Psychische Belastungen im täglichen Dienst – wenn die Belastung zur Überlastung wird

01.11.2021

Erschwerniszulagen für die Auswertung und Analyse im Bereich der sexuellen Gewalt an Kindern und der Kinderpornografie
Małgorzata Tomczak - Pixabay

Liebe Kolleginnen und Kollegen, 

mal ehrlich wer ist es nicht gewohnt, mit unterschiedlichen Motivations- und Belastungsprofilen der Kolleginnen und Kollegen umzugehen, mit denen man zusammenarbeitet? Haben wir nicht alle schon erlebt, dass jemand unterstützt wurde, weil er oder sie private Belastungen zu tragen hatte? Wer hat nicht schon mehr Vorgänge bearbeitet oder ist freiwillig vom beantragten Dienstfrei zurückgetreten, weil jemand krankheitsbedingt längere Abwesenheiten hatte oder aufgrund privater Probleme oder Verpflichtungen länger frei nehmen musste. Ich habe erfahren, dass solchen Fällen seitens der Dienststellenleitungen, aber insbesondere auch durch die Beschäftigten in der jeweiligen Dienststelle immer mit der notwendigen Solidarität begegnet wurde. 

Ein Befund, der seine Ursache in einem guten Betriebsklima haben dürfte, vielleicht auch in einem oftmals negativ konnotierten „Chorgeist“. Er zeigt jedenfalls, dass Solidarität in dienstlichen und/oder privaten Belastungssituationen deutlich wahrnehmbar ist. Zusätzlich zu der beschriebenen kollegialen „Anteilnahme“ wurde in den letzten Jahren vielfach dafür gesorgt, niedrigschwellige psychosoziale Unterstützungsangebote zu etablieren, die vertraulich in Anspruch genommen werden können. Leider noch lange nicht im ausreichenden Umfang erhalten Führungskräfte die Möglichkeit, Fortbildungsangebote zu besuchen, die eine Sensibilisierung hinsichtlich psychischer Belastungen Mitarbeitender zum Inhalt haben.

Erfreuliche Schritte, wenn man sich daran erinnert, dass in manchen Gesprächsrunden dem Vorschlag zur Einführung von Supervisionsangeboten vor einigen Jahren noch entgegnet wurde, dass „wir niemanden von außen brauchen, der uns sagt, wie wir unsere Arbeit machen müssen“.  

Die Feststellung, dass die Wahrnehmung von und der Umgang mit psychischen Belastungen in den Fokus der behördlichen Befassung gerückt ist, überrascht nicht, wenn man sich vor Augen führt, was die Beschäftigten vielfach zu ertragen haben. 

Erlauben sie mir an dieser Stelle einen Teil der Gespräche wiederzugeben, die ich in den letzten Monaten mit Kolleginnen und Kollegen führen durfte, die in der Auswertung von kinderpornografischem Material eingesetzt sind. Einige schilderten mir nahezu wortgleich, dass ihre Tätigkeit Auswirkungen auf das Privatleben hat, die auch durch das jeweilige familiäre/häusliche Umfeld wahrgenommen werden. Die Gespräche hatten auch zum Inhalt, dass die Beschäftigten in diesem Arbeitsbereich sehr schnell die Erfahrung machen (müssen), dass die Abgründe der Straftaten, die Kindern angetan werden, keine Grenzen haben. Diese Feststellung paart sich sehr schnell mit der Erkenntnis, dass jeder Arbeitstag mit dem Gefühl beendet wird, dass man „nicht fertig geworden ist“ und eigentlich weitermachen müsste, da die Ermittlungen schließlich auch auf das Erkennen und die Unterbindung andauernder Missbrauchsfälle ausgerichtet sind. Der Weg nach Hause wird häufig von dem Gedanken bestimmt, etwas übersehen oder notwendige Maßnahmen nicht oder nicht früh genug eingeleitet zu haben. 

Die Aussage, „nicht fertig zu werden“, trifft leider für viele Bereiche der kriminalpolizeilichen Sachbearbeitung zu. Ähnliche Gesprächsinhalte werden auch von Kolleginnen und Kollegen wiedergegeben, die beispielsweise im Polizeilichen Staatsschutz oder in der Bearbeitung von Straftaten zum Nachteil älterer Menschen tätig sind. Man könnte diese Aufzählung noch sehr lange weiterführen. 

Für die Bearbeitung von Delikten im Zusammenhang mit der Verbreitung, dem Erwerb, Besitz und der Herstellung kinderpornografischer Schriften lässt sich die massiv steigende Belastung bereits anhand der Zahlen des Hellfeldes der Polizeilichen Kriminalstatistik belegen. Diese verzeichneten im Jahr 2020 einen Anstieg von 53 % im Vergleich zum Vorjahr. Eine Steigerung, die sich auch in diesem Jahr fortsetzen wird, so dass die Beschäftigten in diesem Deliktsbereich weiterhin mit den beschriebenen Gefühlslagen zu leben haben. 

Die Intensivierung und Erweiterung, aber vor allem Finanzierung der dargestellten Unterstützungsangebote, ist daher nicht Kür, sondern Pflicht. Die vorhandenen Angebote müssen in ihrer Wirksamkeit evaluiert und hin zu einer Angebotserweiterung wissenschaftlich begleitet werden. Insbesondere die Erkenntnislage zur Gefahr von Langzeitfolgen ist bei der Bearbeitung des sexuellen Missbrauchs von Kindern und der Auswertung kinderpornografischer Datenträger derzeit noch unzureichend. 

Üblicherweise nehmen wir, zumeist im Zuge der medialen Berichterstattung zu größeren Durchsuchungsaktionen, Statements von Politikerinnen und Politikern zur Kenntnis, die stets eine hohe Wertschätzung gegenüber den Beschäftigten in diesem Arbeitsbereich zum Ausdruck bringen. Leider lässt sich aber auch beobachten, dass die „verbale Wertschätzung“ proportional zur Schlagzeilenfrequenz abnimmt. 

Die Fraktionen von CDU und FDP des Landtages von Land Nordrhein-Westfalen haben den üblichen Lippenbekenntnissen in diesem Jahr Taten folgen lassen, indem sie erfolgreich einen Antrag in den Landtag eingebracht haben, mit dem die Auszahlung einer Erschwerniszulage in Höhe von 300,- für alle Beschäftigten in der Auswertung und Analyse von Kindesmissbrauch und Kinderpornografie rückwirkend zum 01.01.2021 realisiert wurde. 

Aus Sicht des BDK ein Schritt, der beispielhaft für andere Bundesländer sein sollte und durchaus geeignet ist, auf die Tagesordnung der nächsten Innenministerkonferenz aufgenommen zu werden. Neben den vielfach in unseren Landesverbänden vorhandenen Initiativen werden wir daher auf unserem im November stattfindenden Bundesdelegiertentag u. a. darüber abstimmen, eine bundesweit einheitliche Zulage in Höhe von 300,- für alle Beschäftigten zu fordern, die in diesen Arbeitsbereichen tätig sind.

Unabhängig von der Beschlussfassung unserer Delegierten, halte ich es für dringend geboten, dass die politischen und polizeilichen Entscheidungsträgerinnen und -träger durch geeignete Maßnahmen verhindern, dass die eingangs beschriebene Solidarität unter den Kolleginnen und Kollegen künftig Schaden nimmt. 

Herzliche Grüße 

Ihr/Euer Dirk Peglow 

Stellvertretender Bundesvorsitzender 

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