2.000 Beförderungen vorgezogen — Frauenförderung bei der Polizei

18.07.2016

Ein Kommentar des Landesvorsitzenden Sebastian Fiedler
2.000 Beförderungen vorgezogen — Frauenförderung bei der Polizei
Frauenförderungsgesetz

Große Freude und für ein Jahr alles gut? Viel Freud und nur wenig Leid? Des einen Freud, des anderen Leid? Nennen wir es am besten gesunde Skepsis oder noch besser verhaltene Freude. So ganz präzise sind die konkreten Auswirkungen einer der größten Beförderungswellen der letzten Jahrzehnte angesichts der neuen „Frauenförderung“ noch nicht klar.

Das Innenministerium gibt sich derzeit große Mühe, die Auswirkungen des neuen Gesetzes, vielfach in eigenen Reihen als „Männerdiskriminierungsgesetz“ gescholten, abzumildern. Mit der Verabschiedung und dem Inkrafttreten am 1. Juli 2016 scheint das Kind indes bereits in den Brunnen gefallen zu sein. 

Worum ging es? Diese Passage des rot-grünen Koalitionsvertrages sollte mit Leben gefüllt werden:

"Gleiche Rechte für Frauen

(…) Um die Stellung der Gleichstellungsbeauftragten zu festigen sowie der Unterrepräsentanz von Frauen in Führungspositionen und Gremien entgegenzuwirken, müssen auch neue rechtliche Wege beschritten werden. Dabei werden wir rechtliche Spielräume zur verbindlichen Festlegung von Zielquoten sowie zur Verankerung von Sanktionen prüfen. (…)"

Nach einem Gutachten von Prof. Dr. Papier, dem ehemaligen Präsidenten des Bundesverfassungsgerichts, bemühte sich die Landesregierung dessen Feststellungen und Wertungen in ein Gesetz zu gießen. Im Ergebnis entstand der § 19 Abs. 6 LBG NRW, bei dem insbesondere die in Fettdruck markierten Passagen durchschlagende Wirkung entfalten werden:

"Beförderungen sind nach den Grundsätzen des § 9 des Beamtenstatusgesetzes vorzunehmen. Frauen sind bei im Wesentlichen gleicher Eignung, Befähigung und fachlicher Leistung bevorzugt zu befördern, sofern nicht in der Person eines Mitbewerbers liegende Gründe überwiegen. Von einer im Wesentlichen gleichen Eignung, Befähigung und fachlichen Leistung im Sinne von Satz 2 ist in der Regel auszugehen, wenn die jeweils aktuelle dienstliche Beurteilung der Bewerberin und des Mitbewerbers ein gleichwertiges Gesamturteil aufweist. Satz 2 und 3 finden Anwendung, solange im Bereich der für die Beförderung zuständigen Behörde innerhalb einer Laufbahn der Frauenanteil in dem jeweiligen Beförderungsamt entweder den Frauenanteil im Einstiegsamt oder den Frauenanteil in einem der unter dem zu besetzenden Beförderungsamt liegenden Beförderungsämter unterschreitet und der Frauenanteil in dem jeweiligen Beförderungsamt 50 Prozent noch nicht erreicht hat. Ist mit der Beförderung die Vergabe eines Dienstpostens mit Vorgesetzten- oder Leitungsfunktion verbunden, gilt Satz 4 bezogen auf die angestrebte Funktion. Abweichend von Satz 4 ist maßgeblich der Geschäftsbereich der obersten Landesbehörde, die den Beförderungsvorschlag macht, wenn die Landesregierung die für die Beförderung zuständige Behörde ist. Weitere Abweichungen von dem gemäß Satz 4 maßgeblichen Bezugsbereich oder in Bezug auf die Vergleichsgruppenbildung regelt die oberste Dienstbehörde durch Rechtsverordnung."

Dies führt in jedem Fall zu einer völligen Neuordnung der bisherigen Beförderungsreihenfolgen. Bislang war es nämlich nach gefestigter Rechtsprechung der Verwaltungsgerichte (vgl. OVG Münster, Beschluss vom 23.03.2010 - 6 B 133/10 mit weiteren Nachweisen) so, dass bei dem bei Stellenbesetzungen notwendigen Qualifikationsvergleich nicht nur die Gesamturteile in den Blick zu nehmen waren, sondern unter Berücksichtigung von Einzelfeststellungen eine Ausschärfung vorzunehmen war. Ein Qualifikationsgleichstand war folglich die Ausnahme. Anstatt sich nun aber die Wurzel allen Übels, nämlich das Beurteilungssystem vorzunehmen, damit Stellenbesetzungen künftig neu zu organisieren und hier Frauenförderungsinstrumente zu implementieren, wurde mit dem neuen Gesetz das Kind mit dem Bade ausgeschüttet. 

