TKÜ-RDZ Nord: Ein Millionengrab für die Polizei Hamburg?

21.06.2016

Nicht erst seit dem Bau der Elbphilharmonie oder den vollkommen unzureichenden Dienstleistungen des IT-Verbunddienstleisters DATAPORT sind Hamburger Kriminalisten, Beamte wie Tarif-beschäftigte, misstrauisch gegenüber millionenschweren Bauvorhaben oder Verbundprojekten der öffentlichen Hand. Insbesondere wenn diese das Arbeitsergebnis der Kriminalpolizei ernsthaft gefährden oder nachhaltig schädigen.
TKÜ-RDZ Nord: Ein Millionengrab für die Polizei Hamburg?

Der Senat der Freien und Hansestadt Hamburg plant seit geraumer Zeit die bisher von der Hamburger Polizei in eigener Zuständigkeit geleistete Telekommunikationsüberwachung ab dem Jahr 2019, ggf. 2020 im Verbund mit den norddeutschen Küstenländer Bremen, Schleswig-Holstein, Mecklenburg-Vorpommern und Niedersachsen von einem noch zu errichtenden Rechen- und Dienstleistungszentrums (TKÜ-RDZ Nord), mit Standort in Hannover, betreiben zu lassen.
Allerdings sind die Investitions-, Betriebs- und Personalkosten des TKÜ-RDZ Nord nach Meinung des Bund Deutscher Kriminalbeamten, Landesverband Hamburg, (BDK LV Hamburg) zum jetzigen Zeitpunkt überhaupt nicht kalkulierbar und zudem hat der Verband ernstzu-nehmende Zweifel an den in Niedersachsen bisher geplanten Datenschutz- und IT-Sicherheitsstandards.

Aufgrund der bestehenden Zweifel fordert der BDK LV Hamburg mit dieser Stellungnahme die Mitglieder der Hamburger Bürgerschaft indirekt auf, die nachstehenden Feststellungen bei Ihrer Abstimmung über das Gesetz über die Errichtung des Rechen- und Dienstleistungszentrums Telekom­munikationsüberwachung der Polizeien im Verbund der norddeutschen Küstenländer der Freien und Hansestadt Hamburg mit den Ländern Bremen, Mecklenburg-Vorpommern, Niedersachsen und Schleswig-Holstein zu berücksichtigen.

 

