Standpunkt: Straftaten in Hamburg - Der Senat redet sich die Kriminalität schön!

01.02.2018

Am Freitag startet sie wieder – die jährliche Sicherheits-Show der Innenbehörde. Bei der Vorstellung der Polizeilichen Kriminalstatistik (PKS) für das Jahr 2017 wird Innensenator Andy Grote (SPD) alle Register ziehen. Da werden Sätze fallen wie „Hamburg ist sicherer geworden“ oder „Die Polizei hat hervorragende Arbeit geleistet“. Letzteres stimmt grundsätzlich auch. Interessant aber ist das, was der Innenpolitiker nicht ansprechen wird (von Thomas Hirschbiegel)
Standpunkt: Straftaten in Hamburg - Der Senat redet sich die Kriminalität schön!

Es wird nicht darum gehen, dass aus Personalmangel aktuell 8000 Kriminalfälle „zurückgestellt“ wurden. Auf Deutsch: Die Akten liegen auf der Fensterbank. Dass die Organisierte Kriminalität oder die Cyberkriminalität eher verwaltet denn bekämpft wird. Und dass in der Hansestadt zwar der afrikanische Kleindealer an der Ecke, aber weniger der Großdealer gejagt wird.

Vorweg: Ja, Hamburgs Polizei kann stolz auf die Erfolge des Jahres 2017 zurückblicken. So sank die Zahl der Einbrüche (2016 waren es 7510) im vergangenen Jahr um gut ein Viertel und die Aufklärungsquote von zuletzt 11,9 Prozent stieg weiter. Chapeau, Frau Klein! Denn der eifrigen Chefin der bundesweit angesehenen „Soko Castle“ und ihrem Team ist der Erfolg zu verdanken. Seit 2015 haben die 100 Beamten gezeigt, was die Kripo leisten kann. Aber um welchen Preis? Die erfahrenen Ermittler und Fahnder hatten bisher Autoknacker gejagt, Betrüger oder Milieu-Größen dingfest gemacht. Nun fehlen sie schon seit Jahren in ihren Dienststellen.

Betrug

Der Senat hat auf eine Anfrage des CDU-Innenexperten Dennis Gladiator eingeräumt, dass aktuell allein bei der Abteilung 5 (Wirtschaftsdelikte) des Landeskriminalamts 5170 Fälle „zeitweise zurückgestellt sind“. Dabei geht es meist um Warenkredit- oder Internetbetrug.

Organisierte Kriminalität

Bei der zuständigen LKA-Abteilung 6 werden aktuell 1100 Vorgänge nicht bearbeitet. Dabei handelt es sich laut Senat oft um Fälle von Geldwäsche. Schlimmer aber ist, dass in dieser Abteilung aktive Ermittlungen im Rotlicht-Bereich oder gegen kriminelle Rocker wie die Hells Angels aktuell so gut wie nicht stattfinden. Das erklärt Jan Reinecke vom Bund deutscher Kriminalbeamter (BDK). Und jede aktive Ermittlung, die nicht stattfindet, landet eben auch nicht in der Statistik. Senator Grote muss sich vorwerfen lassen, dass ihn die Anti-Mafia-Ermittlungen nicht interessieren. Es sei denn, es gibt nach Schießereien zwischen Rockerbanden negative Schlagzeilen.

Drogenkriminalität

Hier wurden 2017 Tausende Polizisten eingesetzt, um die schwarzen Kleindealer zu vertreiben. Eine Sisyphusaufgabe. Die Erfolge sind dürftig. Wird gegen einen verdächtigen Afrikaner tatsächlich mal ein Haftbefehl erwirkt, rücken sofort drei neue nach. Gleichzeitig werden die „großen Bosse“ des Drogenhandels in Hamburg zu wenig verfolgt. Grote bestreitet das, doch Ermittler haben der MOPO genau das bestätigt.

Cyberkriminalität

Auch wenn die Opfer aus Hamburg kommen oder es Spuren der Täter nach Hamburg gibt, landen die Fälle oft nicht in der Statistik. Man versucht, die Fälle beispielsweise in Bundesländer zu verschieben, wo ein betroffenes Unternehmen seinen Sitz hat. Aktive Ermittlungen im Internet gibt es so gut wie nicht. Das wird auch nicht gern gesehen. Jeder „aufgefischte“ Fall belastet ja die Kriminalitätszahlen. Überhaupt scheint es, als ob die Kripo noch nicht richtig im Internetzeitalter angekommen ist.

Alltagskriminalität

Diese wird in der LKA-Abteilung 1 bearbeitet. Es geht hier um Delikte wie Bedrohung, Beziehungsgewalt oder Diebstahl. Die eigentlich 700-köpfige Abteilung wurde geschwächt, viele Ermittler zum Staatsschutz versetzt. Aktuell liegen hier 1600 Fallakten „auf der Fensterbank“.

Eigentlich ist das Rezept für erfolgreiche Kriminalitätsbekämpfung einfach: motivierte Leute, eine gute Führung und gute Ausstattung. Doch der Innensenator muss sich vorwerfen lassen, dass es mindestens an Letzterem extrem hapert. Viele Beamte nutzen ihre privaten Internetzugänge, weil es an der Dienststelle zu wenig gibt. Wie nicht nur die aktuellen Terrorfälle zeigen, gib es bundesweit beim Austausch zwischen den Länderpolizeien erhebliche Defizite. Und ja, es fehlt auch an Personal. Wenn es mit der „Soko Schwarzer Block“ neben der „Soko Castle“ eine zweite große Sonderermittlungseinheit gibt, gerät die Kripo an die Grenze ihrer Leistungsfähigkeit. „Wir sind am Ende“, sagt Kripo-Gewerkschafter Reinecke. Für Innensenator Grote ist das „verantwortungslose Stimmungsmache“. Und wie soll man das nennen, was der SPD-Innenpolitiker macht? Schönfärberei. 

Link zum Standpunkt:

https://www.mopo.de/hamburg/politik/straftaten-in-hamburg-der-senat-redet-sich-die-kriminalitaet-schoen--29588488-seite6

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