Die Schadenbegrenzung des Innenministeriums geschieht derzeit auf zwei Ebenen: Mit einem Erlassentwurf soll die Wirkung des Gesetzes abgemildert werden und mit vorgezogenen fast 2.200 Beförderungen sollen die Gemüter besänftigt und die Gerichte weniger belastet werden. 

Im Einzelnen:

Mit einem Erlassentwurf, den die Behördenleitungen vorliegen haben und den die Personalräte derzeit beraten, soll den Behörden eine Art verbindlicher Leitfaden an die Hand gegeben werden, wie sie das Gesetz konkret auslegen sollen. Wie man es jedoch dreht und wendet: Die aktuell vorgezeichnete Beurteilungsreihenfolge wird in jedem Fall massiv durcheinandergeworfen. In mittelgroßen Präsidien rutschen männliche Kollegen der Besoldungsgruppen A 9 und A 10 auf den internen Beförderungsranglisten zum Teil etwa 50 Plätze (!) nach unten.

Sie werden damit in ihrer sich bis Ende Juni abzeichnenden Karriere um Jahre zurückgeworfen, viele weibliche Kolleginnen werden vorgezogen, weil sie plötzlich „im Wesentlichen gleich“ beurteilt und damit „in der Regel“ bevorzugt zu befördern sind. Die Spielregeln wurden im laufenden Spiel geändert. Viele Überlegungen, die bei Erst- und Endbeurteilern bei der Fertigung der Beurteilung vor zwei Jahren galten und die de facto eine mitentscheidende Rolle spielten, sind nun hinfällig. Der letzte Rest der ohnehin kaum vorhandenen Personalentwicklungspolitik wird mit dem Wassereimer vom Gehsteig gespült.

Das ist in etwa so, als wenn mitten in der zweiten Halbzeit eines Fußballspiels von der FIFA die Regel Nummer 11, die sog. Abseitsregel, geändert wird, weil die Funktionäre sich in Züricher Hinterzimmern vermeintlich kluge Gedanken gemacht haben.  Spieler, Trainer, Schiedsrichter und Zuschauer wundern sich und verstehen nicht, wie man so etwas tun kann. Das Spiel selbst gerät selbstverständlich ins Stocken. Tore fallen keine mehr. 

Die Wertung der Funktionäre einer anderen Gewerkschaft der Polizei, der Konflikt sei „mit der Ausweitung der Beförderungsmöglichkeiten gelöst“, wird sich in vielen Fällen als Trugschluss herausstellen. 

Da bei Stellenbesetzungen noch immer die „Herrschaft der Personalakte“ gilt und Auswahlverfahren die absolute Ausnahme geworden sind, führt das neue Gesetz unmittelbar zu einer Neuordnung der Beförderungsreihenfolgen. Da alle Besoldungsgruppen betroffen sind, gilt das auch bei landesweiten Stellenbesetzungen, die mit einer Beförderung verbunden sind. Auch hier sind die Karten neu gemischt worden. Auf persönliche Erwerbsbiografien wird das einen erheblichen Einfluss haben. 

 

Die bloße Entscheidung nach Aktenlage hat aber weitere negative Begleiterscheinungen: Wer redet eigentlich noch über eine einschlägige berufliche Vita? Welche Rolle spielt die konkrete Qualifikation des Bewerbers? Wer ist prognostisch der beste Kandidat oder die beste Kandidatin? 

Um es unmissverständlich zu sagen:

Eine Organisation, die Personalentwicklung betreibt, ohne sich für diese Fragen zu interessieren und Experten- und Führungsfunktionen nur noch anhand einer absurden Aktenlage besetzt, ist zum Scheitern verurteilt.

Auch viele Kolleginnen sind aus mehreren Gründen nicht erfreut über die gesetzliche Neuregelung. Viele akzeptieren nicht, dass sie künftig nicht mehr nur aufgrund ihrer Leistung, sondern aufgrund einer nichterfüllten Quote früher befördert werden, als dies bis Ende Juni zu erwarten war. Zudem sind viele besorgt, bei der kommenden Beurteilungsrunde so benachteiligt zu werden, dass die Absichten des Gesetzes unterlaufen werden. 

Andererseits darf nicht in Abrede gestellt werden, dass die große Anzahl an vorgezogenen Beförderungen selbstverständlich zunächst einmal ohne Wenn und Aber ein Grund zur Freude ist - vor allem für all die Kollegen*innen, die davon profitieren. Immerhin lässt sich die Landesregierung diese Freude auch einen ordentlichen Batzen Geld kosten. 

