Auf Augenhöhe

08.03.2021

Chancengleichheit bei der Besetzung von Führungsfunktionen und wissenschafliche Erhebungen zu diesem Thema
Auf Augenhöhe

Es ist Samstagnachmittag und Kerstin sitzt am Küchentisch bei einem Kaffee. Ihr Mann und ihr 13-jähriger Sohn sind mit dem Hund draußen unterwegs. Im Radio kündigt die Moderatorin das Lied "Auf Augenhöhe" an: „Antje Schomaker hat hier zum Thema Gleichberechtigung mit 124 weiteren Künstlerinnen ein Statement gesetzt.“ Kerstin ist neugierig und hört genau zu. Als Antje Schomaker "ich bin nie so weit gekommen, wie ich mal geglaubt habe" singt, wird Kerstin bewusst, dass es ihr genauso geht.
Sie hat bei der Polizei ihre Ausbildung zum gehobenen Dienst mit guten bis hervorragenden Noten absolviert. Nach kurzer Zeit konnte sie zur Kripo wechseln. Das war schon immer ihr Traum gewesen: Ermitteln in komplexeren Strafverfahren und irgendwann eine Führungsposition einnehmen. Die Karriere ging auch weiter, sie wurde Kriminaloberkommissarin und alles lief wunderbar. Kerstin wird nachdenklich: Warum ist sie immer noch KOKin und arbeitet seit Jahren auf der gleichen Stelle?
Sie muss nicht lange überlegen, wann ihr beruflicher Werdegang einen "Knick" bekam: Sie wurde Mutter. Sie wollte ganz bewusst Familie und Beruf. Das war aber nur in Teilzeit vereinbar und aus der kompetenten und geschätzten Kollegin wurde die „Teilzeit-Kollegin“.
Wenn sie seither Beurteilungen bekommt oder sich um eine Stelle mit mehr Führungsverantwortung bewirbt, sind andere Kollegen vor ihr an der Reihe.

Zugegeben: Kerstin ist erfunden, jedoch gibt es solche Erfahrungen in dieser oder ähnlicher Form in der Realität viel zu häufig und nicht nur bei der Kriminalpolizei. Die sogenannte „Gläserne Decke“ ist für Frauen ein großes Hemmnis auf dem Weg zu einer Führungsposition, auch ohne Teilzeitarbeit. Im Gesellschaftsreport Baden-Württemberg (Ausgabe 3 - 2020) „Frauen in Führungspositionen – Chancen und Hemmnisse auf dem Weg durch die gläserne Decke“ werden Faktoren auf dem Weg durch die „Gläserne Decke“ bundesweit beleuchtet. Hierzu wurden folgende Faktoren für alle Bundesländer ausgewertet:
Frauenanteil in Führungsfunktionen, Nutzung der Betreuungsplätze für Kinder unter drei Jahren, Traditionalisierungsgrad, Anteil der Mandatsträgerinnen im Landesparlament.
Das Ergebnis ist wenig überraschend: In den neuen Bundesländern steht es besser um die Gleichberechtigung und zu den Schlusslichtern auf der Liste gehören Nordrhein-Westfalen und Baden-Württemberg. Diese gesamtgesellschaftliche Betrachtung ist zwar nicht direkt auf die Kriminalpolizei übertragbar, aber Frauen in Führungsfunktion sucht man hier häufig vergebens. Damit wird deutlich, dass die Unterbesetzung von Frauen in Führungsfunktionen bei der Kriminalpolizei ein Problem der Gleichberechtigung und Chancengleichheit ist.

Um der Chancengleichheit von Frauen und Männern einen Schritt näher zu kommen, bedarf es eines Umdenkens in mehreren Bereichen der kriminalpolizeilichen und in der Führung allgemein. Eine Neudefinition von Führung ist auch laut Gesellschaftsreport dringend nötig. „Ein Führungsverständnis, das überlange Arbeitszeiten, ständige Präsenz und Erreichbarkeit voraussetzt, Erwerbsunterbrechungen im Lebenslauf sanktioniert und die Aufnahme in entscheidende Netzwerke erschwert, schafft Frauen kaum Zutritt zu höheren Führungsebenen.“
Eine verbindliche Quotenregelung, die auf Ebene der Aufsichtsräte ihre Wirksamkeit bereits bestätigt hat, wäre ein weiterer Schritt.
Der BDK hat mit seinem Positionspapier „Frauenquote“ vom 16.03.2020 darüber hinaus bereits wie folgt Stellung bezogen:

