2021 wird ein "unvergleichbares" Jahr werden - die Pandemie als Tatgelegenheit

15.01.2021

Bereits zu Beginn der Pandemiekrise im Frühjahr 2020 haben wir mit dem Wissenschaftlichen Beirat des BDK bestimmte Veränderungen der Kriminalitätslandschaft beraten.
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Wir diskutierten z. B. Veränderungen der Vertriebswege auf Rauschgiftmärkten, die Anpassungsfähigkeit der Organisierten Kriminalität bei der Produktpiraterie und Entwicklungen bei gefälschten Medizinprodukten und Arzneimitteln, Chancen für Geldwäscher, eine Zunahme der Cyberkriminalität, Auswirkungen auf die Straßenkriminalität (Rückgänge) und bei Häuslicher Gewalt sowie Gewalt gegen Kinder.

Nun skizziert auch Interpol erhebliche Auswirkungen auf die Kriminalitätslandschaft im Jahr 2021. In einem Interview mit der WirtschaftsWoche prognostiziert Interpol–Generalsekretär Prof. Dr. Jürgen Stock u. a. Kriminalität in Zusammenhang mit dem Corona–Impfstoff, der in den Augen der Organisierten Kriminalität „das flüssige Gold 2021" sei. Er sprach davon, die Kriminalität werde mit dem Ausrollen der Impfstoffe "dramatisch zunehmen". Mit Diebstählen und Lagereinbrüchen, Überfällen auf Impfstoff-Transporte und Korruption, um schneller an den Impfstoff zu kommen, sei zu rechnen. Gefälschter Impfstoff sei ohnehin schon vertrieben worden, bevor echter zugelassen worden sei.

Viele Szenarien zu anderen Kriminalitätsbereichen, die Prof. Dr. Stock aufzeigt, klingen leider äußerst realitätsnah oder sind auch bei uns bereits eingetreten. Im Mittelpunkt steht die Pandemie als Tatgelegenheit. Zwei Beispiele: Die häufige Nutzung des Homeoffice bietet Kriminellen die Gelegenheit, über schlecht gesicherte private Computer in Firmennetzwerke einzudringen. Unbürokratisch ausgezahlte staatliche Hilfsgelder ziehen Kriminelle an. Unsere Kolleginnen und Kollegen in den Betrugskommissariaten können bereits ein Lied davon singen.

Auf diese antizipierten oder schon eingetretenen Entwicklungen müssen sich die Sicherheitsbehörden des Bundes und der Länder zwingend einstellen. Bezogen auf den Schutz von Impfstoff-Transporten und Impfzentren tun sie das bereits. Wir dürfen jedoch nicht verkennen, dass sich in diesem Jahr für uns weitere Veränderungsprozesse ankündigen.

Neben den häufig beschriebenen demografischen Problemen sind viele gesetzgeberische Prozesse im Gange. Der BDK hat sich bereits in Beratungen mit dem Bundesjustizministerium und dem Deutschen Bundestag zur Geldwäsche-Strafnorm und zur Vermögensabschöpfung eingebracht. Gleiches gilt für das Gesetz gegen Hass und Hetze, mit dem die Internetprovider verpflichtet werden sollen, strafrechtlich relevante Inhalte, einschließlich derjenigen der sog. Kinderpornografie, an das Bundeskriminalamt zu melden. Die meisten der dort erkannten Strafverfahren werden von dort an die örtlichen zuständigen Länderpolizeien verteilt werden.

Ende Dezember drehte sich ein Streit noch um eine gesetzliche Auskunftsverpflichtung der Provider in Bezug auf die IP-Adressen, von denen wir erwarten, dass sie die Provider unmittelbar mitliefern - unabhängig davon, ob die Unternehmen sich entschieden haben, diese Daten im Ausland (zum Beispiel in Irland) zu lagern. Im Deutschen Bundestag befinden sich darüber hinaus das Bundespolizeigesetz und das Verbandssanktionengesetz ("Unternehmensstrafrecht light") in Beratung. Zum Hinweisgeberschutz hat Bundesjustizministerin Lambrecht einen Gesetzesentwurf angekündigt.

Meine Aufzählung ist nicht abschließend. Fest steht, dass die - kriminalpolitisch wünschenswerten - Gesetzesänderungen teils weitreichenden Einfluss auf unserer Arbeit bewirken und damit auch Eingang in unsere Aus- und Fortbildung nehmen müssen. Wir werden daher weiter dafür streiten, dass die Aus- und Fortbildungskonzepte ALLER Länder dieser Spezialisierung in Zukunft Rechnung tragen werden.

Wir haben im Herbst  auf der Bundesvorstandssitzung in Braunschweig ein weitreichendes Konzept zur Stärkung der Arbeit von Kriminalistinnen und Kriminalisten im Home Office beschlossen und weitere kriminalpolitische Forderungen aufgestellt, zum Beispiel zur Verbesserung der Ausstattung mit Fachliteratur. In der Januarausgabe von "der kriminalist" wird über diese Bundesvorstandssitzung berichtet.

Gewerkschaftlich ist es natürlich klar, dass der BDK für neue Aufgaben weiterhin mehr fachlich geschultes Personal sowohl bei den Tarifbeschäftigten als auch bei den Beamten fordern wird und auch darauf drängen wird, dass sich besondere Anforderungen auch in besseren Stellenbewertungen, erleichterten Aufstiegsmodellen und kürzeren Beförderungszeiten spiegeln.

Die Sicherheitsbehörden geraten zunehmend in einen kaum noch aufzuholenden Rückstand zu Arbeitgebern in der Wirtschaft und teilweise auch in anderen Verwaltungsbereichen. Ich kenne Kollegen aus dem Bereich der Cyberkriminalität, die durch einen Wechsel zu einer Bundesbehörde bis zu vier Besoldungsgruppen höher eingestuft wurden. Kriminalitätsbekämpfung im Jahr 2021 wird nicht zum Preis der Kriminalitätsbekämpfung des Jahres 2000 zu haben sein! Wir brauchen eine Besoldungsvision für Kriminalisten, an die besondere Anforderungen gestellt werden.

Dem BDK wird also auch im Jahr 2021 die Arbeit nicht ausgehen. Bleiben Sie alle gesund!

Ihr
Sebastian Fiedler

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