Bei all der Euphorie muss es jedoch erlaubt sein, nüchtern auf die Realitäten zu schauen, ob und inwieweit es hier in den Behörden durch die neue Gesetzeslage konkret zu ungerechten und/oder (verfassungs-)rechtswidrigen Beförderungsentscheidungen kommen soll. Der Gleichheitsgrundsatz ist im Wege der Abwägung der Verfassungsgüter - sog. praktische Konkordanz - hinten rüber gefallen und es wird nun in zahlreichen konkreten Situationen spürbar werden, was das im Einzelfall bedeutet. 

Die vorgezogenen Beförderungen werde sich als größtes Frauenförderungsprogramm in der Geschichte der Polizei NRW herausstellen. Das meine ich ganz nüchtern und objektiv. Zeitgleich werden bei den männlichen Kollegen viele enttäuschte Gesichter zu sehen sein. Das gehört zur Ehrlichkeit dazu. Gehört habe ich das nun häufiger, gelesen noch nicht.

Letztlich kann eines festgestellt werden: Die Grünen haben mit diesem Gesetz und dem Beharren auf das Inkrafttreten in diesem Sommer der Polizei und vor allem den Frauen selbst einen Bärendienst erwiesen. Die Gleichstellungsbeauftragten und die Gleichstellungspolitik hatte es in den Anfängen nicht immer leicht. Sie hatten sich jedoch zwischenzeitlich Akzeptanz, Ansehen und einen guten Stand erarbeitet. All dies droht nun zu kippen. Das Gesetz ist in der Lage einen Spaltpilz in die Polizei und viele andere Bereich der Landesverwaltung zu treiben. Die Ursache liegt darin, dass es leider noch immer zu viele Politiker gibt, die bei komplexen Probleme nach den einfachen Lösungen streben - ein Widerspruch in sich - und diese dann auch noch mit der Brechstange durchsetzen wollen. Monokausale Zusammenhänge sind im Leben jedoch in Wahrheit selten. Dennoch werden diese gesucht und angeblich gefunden. Dem Gesetzgeber ist vorzuwerfen, dass er sich nicht die Mühe gemacht hat, nach den Ursachen zu forschen, 

  • warum wie viele Frauen in welchen Prozentsätzen in welcher Besoldungsgruppe vorhanden sind,
  • wie viel Zeit sie jeweils (auch im Vergleich zu Männern gleichen Dienstalters) benötigt haben, um die Besoldungsgruppe zu erreichen,
  • wie die historische Entwicklung verlaufen ist,
  • welche Unterschiede es in den unterschiedlichen Verwaltungsbereichen gibt,
  • welche „best praktice“ es in anderen Verwaltungen gibt,
  • welche alternativen Frauenförderungsmöglichkeiten (jenseits der gesetzlichen Regelung) es gegeben hätte und wie sich dies auf die Familienförderung auswirkt,
  • welche Benachteiligungen Männer erleiden, die Elternzeiten nutzen oder aus Gründen der Vereinbarkeit von Familie und Beruf nur in Teilzeit arbeiten.

Wenn die These des BDK NRW stimmt, dass ein Hauptgrund für berufliche Benachteiligung in der Beurteilung auch in der Anwesenheit liegt und Teil- und Elternzeitkräfte aus Abwesenheitsgründen schlechter beurteilt werden, dann trifft die „Frauenförderung“ die zunehmende Anzahl männlicher Kollegen, die die familienfördernden Möglichkeiten ausschöpfen, gleich doppelt.

In Wahrheit stand der vermeintliche politische Landgewinn weiteres Mal im Vordergrund. Innenminister und Ministerpräsidentin mussten als interessierte Zaungäste erleben, wie der Grüne Koalitionspartner gegen jeden besonnenen Rat ein Gesetz durchdrückte, das nun rapiden Flurschaden anrichtet. Warten wir ab, wie geeignet die Beförderungswelle ist, die Gemüter für längere Zeit zu besänftigen. Skepsis ist angebracht; allerdings auch große Freude, sofern ich mich irre!

Der BDK NRW wendet sich daher weiter mit allen rechtlichen und politischen Mitteln gegen dieses Gesetz!

Darüber hinaus wiederholen wir unsere Forderung (Leitantragsbeschluss des Landesvorstandes vom 18. Mai 2016). Sie ist heute wichtiger denn je:

Der Landesvorstand des Bund Deutscher Kriminalbeamter NRW fordert den Innenminister auf, zeitnah ein Personalentwicklungskonzept für den gehobenen Polizeivollzugsdienst vorzulegen. Hierbei ist die Abschaffung des Regelbeurteilungssystems zu prüfen. Bei den künftigen Besetzungen von Funktionsstellen ist insbesondere Wert zu legen auf fachliche Kompetenz, die berufliche Vita, die fachliche Eignung und Befähigung für die zu besetzende Stelle. Bei der Einführung eines neuen Personalentwicklungskonzeptes ist auf adäquate Übergangsregelungen zu achten.