 Hintergrundinformationen zum geplanten TKÜ-RDZ Nord

Von den geplanten fünf RDZ-Verbundländern betreiben bisher vier Bundesländer (Hamburg, Schleswig-Holstein, Mecklenburg-Vorpommern und Niedersachsen) eigene Rechenzentren zur TKÜ-Überwachung. Das Bundesland Bremen hat auf Grund der Größe keine eigene TKÜ-Anlage und nimmt bei dort geführten TKÜ-Verfahren bereits schon heute das LKA Niedersachsens als Dienstleister in Anspruch. Bislang hat kein anderes Bundesland seine Eigenständigkeit in dieser modernen Form der Kriminalitätsbekämpfung aufgegeben. Ein Versuch auf Bundesebene eine „Bundesabhörzentrale“ zu schaffen ist bereits vor vielen Jahren als nicht umsetzbar aufgegeben worden. Seitdem haben sich lediglich mehrere erfolgreich arbeitende Kooperationen mehrerer Bundesländer – ohne faktische Aufgabe der Eigenständigkeit – gebildet. Tatsächlich gibt es in der Bundesrepublik Deutschland nur wenige Unternehmen, welche fähig und auch gewillt sind, eine Anlage, wie sie für das TKÜ-RDZ Nord geplant ist, anzubieten und zu errichten. Eine europaweite Ausschreibung der geplanten Anlage dürfte nach Ansicht des BDK, Landesverband Hamburg, aufgrund datenschutzrechtlicher Gründe allerdings nicht in Frage kommen. Bleibt eigentlich nur eine Ausschreibung begrenzt auf die Bundesrepublik Deutschland, was die Anzahl der Anbieter erheblich einschränkt. Die aktuell im Wirkbetrieb laufenden TKÜ-Rechenzentren der Bundesländer Hamburg, Schleswig-Holstein, Mecklenburg-Vorpommern und Niedersachsen sind entweder von der Firma „DigTask“ (HH, S.-H.) oder der Firma „Syborg“ (M.V.,NI/HB) errichtet worden. Die Erstinvestitionskosten sowie die Betriebskosten des im Wesentlichen durch Niedersachsen geplanten Verbund-RDZ sind ausschließlich von der Firma Syborg geschätzt worden. Kostenschätzungen anderer Hersteller sind von der Projektgruppe des TKÜ-RDZ Nord nicht eingeholt worden, obwohl dies den gebräuchlichen Vorgaben im Beschaffungswesen entsprochen hätte.Die Kostenschätzung eines Anbieters auch den übrigen Mitbewerbern zu unterstellen und diese dann als planerische Größe zu verwenden, so wie im vorliegenden Fall geschehen, ist beschaffungsrechtlich inakzeptabel, jedoch zieht sich diese Vorgehensweise wie ein roter Faden durch das Projekt RDZ. Tatsächlich ist eine TKÜ-Anlage, wie das geplante TKÜ-RDZ Nord in dieser Dimension in der Bundesrepublik Deutschland niemals zuvor gebaut worden. Bei derartige Anlagen handelt es sich um komplexe und individuelle Einzelanfertigungen, die der ständigen Betreuung und innovativen Erneuerungen bedürfen. Sie verursachen nach immensen, aktuell nicht vorhersehbaren Anschaffungskosten im Wirkbetrieb auch erhebliche Betriebs- und Personalkosten. Zumal für den reibungslosen Wirkbetrieb eine Referenzanlage beschafft werden müsste, um eine technisch notwendige Testumgebung zu erhalten. Nach Kenntnis des BDK, LV Hamburg, sind die Kosten der eigentlich zwingend notwendigen Referenzanlage entfallen, um in dem angepeilten Preisrahmen zu bleiben. Derzeitig sind für den Wirkbetrieb der in Hamburg laufenden TKÜ-Anlage sechzehn Mitarbeiter vorgesehen. Nach Kenntnis des BDK, sollen in Niedersachsen nur noch sieben Mitarbeiter den Bedarf für die Polizei Hamburg decken. Dazu noch drei weitere Mitarbeiter in der Zentralstelle in Hamburg. Fragt sich, ob Hamburg aktuell zu viele oder Niedersachsen in Zukunft zu wenig Personal für diese Dienstleitung unterhält bzw. eingeplant hat?

 

Niedersächsische Datenschützerin kritisiert RDZ Hannover

In Ihrem aktuellen Bericht stellte die Niedersächsische Datenschutz­beauftrage nicht nur erhebliche Defizite und diverse Mängel in Bezug auf das aktuell im Wirkbetrieb laufende Rechenzentrum des LKA Niedersachsen der Firma „Syborg“ fest, sondern äußerte auch Ihre Zweifel bezüglich des Vorhabens TKÜ RDZ Nord:

Was wird aus dem geplanten RDZ-TKÜ der Küstenländer?

Parallel zum Wirkbetrieb dieses bestehenden TKÜ-Verfahrens liefen die 2011 begonnenen Planungen für ein Kooperationsprojekt „Rechen- und Dienstleistungszentrum Telekommunikationsüberwachung der Polizei im Verbund der norddeutschen Küstenländer (RDZ-TKÜ)“ zunächst weiter. Zu dieser Planung der Länder Bremen, Hamburg, Mecklenburg-Vorpommern, Niedersachsen und Schleswig-Holstein und die beratende Begleitung meiner Behörde hatte ich ebenfalls im letzten Tätigkeitsbericht eine ausführliche Stellungnahme abgegeben.

Bis zum Mai 2013 wurde das Thema wiederholt auf Fachebene der Rechts- und Technikreferate der Datenschutzbeauftragten der beteiligten Bundesländer erörtert, insbesondere vor dem Hintergrund der Erfahrungen mit dem Wirkbetrieb des LKA Niedersachsen.

