der Zorn des Öffentlichen Dienstes über die Absicht der Landesregierung, einen großen Teil der Beamtinnen und Beamten des Landes Nordrhein-Westfalen von der Einkommensentwicklung abzukoppeln und nicht nur eine „Nullrunde“, sondern aufgrund der Inflationsrate und der kalten Progression sogar deutliche Einkommensverluste zuzumuten. Auf die bereits in den letzten 15 Jahren erfolgten Kürzungen in der Alimentation verzichte ich an dieser Stelle. Die Milliardenbeträge dürften hinlänglich bekannt sein. Wo sind sie geblieben?

Ich gehe davon aus, dass Ihnen angesichts der Wucht und des Umfangs der öffentlichen Proteste bewusst ist, was die Landesregierung mit ihrer Entscheidung und dem Gesetzentwurf, der morgen in den Landtag eingebracht wird, anrichtet oder – konkreter ausgedrückt – bereits angerichtet hat.

Bei der gestrigen eindrucksvollen Demonstration des Bundes der Richter und Staatsanwälte NRW, über die u.a. heute die Rheinische Post auf der ersten Seite ausführlich berichtet, sind die unterschiedlichen Wirkungen noch einmal sehr deutlich geworden. Wirkungen, die auch in den anderen Teilen des Öffentlichen Dienstes „1 zu 1“ zu übertragen sind.

Wir Kriminalbeamtinnen und Kriminalbeamten tragen mit unserer Arbeit an 7 Tagen in der Woche und rund um die Uhr ganz erheblich zur Inneren Sicherheit bei. Allein bei der Kriminalpolizei schieben wir einen seit Jahren steigenden Überstundenberg von 2 Millionen Stunden vor uns her. Wir verrichten im ganz alltäglichen Dienst Tätigkeiten, mit denen niemand, sicherlich auch Sie nicht, etwas zu tun haben möchte. Außer bei der Bekanntgabe unserer „Arbeitsstatistik“ (PKS) oder erfolgreicher Aufklärung spektakulärer Fälle. Da werden wir dann schon mal gelobt, die tatsächlichen physischen und psychischen Belastungen, die übrigens auch unsere Familien tragen, sind allerdings meist sehr schnell wieder vergessen.

Um auf die eingangs erwähnten Wirkungen zurückzukommen, dürfte Ihnen sicher klar sein, dass die Entscheidung der Landesregierung und der damit verbundene „Wortbruch“ der Ministerpräsidentin und mehrerer Kabinettsmitglieder in erster Linie als „Vertrauensbruch“ bemerkt und empfunden wird. Nun könnten Sie zur Tagesordnung übergehen und einen solchen Vorgang als für die Politik typisch hinnehmen und darauf hoffen, dass dies schnell in Vergessenheit gerät. Ein paar Politikverdrossene oder Politikerverdrossene mehr oder weniger, was macht das schon? Nun, das macht eine ganze Menge. Es beeinflusst Wahlen und Wahlentscheidungen mit oftmals ungewolltem Ausgang. Das nennt man wohl Protestwahl. Manche wählen auch gar nicht mehr, was sich in einer zunehmenden Zahl der „Nichtwähler“ – das muss ich Ihnen nicht sagen – bemerkbar macht und die politische Handlungsfähigkeit erheblich beeinflussen kann.

Noch viel bedeutsamer für Sie dürfte allerdings die Tatsache sein, dass solche eklatanten Wortbrüche zu ganz erheblichen Motivationsverlusten führen und wahrscheinlich schon geführt haben. Ich schließe mich da ausdrücklich dem Vorsitzenden des Deutschen Richterbundes an, der bei der gestrigen Demonstration sein Verständnis zum Ausdruck brachte, wenn sich Richter und Staatsanwälte zukünftig an die für sie gesetzlich vorgesehene Arbeitszeit halten und damit die auch von vielen Politikern oft geforderte „Vereinbarkeit von Beruf und Familie“ oder besser von „Familie und Beruf“ mit Leben erfüllen. Auch für Kriminalbeamtinnen und Kriminalbeamte ist dies kein unvorstellbares Verhalten. Insbesondere vor dem Hintergrund einer ohnehin personell und demografisch vernachlässigten Spezies des Öffentlichen Dienstes – genannt Kriminalpolizei.