Die Wahrnehmung von Leitungsaufgaben durch Teilzeitbeschäftigte sollte durch die Führungskräfte unterstützt werden. Dazu müssen Frauen zum Zwecke ihrer Förderung gezielt angesprochen werden. Die Förderung sollte im Rahmen von Mentorenprogrammen erfolgen und es können spezielle Workshops angeboten werden.

  • In den Führungsebenen der Kriminalpolizei muss zudem ein Bewusstsein geschaffen werden für die Mehrbelastung von Frauen (und zunehmend auch Männern), die Aufgaben in der Kindererziehung und der Pflege von Angehörigen wahrnehmen.

  • Zu Verbesserung der Chancengleichheit von Frauen beitragen würde auch eine Anpassung der Rahmenbedingungen für die Arbeitszeit. Dienst in Gleitzeit und hier die Möglichkeit der Abänderung von Präsenzzeiten, um flexible Dienstzeiten zu ermöglichen, gehören ebenso dazu wie die Möglichkeit von Telearbeit bzw. Homeoffice.

  • Die Beurteilungspraxis muss sich ändern. Die Beurteiler sollten in Hinsicht auf verbreitete kulturelle Stereotypen, die sicherlich weder vorsätzlich noch bewusst erfolgen, geschult und sensibilisiert werden.

  • Eine Frauenquote nach dem Kaskadenmodell sollte eingeführt werden. Nicht nur für die Zielgrößenfestlegung beim Laufbahnwechsel, sondern auch bei Beförderungen wäre das eine Maßnahme zur Verbesserung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern in der Polizei.

Voraussetzung für die Verbesserung der Chancengleichheit ist allerdings ein weiterer gesellschaftlicher Wandel im Rahmen der Familienpolitik und nicht nur dort. In einer Pressemeldung am 12.01.2021 wurde der Gleichstellungsindex 2020 vorgestellt. Bundesfrauenministerin Franziska Giffey äußerte sich hierzu ganz klar: „Nicht nur die Wirtschaft, auch der Bund ist aufgefordert, mehr für die gleichberechtigte Teilhabe von Frauen in Führungspositionen zu tun. Die Bundesbehörden müssen sogar eine Vorbildrolle einnehmen. Im Entwurf des Zweiten Führungspositionengesetzes verankern wir deshalb das Ziel, bis Ende 2025 die gleichberechtigte Teilhabe von Frauen und Männern im öffentlichen Dienst des Bundes zu erreichen, also 50:50. Der aktuelle Gleichstellungsindex und seine Entwicklung zeigen, was zu tun ist, nämlich die Dynamik beim Aufholprozess deutlich zu erhöhen.“

Und was macht Kerstin nun?
Sie könnte sich erst einmal Gedanken machen, was tatsächlich ihre Ziele sind.
Wenn sie bei der Kripo vorankommen möchte, sollte sie sich überlegen, was sie beruflich voranbringt und wer ihr dabei helfen kann. Üblicherweise ihr Vorgesetzter, natürlich kann das auch eine Frau sein.
Sich seine Ziele und den Weg dahin bewusst zu machen, ist ein Anfang. Es behauptet niemand, dass der Weg am Ende leicht sein würde. Aber nur, wenn Frauen wie Kerstin selbst aktiv werden, haben sie die Chance, vorwärts zu kommen. Die Hoffnung vieler Frauen, dass der Chef ihre gute Arbeit schon sehen werde, hat sich bisher selten erfüllt. Aber auch daran kann sich etwas ändern, wie Antje Schomaker zum Ende singt:

„du kannst mich sehen
wenn Du mich sehen willst
weil ich neben Dir stehe
auf Augenhöhe“

Ich wünsche Kerstin und allen Frauen auf ihrem Weg zu mehr Gleichberechtigung viel Erfolg!


Petra Wiesel
Frauen- und Familienpolitische Sprecherin des BDK

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