Zeitweise wurden die Gespräche gemeinsam mit der länderübergreifenden polizeilichen Projektgruppe geführt, die bereits 2011 unter Federführung des LKA Niedersachsen konstituiert worden war. Dabei lag ein besonderes Augenmerk auf den teils abweichenden Bewertungen der Polizei zu den von mir im Konsens mit den übrigen Landesdatenschutz­beauftragten (LfD) aufgestellten Anforderungen. Es besteht auch Einigkeit mit den vier anderen LfD darin, dass Erfahrungen mit dem Hersteller und Dienstleister der TKÜ-Software bezüglich nicht geleisteter oder leistbarer Anpassungen an datenschutzrechtliche Anforderungen auch erhebliche Auswirkungen auf künftige Ausschreibungen und Leistungsbeschreibungen haben müssen; dies umso mehr, als grundlegende Mängel oder Schwachstellen eine flächendeckende Wirkung auf Betroffene in fünf Bundesländern haben würden.

Insofern bieten die Optimierungsanforderungen gleichzeitig einen Ausblick auf die Anforderungen an das Kooperationsprojekt.

 

Vormaliger Hamburger Staatsrat hatte bereits im Jahr 2014 von der Realisierung des TKÜ-RDZ Nord Abstand genommen

Ernsthafte und nicht ausräumbare Zweifel an der Wirtschaftlichkeit des Projektes TKÜ-RDZ Nord hatten den vormaligen Hamburger Staatsrat für Inneres, Volker Schiek, noch im Februar 2014 zu der Entscheidung kommen lassen, für Hamburg von der weiteren Realisierung des Projektes TKÜ-RDZ Nord Abstand zu nehmen. So hatte Staatsrat Schiek bei der Prüfung der finanziellen Aspekte festgestellt, dass der Hamburger Anteil im Falle einer Realisierung des TKÜ-RDZ Nord an den schon damals erheblich angestiegenen Investivkosten nicht mehr durch den öffentlichen Haushalt gegeben und durch Konsolidierungsbemühungen geprägten Rahmenbedingungen in Einklang zu bringen war. Darüber hinaus war Staatsrat Schiek auf Grund der von dem Projekt TKÜ-RDZ Nord nach Hamburg übersandten Unterlagen zu der Überzeugung gelangt, dass die mit Projekten dieser Komplexität häufig einhergehenden Haushaltsrisiken durch nicht prognostizierte, erst in der Realisierungsphase erkennbare Kostensteigerungen nicht mit der notwendigen Wahrscheinlich­keit ausgeschlossen werden können. Dies galt insbesondere in Hinsicht auf die Validität der von der Firma „Syborg“ unternommenen Kostenschätzungen der für den Kauf und die Installation der Technik notwendigen Investivmittel als auch bezüglich der Einhaltbarkeit der geplanten zeitlichen Abläufe bis zur Aufnahme des Echtbetriebes im TKÜ-RDZ Nord und der Abschaltung der Hamburger TKÜ-Anlage. Gerade der zeitliche Aspekt barg nach Einschätzung von Staatsrat Schiek im Bereich der laufenden Kosten ein erhebliches Haushaltsrisiko durch unvorhergesehenen, aufgrund von Verzögerungen bei der Lieferung und Installation der neuen Anlage notwendig werdenden Parallelbetrieb des TKÜ-RDZ Nord und der Hamburger Anlage.

 

Neuer Senator, neuer Staatsrat, Entscheidung bzgl. TKÜ-RDZ Nord revidiert!

