Wo bleibt Niedersachsen?

21.09.2022

Nur ein attraktiver Arbeitgeber kriegt gute Leute – manchmal sogar nicht einmal weniger gute. Die Polizei Niedersachsen lässt es seit langem an vielem fehlen, eine der logischen Folgen: Unbesetzte Studienplätze!
Wo bleibt Niedersachsen?

 

Kleine Lichtblicke sind zu erkennen – würde ja auch verwundern, wir haben schließlich Landtagswahlkampf im Endspurt. Da werden schon mal Urlaubstage oder Zusagen herausgegeben, ein weiterer Personenkreis könne die Energiepreispauschale erhalten. Aber ein, zwei Schwalben…

Zum 1. Oktober sollten rd. 1.000 Studierende an der Polizeiakademie Niedersachsen starten und in drei Jahren die stärksten Einstellungsjahrgänge aus 1980 und 1981 ersetzen. Nach letzten Informationen wird bis zu einem Fünftel fehlen. Bis zu einem Fünftel! Zieht man die zu erwartenden Abgänge in den nächsten drei Jahren ab, erfahrungsgemäß bis zu einem Siebtel, wird es sehr dünn auf den Dienststellen.

Seit langem zeigen wir Möglichkeiten auf, gute Leute zum Studium bei der Polizei Niedersachsen motivieren zu können. Jetzt sehen wir: Es fehlen nicht nur gute Leute, sie fehlen überhaupt! Und beim Abwägen der Auswahl auf dem Ausbildungsmarkt wird sehr wohl auch auf die Situation im Rentenalter geschaut: Aber auch da wurde ein eventueller Ausgleich für niedrigere Einstiegsgehälter nach und nach abgebaut.


Sonderzulagen für die Arbeitsbereiche Kinderpornografie, Leichensachen und für Spezialeinheiten/-kräfte

In den Medien wurde letzte Woche über Wertschätzung für Ermittlerinnen und Ermittler im Bereich der Kinderpornografie berichtet: „Minister Pistorius und Minister Hilbers einigen sich auf vier Tage Sonderurlaub für besondere Belastungen.“ 1)

Unsere Vorstellungen, woanders Realität, waren andere. Nicht zum ersten Mal forderten wir vor anderthalb Jahren: 2) „KiPo-Zulage auch in Niedersachsen!“ und wiesen auf Beschluss und Begründung in NRW hin: Seit Jahresbeginn 2021 erhalten dort Beschäftigte in Vollzug und Tarif, die mit Auswerte- und Analysearbeit in diesen Deliktsfeldern konfrontiert sind, eine Erschwerniszulage in Höhe von 300 Euro monatlich.

Niedersachsen: 4 Tage Sonderurlaub. 32 Stunden. Werden 32 Stunden Mehrarbeit geleistet, damit die Arbeit nicht liegenbleibt, und würden diese ausbezahlt (sehr unwahrscheinlich, es dürfte auf Arbeitsverdichtung ohne Personalverstärkung hinauslaufen), so wären das gerade mal rund 60 Euro im Monat.

Beim Thema Wertschätzung ist der Blick zu den Kolleginnen und Kollegen ein paar Kilometer weiter auf der anderen Seite der Landesgrenze sicher erlaubt. Und für Tarifbeschäftigte sowieso: In NRW den Ermittlerinnen und Ermittlern gleichgestellt, gehen sie in Niedersachsen nach aktuellem Stand auch bei gleicher Arbeit leer aus.

Und auch in anderen bereits genannten Bereichen bei der Polizei Niedersachsen, in denen mit großem persönlichem Einsatz und unter hoher Belastung gearbeitet wird, wird weiterhin auf Anerkennung nicht nur durch Worte gewartet.


Amtsangemessene Besoldung

Zwei Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichtes aus 2020 wiesen die Richtung auch für andere Bundesländer, darunter Niedersachsen. Aus einer BDK-Veröffentlichung: 3)  Die Besoldungsregelungen für Beamtinnen und Beamte sowie Richterinnen und Richter der Länder Nordrhein-Westfalen und Berlin wurden in Teilen für verfassungswidrig erklärt. Wesentlicher Grund der Beanstandungen war insbesondere die Nichteinhaltung des gebotenen Mindestabstands der niedrigsten Besoldungsgruppen zum Grundleistungsniveau, der im Rahmen der amtsangemessenen Alimentation einzuhalten ist. Die betroffenen Länder mussten in der Folge unter Wahrung der vom BVerfG vorgegebenen Fristen die landesgesetzlichen Regelungen zum Besoldungsrecht anpassen.

Seit vielen Jahren auch in Niedersachsen eingelegte Widersprüche gegen die Besoldungsmitteilungen waren daher sinnvoll, wenn auch nicht in allen Fällen Erfolg abzusehen ist – es gilt der Einzelfall.

