Plötzlich ist Krieg. Der außen- und sicherheitspolitische Richtungswechsel – das deutsche Sanktionsregime und seine Tücken.

01.04.2022

der kriminalist, Editorial 4/2022
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Eigentlich hatte der Februar aus Sicht des BDK sehr gut begonnen. Mit Antrittsbesuchen bei BKA-Präsident Holger Münch in Wiesbaden und dem Generalsekretär von Interpol Prof. Dr. Jürgen Stock in Lyon hatten meine Stellvertreterin Marina Hackenbroch und ich die Möglichkeit, uns sehr intensiv mit Fragestellungen der Bekämpfung nationaler, insbesondere aber transnationaler Kriminalitätsphänomene und ihrer Bearbeitung zu befassen. Vertraute kriminalpolitische und verbandsinterne Themenfelder bereiteten wir für unsere Klausurtagung im geschäftsführenden Bundesvorstand vor, eingehende Presseanfragen boten keinen Anlass, überrascht zu sein.

Sicher, man konnte seit langer Zeit die „Manöver“ der russischen Armee verfolgen, die der ukrainische Botschafter in Deutschland, Andrij Melnyk, bereits im April 2021 als die „massivsten Truppenbewegungen Russlands seit dem zweiten Weltkrieg“ bezeichnete. Durch die täglichen Meldungen waren wir dann im weiteren Jahresverlauf Zeuginnen und Zeugen eines sich fortsetzenden Truppenaufmarsches an den Grenzen der Ukraine. Wir nahmen, begleitet von Kommentierungen diverser Militärexpertinnen und Militärexperten und veröffentlichter Lageberichte der Nachrichtendienste, Kenntnis von dem stetig aggressiver werdenden Ton des russischen Präsidenten und seinen nicht zu erfüllenden Forderungen gegenüber der ukrainischen Regierung und der NATO. Bei einigen Kolleginnen und Kollegenwaren plötzlich wieder die Ereignisse um die Annexion der Krim im Jahre 2014 präsent. Man beruhigte sich aber damit, dass es sich nur um Drohgebärden handeln und Putin die Eskalation nicht auf die Spitze treiben würde. In der Rückbetrachtung kann ich jedenfalls für mich festhalten, dass meine persönliche Beurteilung der Lage im Hinblick auf die Wahrscheinlichkeit eines durch Russland geführten Angriffskrieges gegen die Ukraine lange Zeit von der Hoffnung getragen war, dass so etwas nicht mehr möglich ist.

Am 24.02.2022 wurden wir mit Putins Kriegserklärung und dem sich anschließenden kriegerischen Überfall der Ukraine durch Russland eines Besseren belehrt. Seitdem verfolgen wir die tägliche Kriegsberichterstattung über alle zur Verfügung stehenden Kanäle. Fassungslos schaut man zu, welches Leid die Bürgerinnen und Bürger der Ukraine erfahren und ist zugleich entsetzt darüber, dass jede Unterstützung durch die Mitgliedsstaaten der NATO immer unter Abwägung des Risikos einer Ausweitung des Konfliktes geschehen muss. Plötzlich, für uns alle bisher nicht vorstellbar, wird auch über die Frage eines Dritten Weltkrieges diskutiert, begleitet von der Aussage des russischen Außenministers Sergej Lawrow, dass dieser Krieg unter dem Einsatz von Atomwaffen erfolgen wird.

All das führte in Deutschland zu einem außen- und sicherheitspolitischen Richtungswechsel, der in dieser Ausprägung bis vor wenigen Wochen ebenfalls unvorstellbar gewesen wäre. Neben der Ankündigung eines Sonderfonds für die Bundeswehr in Höhe von 100 Milliarden Euro und der Anhebung des jährlichen Wehretats erklärte Bundeskanzler Olaf Scholz am 27.02.22 auch, Herrn Putin Grenzen setzen zu wollen.

Dass das Aufzeigen von Grenzen, nicht nur gegenüber Putin, in sehr kurzer Zeit auch innenpolitische Fragestellungen aufwerfen würde, war spätestens seit der öffentlichen Debatte um Yachten und Immobilien sogenannter Oligarchen, die auf den Sanktionslisten der EU stehen, absehbar. Die Tatsache, dass das Sanktionsregime gegen Russland durch den Rat der Europäischen Union bereits im Juli 2014 beschlossen und in unmittelbar geltendes Recht umgesetzt wurde, genoss über viele Jahre keine große Beachtung in der Öffentlichkeit. Auch die Fragestellung, wie gut man in Deutschland darauf vorbereitet ist, gegen sanktionierte Personen und Unternehmen vorzugehen, schien nicht von besonderer Bedeutung zu sein. Nun wird die im Jahr 2014 eröffnete Liste sanktionierter Personen und Entitäten in immer kürzeren Zeitabständen erweitert und ist mit Stand 15.03.22 auf 893 natürliche und 65 juristische Personen angewachsen. In ähnlich rasanter Geschwindigkeit musste man feststellen, dass die Möglichkeiten deutscher Behörden, die notwendigen Ermittlungen zum Vermögen sanktionierter Personen und Firmen durchzuführen, nicht ausreichend sind.

Nun bleibt zu hoffen, dass die von der Bundesregierung eingerichtete Task Force zur Koordination und Umsetzung von Sanktionen gegen russische Firmen und Oligarchen schnellstmöglich mit ihrer Arbeit beginnen kann. Hierfür müssen kompetente Ermittlerinnen und Ermittler der Polizei, der Zoll- und Steuerfahndung zusammengeführt werden, die unter Beteiligung der Financial Intelligence Unit, der Deutschen Bundesbank, des Bundesamtes für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle und der Nachrichtendienste damit beginnen, alle Vermögenswerte sanktionierter Personen und Unternehmen zu identifizieren. Etwaige Regelungsbedarfe müssen, insbesondere unter Berücksichtigung der Expertise der eingesetzten Task Force, seitens des Gesetzgebers schnellstmöglich zur Umsetzung kommen.

Flankierend müssen alle notwendigen Maßnahmen ergriffen werden, die verhindern, dass sanktionierte Personen über kaum nachvollziehbare Geschäftskonstruktionen mit Briefkastenfirmen und Strohleuten ihres Offshore-Vermögens weiterhin sicher sein können. Künftige Geschäfte deutscher Unternehmen mit ausländischen Gesellschaften, bei denen die wirtschaftlich Berechtigten nicht nachvollziehbar sind, müssen untersagt werden.

Die aufgeführten Instrumente werden nicht nur dazu beitragen, wirksam gegen Sanktionsadressaten vorzugehen, die Putins Angriffskrieg unterstützen. Sie werden auch dazu führen, dass Deutschland als Geldwäscheparadies an Attraktivität verlieren wird. Der aktuelle Fokus aller Verantwortlichen muss allerdings auf dem sofortigen Ende jeglicher Kampfhandlungen und der Rückkehr zu ausschließlich diplomatischen und friedlichen Lösungen liegen.

Herzliche Grüße

Dirk Peglow
BDK-Bundesvorsitzender

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