Ungefähr zwei Jahre nach der wegweisenden Entscheidung des vormaligen Staatsarates Volker Schiek hat der neue Präses der Behörde für Inneres und Sport, Andy Grote, mit Unterschrift vom 6. April 2016 den Staatsvertrag über die Einrichtung und den Betrieb eines Rechen- und Dienstleistungszentrums (RDZ) zur Telekommunikationsüberwachung der Polizeien im Verbund der norddeutschen Küstenländer zugestimmt und revidiert damit die Entscheidung des mittlerweile pensionierten Staatsrates Volker Schiek. Doch was haben Innensenator Andy Grote und den neuen Staatsrat und ehemaligen Polizeibeamten Bernd Krösser dazu bewogen, von der damaligen Meinung der Leitung der Innenbehörde abzuweichen? So ist mittlerweile die Rede davon, dass die dem damaligen Staatsrat Volker Schiek seitens der Polizei mitgeteilten Zahlen bzgl. Erstinvestitions, -Betriebs und Personalkosten des RDZ nicht richtig gewesen seien. Was für ein Skandal, wenn dies der Wahrheit entspräche? Demnach müssten die Leitung des LKA, die Hamburger Projektbeteiligten sowie Vertreter der Abteilung Verwaltung und Technik (VT) gegenüber der Behördenleitung die Unwahrheit gesagt haben. Kaum zu glauben! Der nunmehr zwischen den Verbundländern geschlossene Staatsvertrag sieht jedenfalls vor, dass die Erstinvestitionskosten für Hamburg 18,3 Millionen EUR nicht überschreiten dürfen. Und dabei wurde immer wieder ein nicht unerheblicher Fakt ausgeklammert: Wie hoch sind die zusätzlichen erheblichen Leitungskosten von Hannover nach Hamburg, wieviel kostet die neue anzuschaffende Technik für die Schnittstelle an die Hamburger IT-Infrastruktur und wieviel Personal muss in Hamburg weiterhin eingesetzt werden. Die Frage ist nur, was passiert, wenn die Kosten diese Ausstiegsmarken übertreffen? Steigt das Bundesland Hamburg dann auch dem TKÜ-Verbund der Nordländer aus und schafft sich für mehrere Millionen Euro eine neue TKÜ-Anlage von der hohen Qualität an, wie die jetzige, aus dem Jahr 2013 stammende und vom LKA betriebene TKÜ-Anlage? Oder wird die Hamburger Polizei u.a. bei der Bekämpfung von Organisierter Kriminalität und internationalem Terrorismus auf die Durchführung von Telekommunikationsüberwachungen verzichten?

 

Bestimmt nicht!!!

 

Da das Projekt TKÜ-RDZ Nord entgegen den aufgezeigten Unstimmigkeiten und dem Ausstiegsentschluss der damaligen Leitung der Behörde für Inneres und Sport aus unerfindlichen Gründen durchgesetzt werden soll, bleibt dem BDK, Landesverband Hamburg, zum Wohle der Polizei Hamburg nur noch übrig, folgende Forderungen aufzustellen:

 

  • Die zu erwartenden Mehrkosten für die Anschaffung, den Betrieb und den Personalkörper des RDZ-TKÜ Nord dürfen nicht zu Lasten des Haushaltes der Hamburger Polizei beglichen werden!

 

  • Gesetzlich vorgeschriebene Datenschutz- und IT-Sicherheitsstandards müssen beim TKÜ-RDZ Nord eingehalten werden und das von Beginn an! Die notwendigen Datenschutz- und IT-Sicherheitskonzepte (Rahmenbedingungen) müssen vor der Beschaffung fertig sein!

 

  • Die von Hamburg in Anspruch genommenen Dienstleistungen des TKÜ-RDZ Nord müssen den hohen Qualitätsstandards des Hamburger LKA 25 entsprechen! Ferner müssen die Bedarfe der Hamburger Polizei stets erfüllt werden!

 

  • Es darf keine Priorisierungen und damit ggf. Bevorzugungen unter den Verbundländern geben!

 

  • Die Hamburger LKA Leitung muss sich positionieren und eine Perspektive für das Personal des LKA 252 schaffen!

 

  • Die Finanzmittel des Hamburger LKA 25 dürfen bis zum Wirkbetrieb des TKÜ-RDZ Nord und der endgültigen Anbindung der Kollegen in Hamburg nicht gekürzt werden (OSZE/G20)!

 

  • Für den Fall, dass das Projekt nicht termin- oder kostengerecht fertig wird, muss es eine „Fallback Option“ geben!

 

Im Falle einer politischen Entscheidung für das TKÜ-RDZ Nord wird der BDK, Landesverband Hamburg, die Entwicklung der Investitions-, Betriebs- und Personalkosten sehr genau im Auge halten und im Falle einer erheblichen Kostensteigerung die Verantwortlichen benennen können! Der Rechnungshof der Freien- und Hansestadt Hamburg sollte sich für den Fall TKÜ-RDZ Nord jedenfalls schon einmal einen Platzhalter in seinem Bericht für 2020 einrichten.


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