Einige Bundesländer wie beispielsweise Hessen haben inzwischen reagiert, und wir forderten zuletzt vor wenigen Wochen: 4) „Verfassungsgemäße Besoldung – auch in Niedersachsen! Wer Vollzeit arbeitet, muss mehr erhalten als Grundsicherung - und nicht nur so viel mehr, damit es für die Fahrtkosten reicht!

Auch die Landesregierung Niedersachsen hat reagiert und Mitte Juli den „Entwurf eines Niedersächsischen Gesetzes über die Anpassung der Besoldung und der Versorgungsbezüge im Jahr 2022 sowie zur Änderung versorgungsrechtlicher Vorschriften“ dem Landtag übersandt mit der Bitte, die Beschlussfassung herbeizuführen. 5)

Mit dem Gesetzentwurf wurde dem Landtag eine ausführliche Begründung übersandt. Die Beratungen fanden allerdings zu einem Zeitpunkt statt, als die derzeitigen Kostensteigerungen noch nicht absehbar waren. Es ist naheliegend, dass der Gesetzentwurf schon jetzt überholt ist und der Überarbeitung bedarf.

Auch dies sei den Entscheidungstragenden in der Landesregierung Niedersachsen mit Blick auf „Attraktivität des Arbeitgebers“ zur Lektüre empfohlen, aus einer Veröffentlichung des BDK: 6) „Amtsangemessene Alimentation – Der Hamburger Senat macht es vor … Dort brachte der Senat jüngst einen Gesetzentwurf zur Neuregelung einer amtsangemessenen Alimentation ein, der neben der Übernahme der Tarifverhandlungsergebnisse für die Beamten auch eine sog. 'Angleichungszulage' beinhaltet. Hier sollen – zunächst befristet – für die Jahre 2021 bis 2025 den Beamten pro Kopf im Schnitt rund 5.750 Euro zusätzlich ausgezahlt werden, um die Besoldung jetzt schon an die Lohnentwicklung anzupassen.

Der dort zitierten Formulierung des BDK-Landesverbandes Hamburg ist nichts mehr hinzuzufügen: „Es geht hier nicht um Wohltaten oder unverdiente Zuwendungen. Es geht schlicht um die im Grundgesetz beschriebene Alimentation der Staatsbediensteten und damit um ein verfassungsgemäßes Verhalten.


Qualifikationsgerechte Gehälter im Tarifbereich

Höhergruppierungen im Tarifbereich sind an rechtliche Vorgaben gebunden. Tarifbeschäftigte müssen entsprechende Nachweise vorlegen. Besonders an Standorten mit Universitäten und weiteren finanzkräftigen Arbeitgebern ist die Polizei beispielsweise für IT-Fachleute unattraktiv. Mit gleicher Qualifikation ist woanders eine bessere Eingruppierung zu verwirklichen. Die Hürden für das Angebot einer Verbeamtung liegen so hoch, dass dies kaum als Argument zieht.


Ruhegehaltsfähige Polizeizulage

Beamtinnen und Beamte können mit dem Arbeitgeber ihre Bezahlung nicht aushandeln – dieser entscheidet darüber per Gesetz. Und so wurde eines Tages per Dekret eine Kürzung der Altersversorgung verkündet: Die bei Berufseinstieg sicher geglaubte anteilige Polizeizulage im Alter war weg. Ein Stück Vertrauen auch.

Ausbildungsplatzsuchende nehmen derartige Vorgehensweisen zur Kenntnis und ziehen ihre Schlüsse. Bundeskanzler Olaf Scholz hatte das wahrscheinlich auch im Blick, als er vor kurzem erklärte: 7) „Die Arbeit der Polizei ist keine Arbeit wie jede andere. Sie ist nervenaufreibend, oft – das dürfen wir nie vergessen – auch mit persönlichen Risiken verbunden. Das muss daher auch mit einer anständigen Entlohnung verbunden sein. Ein Baustein dabei ist die Ruhegehaltsfähigkeit der Polizeizulage. Deshalb steht in dem Vertrag, der zur Bildung der von mir geführten Regierung beigetragen hat – man nennt das Koalitionsvertrag –, diese wieder einzuführen.


Sonderzahlung auch im Ruhestand („Weihnachtsgeld“)

Auch darüber entscheidet der Arbeitgeber („Dienstherr“) per Gesetz. Und so wurde eines Tages per Dekret eine weitere Kürzung der Altersversorgung verkündet: Die bei Berufseinstieg sicher geglaubte jährliche Sonderzahlung („Weihnachtsgeld“) im Alter war weg. Ein weiteres Stück Vertrauen auch.

Rentner erhalten im aktuellen Wahljahr eine historisch hohe Rentenerhöhung und Angleichung in Ost/West. Versorgungsempfänger gehen komplett leer aus. Ausbildungsplatzsuchende nehmen auch das zur Kenntnis und ziehen ihre Schlüsse.

