Der 30-jährige Kampf für eine Expertinnen- und Expertenkripo – mehr als eine Bestandsaufnahme

31.10.2023

Der Kriminalist, Editorial 11/2023
Kriminalpolizei

„Innenpolitik vergrößert Vorsprung der Kriminellen Plädoyer für eine kriminalpolizeiliche Elite“. So der Titel eines Beitrages, den der BDK-Bundesvorsitzende Eike Bleibtreu und Rolf Jaeger (seit 2005 Chefredakteur von „der kriminalist“) im September 1993 in dieser Zeitschrift veröffentlichten. Beide Autoren kamen in ihrem Artikel zu dem Ergebnis, dass „die Bundesrepublik sich zu einem Aktions-, Flucht- und Ruheraum sowie zum Finanzplatz deutscher und internationaler Krimineller entwickelt“ und stellten fest, das damit begonnen wurde, das Problem der Organisierten Kriminalität journalistisch, politisch und gesellschaftlich ernst zu nehmen. 

Weniger ernst zu nehmen waren Anfang der 90’er Jahre die Bestrebungen der politisch Verantwortlichen, der Kriminalitätsentwicklung eine gut ausgebildete (Kriminal-) Polizei entgegen zu stellen. Stattdessen, so die damalige Bewertung, trat „die deutsche Innenpolitik an, um nach und nach immer mehr polizeiliche Eliten zu vernichten und mit der Gleichmacherei in der Polizei täglich neue Triumphe zu feiern“

30 Jahre später müssen wir feststellen, dass die Professionalisierungszyklen des Kriminalitätsgeschehens die damaligen Prognosen zur Entwicklung des „Kriminalitätsraumes Deutschland“ und der Kriminalität im nationalen und internationalen Kontext sogar noch übertroffen haben.  

Im Unterschied zur Täterseite blieb das Tempo bei der Entwicklung kriminal- und schutzpolizeilicher Eliten in den letzten 30 Jahren hingegen weit hinter dem, was erforderlich gewesen wäre und bis heute ist. Bis auf wenige Ausnahmen ist die polizeiliche Ausbildung in Deutschland im Jahre 2023 immer noch von der antiquierten Auffassung geprägt, dass eine schutz- und kriminalpolizeiliche Spartenausbildung zu kurz greift und einen ganzheitlichen Ansatz, den Studium und Ausbildung gewährleisten sollen, verhindert. 

Noch immer wird der Bedarf einer spezialisierten Ausbildung, die auf die Herausforderungen des schutz- und kriminalpolizeilichen Alltags der heutigen Zeit vorbereitet und den polizeilichen Nachwuchs in die Lage versetzt, Antworten auf die Fragestellungen immer komplexer werdender Kriminalitätsformen zu haben, zugunsten flexibel einsetzbarer Einsatzkräfte negiert. Die Notwendigkeit der Ausbildung von Spezialistinnen und Spezialisten weicht dem Erfordernis, einsatzbezogene Engpässe auszugleichen. In 12 von 16 Bundesländern ist man im Zeitalter international agierender krimineller Netzwerke, die mit einem nie da gewesenen Professionalisierungsgrad Straftaten begehen, immer noch der Ansicht, dass kriminalpolizeiliche Arbeit keines fachspezifischen kriminalwissenschaftlichen Studienganges bedarf. 

Während man in einigen Bundesländern sogar damit begonnen hat, die Bearbeitung von Cold Cases mit pensionierten Kolleginnen und Kollegen anzugehen und diese als Senior Experts anstellt, verzichtet man weiterhin auf die Ausbildung kriminalpolizeilicher Young Experts, die in spezifischen Studiengängen auf ihre berufliche Zukunft vorbereitet werden. 

Der BDK wird auch nach 30 Jahren weiterhin jede Gelegenheit nutzen, auf die Notwendigkeit einer Expertinnen- und Expertenkripo hinzuweisen. Vor diesem Hintergrund freue ich mich sehr, dass unser Chefredakteur Rolf Jaeger diese Ausgabe u. a. den polizeilichen Ausbildungsgängen in Deutschland widmet und sich in einem Leitartikel mit 3 Jahrzehnten des „Niedergangs  der kriminalpolizeilichen Aus- und Fortbildung“ auseinandersetzt, ohne es zu unterlassen, Perspektiven für eine zukunftsfähige Kriminalpolizei aufzuzeigen. Es lohnt sich! 

Herzliche Grüße 

Dirk Peglow 

BDK-Bundesvorsitzender 

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