Wirtschaftskriminalität in M-V unter dem Radar?!
06.09.2025

Wirtschaftsstrafverfahren brauchen einen langen Atem und unterscheiden sich in den Anforderungen an Ermittelnde, Schadenssumme und Strafmaß deutlich von anderen Deliktsbereichen. Die Verfahren sind häufig komplex. Hier ist in der Regel der Täter bekannt und man hat die Tatbestandsmerkmale einer Vermögensstraftat zu prüfen und mit Beweisen zu unterlegen. Dazu benötigt man neben Kenntnissen des Strafrechts insbesondere spezielle Kenntnisse der Betriebswirtschaftslehre, des Bilanzrechts sowie des Handels- und Gesellschaftsrechts und Wirtschaftserfahrungen. Klassische Polizistinnen und Polizisten müssten dieses Wissen über spezielle, landesübergreifende Lehrgänge und Erfahrungswissen langwierig und kostenintensiv aufbauen. Zudem hält sich das Interesse an der Bearbeitung von Wirtschaftsstraftaten aufgrund dieser hohen Anforderungen als auch aufgrund einer hohen Inkongruenz zum typischen Polizeiberuf in Grenzen. Deshalb hat unsere Landespolizei bereits vor mehr als zehn Jahren begonnen, qualifiziertes Fachpersonal als sogenannte Quereinsteigerinnen und Quereinsteiger mit einem Bachelor- oder Masterabschluss in einschlägigen Fachgebieten im LKA M-V und den KPIen nach §16 als ermittelnde Polizeivollzugskräfte einzustellen.
Aus heutiger Sicht beurteilen sowohl Entscheidungsträger, als auch Mitarbeitende im LKA und den KPIen sowie den Staatsanwaltschaften die Einstellung von § 16er für Wirtschaftsstrafsachen als Erfolg. Das führt sogar in einigen Dienststellen soweit, dass hier mehr Quereinsteigerinnen und Quereinsteiger nach §16er als Polizeivollzugskräfte mit klassischer Ausbildung arbeiten.
In einer aktuellen Umfrage haben wir diese §16er gefragt, welche positiven und negativen Erfahrungen sie in der Polizei M-V gesammelt haben.
- Positiv beurteilten sie das abwechslungsreiche neue Arbeitsfeld und aufgeschlossene und hilfsbereite Kolleginnen und Kollegen. Ein Mentoringsystem und die Begleitung erfahrener Mitarbeitende erleichtert den Quereinstieg und den Einstieg in eine hierarchische Behörde des öffentlichen Dienstes. Leider erfolgt dies nur uneinheitlich in den Dienststellen, auch bei der Durchführung von Praktika, z.B. im KDD.
- Alle schilderten, dass unmittelbar nach der Einstellung sofort eigene Fälle bearbeiten durften. Sie erhielten dafür eine polizeiliche Grundeinweisung von 9-12 Wochen inklusive der Befähigung zum Umgang mit Schusswaffen. Negativ ist, dass diese teilweise nicht zeitnah erfolgen konnte.
- Sehr schnell trübte sich dann allerdings das erste positive Bild der Einstellung in die Polizei als Quereinsteigerinnen und Quereinsteiger realisierten, dass sie als hochgelobte Expertinnen und Experten in Spezialgebieten gewonnen und eingesetzt werden, allerdings hier nur auf Dienstposten eines Sachbearbeiters Ermittlungen (A9/10) gesetzt sind und somit für einen bereits als POK eingestellten §16er auf diesem Dienstposten keine Beförderungsmöglichkeit besteht, während Mitarbeitende im IT-Bereich häufig bereits als Sachbearbeiter spezieller Ermittler (A10/11) eingesetzt werden. Die Unterscheidung in Sachbearbeiter Ermittler/Spezieller Ermittler in der Polizei ist einzigartig im Vergleich zu anderen Ermittlungsstellen und gerade hier am Arbeitsgegenstand nicht nachvollziehbar.
- §16er können nicht so einfach in das starre Korsett des Beamtentums und der Polizei gepresst werden. Das System wird als intransparent, ungerecht und wenig leistungsorientiert wahrgenommen. Entscheidungen wirken willkürlich und nicht immer realitätsnah. Das geltende Stellenbesetzungs- und Beförderungssystem der Polizei M-V verursacht strukturelle Benachteiligungen der Quereinsteigerinnen und Quereinsteiger und steht im Widerspruch zum Grundsatz von Eignung/Befähigung/Leistung nach Art. 33 Grundgesetz. Im ungünstigsten Fall bekommen die §16er erst nach sechs Jahren diese erste Regelbeurteilung, so dass man erst nach neun Jahren über eine Regel- und Vorbeurteilung verfügt. Bei Ausschreibungen von Dienstposten, als auch insbesondere bei einer Beförderungsauswahl, wird gemäß der aktuellen Regelungslage regelmäßig auf sogenannte "Standzeiten auf dem Dienstposten" zurückgegriffen. Quereinsteigerinnen und Quereinsteiger schneiden hier zudem durch weniger Verwendungsbreite und kurzer „Standzeit“ auf dem höherwertigen Dienstposten bei Beförderungsauswahlen schlechter als z.B. IT-ler oder langjährig eingesessene PVB ab. Hier wurde wahrgenommen, dass letztlich nicht Eignung und Befähigung den entscheidenden Ausschlag für die Besetzung von speziellen Dienstpostens oder eine Beförderung bildet.