Ich möchte Sie auf einen weiteren Aspekt hinweisen, der uns Kriminalisten und Kriminalistinnen so wütend macht. Sie als Volksvertreterinnen und Volksvertreter und die Landesregierung als Exekutive „halten“ sich Beamtinnen und Beamte in einem nach Artikel 33 des Grundgesetzes festgeschriebenen „Dienst- und Treueverhältnis“, das unter anderem ein wesentliches Arbeitnehmergrundrecht ausschließt, das Streikrecht. Das ist richtig und gut so, da nur ein solches Dienst- und Treueverhältnis die Funktionsfähigkeit des Staates in den Kernaufgabenbereichen gewährleistet. Das ist weltweit und auch in anderen Staaten Europas ganz anders. Ich glaube nicht, dass sich irgendjemand von Ihnen Generalstreiks oder Streiks von Richtern, Staatsanwälten, Lehrern, Finanzbeamten oder Polizeivollzugsbeamten wünschen würde. Und genau der Ausschluss dieses grundlegenden Streikrechts bei den Beamtinnen und Beamten nutzt nun diese Landesregierung aus, um wie ein „Gutsherr aus der Feudalzeit“ festzulegen, wer mehr, wer weniger und wer überhaupt nichts an Einkommenszuwachs benötigt. Welch ein übles Verhalten. Nein, das hat weder etwas mit sozialer Gerechtigkeit zu tun, noch ist das anständig.

Meine Damen und Herren Abgeordneten,

denken Sie darüber einmal nach! Ich glaube, es wird Ihnen sehr deutlich werden, dass es hier nicht nur um Euro und Cent, sondern um ungenügende Wertschätzung und das damit verbundene anmaßende Verhalten der Landesregierung geht. In den letzten Tagen wurde ich mit einem Argument konfrontiert, das mich schlicht (fast) sprachlos gemacht hätte. Da wurde mir entgegengehalten, dass gerade die Polizei sich über diese Lösung der Landesregierung nicht aufzuregen habe. Immerhin stelle man ja jährlich 1.470 neue Anwärter und Anwärterinnen ein. Also überhaupt kein Grund zu klagen. Ja, Sie haben richtig gelesen. Jetzt werden die im Dienst befindlichen Polizeibeamten und die Versorgungsempfänger nicht nur für die Einhaltung der Schuldenbremse „in Haft genommen“, nein, auch für bitter nötige Neueinstellungen, um die Polizei einigermaßen funktionsfähig zu halten. Wohl wissend, dass auch diese Zahl nicht ausreicht, um die Polizeistärke 2020 auf dem heutigen Level zu halten. Solche Argumente aus dem Parlament zu hören, erinnern in der Tat stark an frühere Zeiten, als Polizisten noch als Büttel gesehen und behandelt wurden.

Dass die Entscheidung der Landesregierung und der Ihnen morgen vorgelegte Gesetzentwurf in höchstem Maße verfassungswidrig ist, sollten Sie bei Ihrer Entscheidung während und am Ende des Gesetzgebungsverfahrens an die allererste Stelle setzen. Wollen Sie wirklich einem Gesetz die Zustimmung erteilen, das von einer – da können Sie sicher sein – Vielzahl von Betroffenen mit den unterschiedlichsten Klageformen und Richtung Karlsruhe angegriffen werden wird? Wollen Sie wirklich einen erneuten Verfassungsbruch riskieren?

Ich habe in den letzten Wochen mit einigen von Ihnen persönlich gesprochen. Dabei habe ich festgestellt, dass auch bei Ihnen unabhängig von Ihrer Fraktionszugehörigkeit mindestens Nachdenklichkeit bis hin zu erheblichen Zweifeln an der Richtigkeit und Rechtmäßigkeit dieser Maßnahmen der Landesregierung bestehen. Auch außerhalb des Parlaments halten nicht wenige Funktions- und Amtsträger quer durch alle Parteien die Entscheidung der Landesregierung für schlichtweg falsch, ungerecht und demotivierend.

Ich appelliere deshalb an Sie, im Rahmen des Gesetzgebungsverfahrens auf die Umsetzung des Tarifergebnisses 1 zu 1 für alle Beamtinnen und Beamten des Landes Nordrhein-Westfalen hinzuwirken. Sie sind Teil des Parlaments, Volksvertreter und nur Ihrem Gewissen verpflichtet. Die Landesregierung hat das auszuführen, was Sie beschließen – das sieht jedenfalls unsere Verfassung vor. Und so wird es im Rahmen der schulischen Bildung auch unseren Kindern und Jugendlichen beigebracht.