Die Kriminalpolizei am Limit
16.10.2025

Vor rund zwei Wochen hat ein weiterer Bachelorjahrgang sein Studium erfolgreich abgeschlossen und seinen Dienst in den vielfältigen Bereichen unserer Polizei angetreten. Für viele junge Kolleginnen und Kollegen konnte jedoch der angestrebte Tätigkeitsbereich „Kriminalpolizei“ trotz Qualifizierung nicht realisiert werden. Die Gründe dafür sind vielfältig – einer davon ist der akute Personalmangel in den Dienststellen. Auch mit den knapp 800 neuen Absolventinnen und Absolventen lassen sich diese Lücken leider nicht schließen. 1) 2)
Der Bund Deutscher Kriminalbeamter (BDK) fordert als Fachgewerkschaft für professionelle und zukunftsorientierte Kriminalitätsbekämpfung seit Jahren strukturelle Verbesserungen. Dazu gehört auch die Rückbesinnung auf Begriffe mit Substanz: Der Ausdruck „ermittelnde Bereiche“ mag verwaltungskonform sein, doch er löst die gewachsenen und bewährten Strukturen der Kriminalpolizei sprachlich auf – und damit auch gedanklich. Wir meinen: Wer echte Kriminalitätsbekämpfung will, sollte sie auch so benennen.
Ein aktueller Trend ist das Streben nach größtmöglicher Gleichstellung aller Tätigkeitsbereiche. Das Ministerium verfolgt diesen Ansatz konsequent. Ziel: Jede und jeder soll alles können. Doch dieser generalistische Ansatz ignoriert die Realität: Komplexe Ermittlungen verlangen spezialisierte Fähigkeiten, Erfahrung und kriminalistisches Know-how – und genau daran mangelt es vielerorts.
Zugleich setzt die polizeiliche Gesamtstrategie stark auf Sichtbarkeit: Möglichst viele Kräfte sollen „auf die Straße“. Das ist wichtig, keine Frage. Doch Präsenz allein reicht nicht. Wer bearbeitet die schweren Fälle? Wer führt Tätervernehmungen durch? Wer bringt komplexe Strukturen ans Licht? Die Kriminalpolizei – sofern sie dazu personell in der Lage ist.
In Gesprächen mit der Ministerin und Behördenleitungen haben wir mehrfach auf die angespannte Lage in der Kriminalpolizei hingewiesen: ein erheblicher Bearbeitungsrückstand, zu wenig qualifiziertes Fachpersonal und eine unzureichende Vorbereitung junger Führungskräfte auf ihre verantwortungsvollen Aufgaben. 3)
Während früher eine intensive, jahrelange Vorbereitung üblich war, reichen heute meist kurze Personalentwicklungsmaßnahmen im Halbjahresrhythmus. Das kann auf Dauer nicht ausreichend sein.
Wie lässt sich dieser Zustand verbessern? Die Ideen und Ansätze sind zahlreich und wurden bereits in vielen Gesprächen diskutiert. Früher wurden junge Kolleginnen und Kollegen systematisch an ihre Aufgaben herangeführt. Sie arbeiteten „an der Seite“ erfahrener Kriminalistinnen und Kriminalisten – ein Prinzip, das unter dem Begriff „Sandsack“ bekannt war. Heute dagegen: ein direkter Sprung ins kalte Wasser. Ohne echte Einarbeitung, ohne strukturelle Begleitung.
Künstliche Intelligenz – damals undenkbar, heute Realität – kann viele Aufgaben in der Kriminalpolizei unterstützen. Doch sie kann nicht alles ersetzen: kriminalistisches Gespür, zwischenmenschliches Feingefühl und das „Kribbeln in den Fingerspitzen“ lassen sich digital nicht nachbilden. KI kann niemandem „in die Augen schauen“, nicht die Körpersprache deuten, und daraus Rückschlüsse ziehen.
Wer sich für die Kriminalpolizei entscheidet, wählt bewusst einen fordernden, oft belastenden Weg – aus Überzeugung. Doch diese Überzeugung wird zu oft nicht belohnt. Fachliche Expertise führt noch immer selten zu Beförderung. Stattdessen wird der Weg in andere Tätigkeitsfelder erzwungen, um Karrierechancen zu wahren, die vielgepriesene „Verwendungsbreite“. Warum bieten wir diesen engagierten Kolleginnen und Kollegen keine echte Fachkarriere mit Entwicklungsperspektive? Die Beförderung zur Fachkraft, nicht die Fachkraft zur Beförderungsstelle ganz woanders.
Erfolge wie in NRW, wo der BDK mit überzeugenden Argumenten und politischem Druck Verbesserungen erreicht hat (z. B. eigenständige Fachkarrierewege, bessere Ausstattungen, differenzierte Personalentwicklung), zeigen: Es geht – wenn man will. 4)
Oder ein Beispiel aus Berlin: Dort erhofft man sich durch die Einführung einer direkten Einstellung in die Kriminalpolizei (Kripo) "neuen Schwung". Dieses Modell soll den Bedarf an gut ausgebildeten Fachkräften decken, insbesondere durch die Möglichkeit für Quereinsteiger, direkt in die Kriminalpolizei einzusteigen und eine anspruchsvolle Laufbahn als Kriminalbeamtin bzw. Kriminalbeamter einzuschlagen. 5)
Wir sollten gemeinsam darüber nachdenken. Nein, früher war nicht alles besser – aber vieles war erfahrungsbasiert, praxisnah und effektiver. Es lohnt sich, die guten Ansätze von damals mit den Anforderungen von heute zu verbinden.
Viele Behördenleitungen teilen die Sorgen der Kriminalistinnen und Kriminalisten – und doch bleibt es oft bei wohlmeinenden Absichtserklärungen. Wir brauchen eine strukturierte, nachhaltige Personal- und Qualifikationsentwicklung, gezielte Nachwuchsförderung, Fachkarrierewege und eine echte Wertschätzung der kriminalpolizeilichen Arbeit.
Es gab Zeiten, da war vieles näher an der Praxis, stärker an Erfahrung orientiert – und erfolgreich.
Die Kriminalpolizei braucht keine Gleichmacherei, sondern gezielte Stärkung. Der BDK setzt sich dafür ein. Diskutiert mit uns – für eine starke Kripo, für eine starke Zukunft.
Stefan Franz
Stellv. Landesvorsitzender
1) https://www.bdk.de/der-bdk/was-wir-tun/aktuelles/kriminalpolizei-niedersachsen
2) https://www.bdk.de/der-bdk/was-wir-tun/aktuelles/brandbrief-an-innenministerin
3) https://www.bdk.de/der-bdk/was-wir-tun/aktuelles/im-gespraech-mit-der-ministerin
4) https://www.bdk.de/der-bdk/was-wir-tun/aktuelles/starke-kripo-starke-zukunft-die-erfolge-des-bdk-nrw
5) https://110prozent.berlin.de/berufsfelder/kriminalpolizei/