- Gerade auch einzelne Führungskräfte haben in der Vergangenheit einerseits durch eingeschränkte Ausschreibungsverfahren versucht, den Wechsel von § 16er in andere Tätigkeitsbereiche zu verhindern und andererseits werden diese mangels (notwendiger) Verwendungsbreite von Führungsverantwortungen ausgeschlossen.
- Positiv bewertet wurden die flexiblen Arbeitszeiten und die Möglichkeit von Homeoffice Gebrauch zu machen sowie dem grundsätzlich sinnstiftenden und interessanten Arbeitsgegenstand. Es wurden zudem direkte Vorgesetzte wahrgenommen, die sich sowohl wertschätzend verhalten als auch Quereinsteigerinnen und Quereinsteiger in der Polizei fördern.
Schlussfolgerungen und Handlungsempfehlungen aus Sicht des BDK zur Steigerung der Mitarbeiterzufriedenheit:
Deutlicher Mehrwert
Seiteneinsteigerinnen und -einsteiger mit speziellem Fachwissen sind essentiell für eine effektive und effiziente Vorgangsbearbeitung im Bereich Wirtschaftskriminalität und Finanzermittlungen.
Einarbeitung und Weiterbildung verbessern
Für diese ist eine zeitnahe theoretische und praktische Unterweisung sowie ein Mentoring notwendig, um kriminalpolizeilichen Kompetenzen aufzubauen und die Integration in die Polizei zu fördern. Ressourcen für externe Fortbildungen sind zu planen.
Transparenz und Fairness bei Beförderungen und Stellenbesetzungen verbessern
Das Einstellungs-, Ausschreibungs- und Beurteilungsverfahren ist auf strukturelle Benachteiligungen von PVB nach § 16 PolLaufbVO MV zu prüfen. Die Verkürzung des Beurteilungszeitraums ist dazu ein erster Schritt.
Fachkarrieren fördern
Seiteneinsteigerinnen und -einsteiger sollten zielgerichtet und interdisziplinär in den Spezialgebieten eingesetzt und hier gehalten werden. Dazu sind aber Entwicklungsmöglichkeiten bis hin zu Führungsfunktionen notwendig und über geeignete Fachkarrieren im Bereich der Wirtschaftskriminalität abzubilden. Für PVB ist eine modulare Spezialfortbildung für eine Befähigung im Bereich der Wirtschaftskriminalität zu etablieren und als Voraussetzung für entsprechende Fachkarrieren und eine Gleichbehandlung von PVB nach §13/16 PolLaufbVO MV festzulegen.
Unterstützung durch Kriminalassistenz
Zusätzlich ist eine Gewinnung von spezialisierten und wirtschaftserfahrenen Fachkräften als Angestellte (Stichwort: „Kriminalassistenz“) in Betracht zu ziehen, die wertvolle Auswertungen in diesem Sachgebiet unterstützen. Einschränkungen des Bewerberkreises wie nach §16 PolLaufbVO MV aufgrund des Lebensalters und der Polizeivollzugsfähigkeit entfallen hier.
Als BDK setzen wir uns dafür ein, dass spezialisierte Arbeitsbereiche wie der Wirtschaftskriminalität in zentralere Organisationseinheiten mit sowohl fachlicher Expertise als auch kriminalpolizeilicher Kompetenz entwickelt werden.
Fazit
Die Polizei Schleswig-Holstein, Bayern und Baden-Württemberg verfügen bereits über gut geeignete Ansätze für die Einführung von Fachkarrieren im Bereich der Wirtschaftskriminalität. Man muss in M-V das Rad also nicht neu erfinden.
Die Mitarbeiterzufriedenheit und somit deren Motivation und Bindung in der Polizei kann durch einen stärkeren Fokus auf individuelle Entwicklungsmöglichkeiten und eine faire, transparente Personalpolitik gesteigert werden. Besonders wichtig ist, die unterschiedlichen Hintergründe und Kompetenzen im Team als Chance zu begreifen und strukturell zu fördern.
Weiterführende Links:
https://www.landesrecht-mv.de/bsmv/document/jlr-PolLbVMV2011V1P16