Dass auch für die im aktiven Dienst befindlichen Beamtinnen und Beamten das „Weihnachtsgeld“ und auch das Urlaubsgeld erheblich gekürzt bzw. komplett gestrichen wurde, sei nur am Rande erwähnt.

Ende 2021 hatten wir angemerkt: 8) „Aus Sicht erfolgreicher Kriminalitätsbekämpfung tut der Tarifabschluss richtig weh. … Vor wenigen Wochen einigten sich die Tarifpartner in Hessen auf eine Steigerung von insgesamt mehr als 4 Prozent. Von dem ‚LandesTicket Hessen‘, das nicht nur Klimabewussten, sondern allen Beschäftigten des Landes Hessen freie Fahrt im öffentlichen Personennahverkehr ermöglicht, gar nicht zu sprechen. ‚…die richtigen Weichen für den Wettbewerb um die besten Köpfe‘, war das Argument in Hessen.


Berufsziel Kriminalpolizei

Gute Ausbildung ist eine der Grundbedingungen für qualifizierte Aufgabenerledigung: Wie berichtet erfolgt Qualifizierung für kriminalpolizeiliche Bereiche seit drei Jahren bereits an der Polizeiakademie im Rahmen des Bachelor-Studiums mit dem Angebot „Vertiefende Spezialisierung Ermittlungen“. Zwar immer noch als Pilotprojekt, eine Übernahme in den regulären Studienablauf ist aber absehbar.

Eine Übernahme des Trends zu „Direkteinstieg Kriminalpolizei“ wie in anderen Bundesländern scheint für Niedersachsen in weiter Ferne zu liegen – noch. Während in anderen Bundesländern selbst Innenminister Werbung machen für eine Tätigkeit bei der Kriminalpolizei, scheut man in Niedersachsen die Anerkennung eines „Berufsbildes Kriminalpolizei.“

Gerade die planbare Perspektive der Beschäftigung in kriminalpolizeilichen Bereichen würde jungen Menschen die Polizei Niedersachsen als Arbeitgeber um einiges attraktiver erscheinen lassen. Besonders Interessentinnen und Interessenten mit förderlichen Vorkenntnissen könnten dann davon abgehalten werden, den klar erkennbaren Weg zur Kriminalpolizei in anderen Bundesländern einzuschlagen.


Die Gretchenfrage

Gerade jetzt im Wahlkampf, dann in der Zeit der Regierungsbildung mit absehbaren Koalitionsverhandlungen, aber auch danach sollten die auf der politischen Bühne Agierenden die Frage beantworten, wie sie es mit der Polizei halten wollen. Personal, Aufgabenpensum, Qualifizierung, Belastung, und, ja, auch qualifikationsgerechte und verfassungskonforme Bezahlung in Vollzug, Verwaltung und Tarif sind Themen, die Positionierung verlangen.

Und im Blick auf bereits aufgezeigte Defizite haben die Bürgerinnen und Bürger Anspruch auf Klarheit, wie leistungsfähig die Polizei Niedersachsen ist – welche Aufgaben in Zukunft nur schlecht oder gar nicht mehr erfüllt werden können.

Wir werden gerne konstruktiv begleiten und sind für fachlich qualifizierte Auskünfte jederzeit ansprechbar.

 
Der Geschäftsführende Landesvorstand

 

 1) https://www.mi.niedersachsen.de/startseite/aktuelles/presseinformationen/wertschatzung-fur-ermittlerinnen-und-ermittler-im-bereich-der-kinderpornographie-minister-pistorius-und-minister-hilbers-einigen-sich-auf-vier-tage-sonderurlaub-fur-besondere-belastungen-215384.html
2) https://www.bdk.de/der-bdk/was-wir-tun/aktuelles/kipo-zulage-auch-in-niedersachsen
3) https://www.bdk.de/der-bdk/was-wir-tun/aktuelles/austausch-mit-dem-deutschen-bundeswehrverband-e-v
4) https://www.bdk.de/der-bdk/was-wir-tun/aktuelles/verfassungsgemaesse-besoldung
5) https://www.stk.niedersachsen.de/startseite/presseinformationen/kabinett-bringt-gesetzentwurfe-zur-besoldungsanpassung-und-zur-amtsangemessenen-alimentation-niedersachsischer-beamtinnen-und-beamten-in-den-landtag-ein-213466.html
https://www.landtag-niedersachsen.de/Drucksachen/Drucksachen_18_12500/11001-11500/18-11499.pdf
6) https://www.bdk.de/der-bdk/was-wir-tun/aktuelles/amtsangemessene-alimentation-der-hamburger-senat-macht-es-vor
7) https://www.bundesregierung.de/breg-de/aktuelles
https://www.behoerden-spiegel.de/2022/09/15/starke-polizei-notwendig/
8) https://www.bdk.de/der-bdk/was-wir-tun/aktuelles/durchbruch-oder-einbruch

 

 

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