Wer bestellt, muss auch liefern – klares Bekenntnis zur Bekämpfung von Hasskriminalität

02.03.2022

der kriminalist, Editorial 3/2022
Jon Tyson on Unsplash

Seit dem ersten Februar gilt sie nun, die Meldepflicht für „große“ Anbieter sozialer Netzwerke bei der Feststellung strafbarer Inhalte. Mit der vollständigen Umsetzung des reformierten Netzwerkdurchsetzungsgesetzes wurde die letzte Änderung des im März 2021 durch den Bundestag beschlossenen Gesetzes zur Bekämpfung des Rechtsextremismus und der Hasskriminalität wirksam.

Waren strafbare Inhalte in der alten Fassung des NetzDG nur zu löschen, müssen sie nun, inklusive der zuletzt genutzten Log-In-IP-Adresse und Portnummer, durch die verpflichteten Anbieter an die beim BKA eingerichtete Zentrale Meldestelle für strafbare Inhalte im Internet (ZMI) übermittelt werden. Seitens des BKA erfolgen dann, neben einer Prüfung der Strafbarkeit des übermittelten Inhaltes, automatisierte Verfahren, die eine Identifizierung der Urheber strafrechtlich relevanter Postings zum Ziel haben. Nach einer erfolgreichen Zuordnung werden die entstandenen Vorgänge zur weiteren Bearbeitung an die jeweils zuständigen Strafverfolgungsbehörden der Länder weitergeleitet.

Die recht nüchterne Darstellung der zugrundeliegenden Prozesse bei der Bearbeitung eingehender Meldungen durch das BKA sollte nicht vergessen lassen, welche Bedeutung die Verfolgung und im besten Fall Prävention von Hass- bzw. Vorurteilskriminalität für eine pluralistische Gesellschaft haben.

Was eine persönliche Betroffenheit im Zusammenhang mit Hasskommentaren auslösen kann, habe ich zuletzt sehr deutlich nach den schrecklichen Ereignissen in Rheinland-Pfalz, bei denen #zwei von uns im Rahmen der Ausübung ihres Dienstes ermordet wurden, festgestellt. Nicht nur, dass die eigentliche Tat uns alle sprachlos und traurig machte. Die im Nachgang bekannt gewordenen Beifallsbekundungen und hämischen Kommentare bis hin zum Aufruf „Polizisten gegen Gebühr in einen Wald zu locken, so dass Interessierte diese dann erschießen könnten“, ließen uns alle noch fassungsloser zurück. Sie sind Beleg dafür, dass die seit Jahren zunehmende Hasskriminalität sich nicht mehr auf Mord- und Gewaltdrohungen gegenüber Politiker:innen und Personen des öffentlichen Lebens bezieht. Sie zeigt sich in ihrer menschenverachtenden Weise auch nach dem Mord an einer 24-jährigen Polizeikommissaranwärterin und einem 29-jährigen Polizeioberkommissar.

Bleibt die hinreichend belegte Feststellung, dass wiederkehrende Hasspostings und eine sich gegenseitig überbietende Darstellung gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit bis hin zum verbalen Ausleben vorhandener Gewaltphantasien in den einschlägigen „sozialen“ Netzwerken selten mit Gegenrede kommentiert werden. Sie können aus diesem Grund ursächlich für eine Radikalisierung einzelner Personen sein. Sie führen also nicht nur zu individuellen Schädigungen bei den Betroffenen. Sie tragen aufgrund der offen zur Schau getragenen antidemokratischen Gesinnung zu einer Destabilisierung unseres gemeinschaftlichen Zusammenlebens bei. Daher muss eine wehrhafte Demokratie ein großes Interesse daran haben, konsequent jeder Form von Hass- bzw. Vorurteilskriminalität entgegenzutreten.

Zur Wahrheit gehört allerdings auch, dass die zum 01.02.22 wirksame Umsetzung der Meldeverpflichtung für soziale Netzwerk einen erheblichen Anstieg zu bearbeitender Ermittlungsverfahren erwarten lässt. Der Deutsche Richterbund geht nach einer Schätzung von 150.000 zusätzlichen Verfahren pro Jahr in Deutschland aus und forderte für deren Bearbeitung kürzlich 400 zusätzliche Stellen bei den Gerichten und Staatsanwaltschaften.

Auch in den Polizeibehörden der Länder wird man die anstehende Mehrbelastung deutlich zu spüren bekommen, da das Bundeskriminalamt nach der oben beschriebenen „Eingangserfassung“ die strafrechtlich bewerteten und zugeordneten Meldungen zur weiteren Bearbeitung in die Länder abgeben wird. Die dort zuständigen Dienststellen werden nicht nur durch sofort einzuleitende polizeiliche Maßnahmen auf bestehende Gefahrenlagen zu reagieren haben. Sie werden darüber hinaus in zahlreichen Fällen richterliche Durchsuchungsbeschlüsse erwirken, deren Vollstreckung zur Sicherstellung umfangreicher (digitaler) Beweismittel führen wird, die wiederum in einem angemessenen Zeitraum ausgewertet und analysiert werden müssen.

Wie auch in anderen Kriminalitätsfeldern im digitalen Raum wird auch hier die erfolgreiche Bekämpfung der Hasskriminalität von der Technikexpertise unserer Kolleginnen und Kollegen und der Etablierung hierauf spezialisierter Auswerte- und Analysestellen abhängig sein. An der kriminalpolizeilichen Basis reift jedoch häufig die Erkenntnis, weder die notwendige Aus- und Fortbildung für diese Anforderungen zu erhalten, noch mit den richtigen Werkzeugen ausgestattet zu sein, um der Verlagerung großer Teile des Kriminalitätsgeschehens von der analogen in die virtuelle Welt zu begegnen.

Diese Verlagerung macht eine zunehmende Anpassung bestehender Arbeitsprozesse erforderlich und ist zugleich Ursache für den steigenden Bedarf an qualifiziertem Personal, bei dessen Rekrutierung die Einstellungsbehörden im „Kampf um die besten Köpfe“ leider immer häufiger das Nachsehen haben.

Der BDK begrüßt ausdrücklich die Initiativen des Gesetzgebers, um nicht mehr tatenlos zusehen zu müssen, wie sich in den letzten Jahren Hass und Hetze vorrangig in den sozialen Netzwerken verbreitet haben. Auch im digitalen Raum muss eine effektive Strafverfolgung möglich sein, die bestenfalls eine unmittelbare Reaktion der Strafverfolgungsbehörden bei den Täterinnen und Tätern zur Folge hat.

Hierzu bedarf es aber, neben einer zukunftsfähigen technischen Ausstattung, einer deutlichen Stärkung der Kriminalpolizei im Vollzugs- und Tarifbereich, die neben der Quantität auch die Qualität der Beschäftigten berücksichtigt. Ein Ausbleiben dieser Stärkung hätte auch ein Ausbleiben der dringend erforderlichen Reaktion auf Hass und Hetze zur Folge, was weder Intention des Gesetzgebers noch Auffassung der überwiegenden Mehrheit unserer demokratischen Gesellschaft sein dürfte.

Herzliche Grüße

Dirk Peglow
BDK-Bundesvorsitzender

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